Der Tod von Hogir A. – Tödliche Verantwortungslosigkeit deutscher Behörden

Der Tod des aus der Türkei geflüchteten Kurden Hogir A. auf dem Gelände der Flüchtlingsunterkunft Kusel ist symptomatisch für ein System aus Schikane und Vernachlässigung.

Am 4. November wurde die stark verweste Leiche des aus der nordkurdischen Stadt Qoser (tr. Kızıltepe) stammenden Kurden Hogir A. erhängt hinter der Sporthalle des Flüchtlingslagers Kusel gefunden. Hogir A. wäre in wenigen Tagen 25 Jahre alt geworden. Sein Leben wie sein Tod offenbaren ein System aus Vernachlässigung und Repression, dem Schutzsuchende in Deutschland ausgesetzt sind.

Klagen ignoriert und abgewimmelt

Hogir A. war am 13. Februar 2023 aus politischen Gründen nach Deutschland geflohen und wurde in der „Aufnahmestelle für Asylbegehrende“ beim etwa 40 Kilometer von Kaiserslautern entfernten Kusel untergebracht. Meistens liegen diese Unterkünfte an isolierten Orten. In Kusel sind etwa 800 Menschen in einer ehemaligen Kaserne und ihrer Turnhalle in einem angrenzenden Waldgebiet untergebracht. Die Unterkunft in Kusel wird von dem Konzern Serco betrieben, der weltweit einer der größten Profiteure am Geschäft mit der Einrichtung von Unterkünften ist. Immer wieder kam Serco wegen schlechter Bedingungen und sogar wegen Serien von Suiziden und Selbstverletzungen in seinen Unterkünften international in die Schlagzeilen. Hogir A. hat sich wiederholt über die Bedingungen in der Unterkunft Kusel und insbesondere über psychische Belastung und wiederholte Zimmerverlegung in der Massenunterkunft beklagt. Er berichtete von Schikanen und Übergriffen durch das Sicherheitspersonal. Übersetzer:innen weigerten sich offenbar mit der Begründung, seine Ausagen würden dem Ruf der Einrichtung schaden, die Klagen Hogirs an die Einrichtungsleitung weiterzuleiten. Sein Vater berichtet, die Übersetzer:innen hätten ihm gesagt, die Einrichtung solle nicht durch seinen Namen in den Dreck gezogen werden. Darauf habe Hogir geantwortet: „Ihr seid verantwortlich, wenn mir etwas passiert.“ Ebenso reagierten die Angestellten der Unterkunft auf Hogirs Klagen. Stellenausschreibungen für die AfA-Kusel deuten darauf hin, dass auch diese zum Serco-Konzern gehörten.

Ignoriert vom BAMF

Aber nicht nur in der Unterkunft, sondern auch beim Bundesamt für Flucht und Migration (BAMF) wurden seine Hilfesuche ignoriert. Das BAMF machte sich nicht die Mühe seine Eingabe, in der er auf Türkisch über die schlechten Bedingungen und daraus resultierenden gesundheitlichen Beschwerden sowie Drohungen und Schikanen berichtete, zu übersetzen. Nachdem er die Eingabe auf Deutsch schickte, antwortete das BAMF auf seinen Hilferuf mit einer Standardmail mit einem Link zum kryptischen Organigramm der Zuständigkeiten in den Ländern. Hogir ließ nicht abwimmeln und versuchte wieder und wieder, an verschiedenen Stellen seine Beschwerde vorzubringen. Allerdings nur mit dem Resultat, dass die Drohungen der Mitarbeiter:innen massiver wurden. Unter anderem wurde demnach behauptet, seine Beschwerden könnten sich negativ auf sein Asylverfahren auswirken. Immer wieder stand er auch im Kontakt mit seinem Vater in Qoser, bis Hogir eines Tages nicht mehr erreichbar war.

Keine Suche nach Hogir

Seit dem 11. Oktober soll sein Telefon nicht mehr aktiv gewesen sein. Hogirs in Österreich lebender Bruder hatte deshalb mehrfach die Polizei in Kusel und in Kaiserslautern kontaktiert und darum gebeten, nach Hogir A. zu suchen. Die Polizei teilte mit, dass sie weder über Bekannte noch über den Sozialdienst Kontakt zu Hogir A. herstellen könne. Hogir blieb verschwunden, er wurde das letzte Mal am 11. Oktober in einem Supermarkt gesehen. Als seine Leiche am 4. November gefunden wurde, muss Hogir schon lange tot gewesen sein. Aufgrund der starken Verwesung konnte er nur an einem Tattoo identifiziert werden.

Verantwortungslosigkeit auch nach dem Tod von Hogir A.

Das Vorgehen von Polizei und Unterkunft wirft Fragen auf. Obwohl die Polizei angeblich nach Hogir A. gesucht hätte, lag offensichtlich keine Vermisstenmeldung vor. Diese Meldung hätte von der Unterkunft und der Ausländerbehörde erfolgen müssen. Dann hätte offiziell nach ihm gesucht werden müssen. So heißt es in der Vorschrift für die Unterkunft: „Wenn Personen der AfA länger als drei Tage ohne ‚Verlassenserlaubnis‘ fernbleiben, gelten sie als ‚abgängig‘ und müssen der Ausländerbehörde gemeldet werden.“ Die Ausländerbehörde hätte die Polizei anschließend informieren müssen. Die Polizei hätte dann eine Fahndung einleiten müssen. Die Unterkunft bestätigte gegenüber der Tageszeitung „nd“, dass die Meldung zur „Abgängigkeit“ von Hogir A. vorschriftsgemäß abgeschickt worden sei, ob diese jedoch anschließend von der Ausländerbehörde an die Polizei weitergeleitet wurde, wollte eine Sprecherin mit Verweis auf die laufenden Ermittlungen nicht mitteilen.

Bünger: „Erschütternde organisierte Verantwortungslosigkeit“

Ein weiteres Fragezeichen wirft der Auffindungsort der Leiche auf. Der Tod „durch Erhängen“ soll laut Obduktion frühestens am 17. Oktober eingetreten sein. Zwei Wochen müsste der Leichnam im Waldstück hinter der Turnhalle des in der Zeit mit 981 Menschen überbelegten Lagers gehangen haben. Dies wirft aufgrund der Zugänglichkeit der Stelle und des starken Geruchs der Leiche Fragen auf. Der kurdische Dachverband FED-GEL, der sich ebenfalls mit dem Fall beschäftigt, hat mit Bewohner:innen der Unterkunft gesprochen, und diese hielten es demnach für unmöglich, dass der Leichnam dort so lange gehangen habe. Die Polizei geht bisher von Suizid aus, auch wenn das toxikologische Gutachten noch aussteht. Sicher ist jedoch, dass es sich hier um tödliche Verantwortungslosigkeit deutscher Behörden handelt.

Die fluchtpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Clara-Anne Bünger, fordert Aufklärung und sagt, jeder Todesfall müsse gleich gut aufgeklärt werden, unabhängig von der Herkunft des Verstorbenen. Bünger erklärte: „Was am Tod von Hogir A. besonders erschüttert, ist die organisierte Verantwortungslosigkeit, die darin zum Ausdruck kommt. Als er vom Wachdienst schikaniert wurde, wollte niemand etwas davon hören. Als er verschwunden war, interessierte es niemanden.“