Der Angriff auf Efrîn ist ein Angriff auf die Frauenbefreiung

Zu der Frage, warum der Angriff auf Efrîn ein Angriff auf die Frauenbefreiung ist, fand gestern ein Informations- und Diskussionsabend mit der Ethnologin Anja Flach im Mala Êzîdiya Celle statt.

Gestern fand in Celle ein Informations- und Diskussionsabend zu dem Thema „Warum der Angriff auf Efrîn ein Angriff auf die Frauenbefreiung ist" mit der Ethnologin Anja Flach aus Hamburg im Mala Êzîdiya Celle statt. Zu der Veranstaltung hatten das Celler Solidaritätskomitee mit Efrîn und das Feministische Jugendkomitee Celle eingeladen. Rund vierzig Personen folgten dieser Einladung und wurden mit einem aussagekräftigen Banner begrüßt: „Kampf dem Faschismus".

Die Veranstaltung verband drei für Celle besonders wichtige Themen miteinander: die ezidische Identität, Krieg mittels deutscher Waffen und Frauenbefreiung.

Je nach Schätzung sind 15–30 Prozent der Bevölkerung in Celle ezidisch. Das Mala Êzîdiya gehört seit nun einem Vierteljahrhundert zu Celle, hier lebt die größte ezidische Gemeinde außerhalb ihrer Herkunftsländer. Das ist den großzügigen Räumlichkeiten anzumerken und die bunten, symbolträchtigen Wandbemalungen zeugen von einer lebendigen und offenherzigen Kultur.

Im Kanton Efrîn liegt das letzte zusammenhängende ezidische Siedlungsgebiet auf syrischem Staatsterritorium, es umfasst ca. 29 Dörfer. Da es das türkische Militär bei seinem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf den Kanton Efrîn der Demokratischen Konföderation Nordsyrien insbesondere auf zivile Einrichtungen wie Krankenhäuser und Wohnviertel abgezielt hatte, haben die Verteidigungskräfte der YPJ/YPG und QSD die Zivilbevölkerung aus dem gesamten Gebiet mittlerweile evakuiert.

Diesen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg führt das faschistoide AKP-Regime mithilfe seines jahrzehntelangen Waffenbruders Deutschland. Noch nach dem Beginn der Invasion des türkischen Militärs in Efrîn lieferte die Bundesregierung Waffen im Wert von vier Millionen Euro. Manche dieser Mord- und Massenmordinstrumente stammen aus der Produktion der deutschen Rüstungsfirma Rheinmetall, die unter anderem in Unterlüß im Landkreis Celle einen Standort betreibt.

Mit diesen Waffen wird nun eine sich seit dem Beginn des Bürgerkriegs in Syrien im Jahr 2012 selbst verwaltende und organisierende Gesellschaft angegriffen. Die Ideen für dieses Gesellschaftsmodell, den Demokratisches Konföderalismus, stammen von Abdullah Öcalan, der seit mehr als 19 Jahren in türkischer Isolationshaft gefangen ist, und der kurdischen Arbeiter*innenpartei PKK. Die Idee beruht auf den drei Säulen Basisdemokratie, Ökologie und Frauenbefreiung. Anja Flach stellte im Rahmen der Veranstaltung verschiedene gesellschaftliche Projekte vor, die in der Demokratischen Konföderation Nordsyrien ihre Verwirklichung finden. Viele Menschen auf der ganzen Welt sehen hierin ein Wahrwerden des Traums von Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität und Gleichheit.

Am Dienstagabend in Celle standen vor allem die Projekte der Frauen im Fokus. Diese sind zutiefst beeindruckend und umfassend: von Kindergärten, verschiedenen Kooperativen, über die autonome Organisierung der jungen Frauen und der unabhängigen Pressearbeit der Frauen, um die Hegemonie des patriarchalen Blickes zu durchbrechen, bis zu wöchentlich in den Kommunen stattfindenden Frauenbildungsseminaren und dauerhaften Frauen-Akademien, bis hin zu den verschiedenen Organisationen der Selbstverteidigung und dem Dorf der freien Frauen „Jinwar" südlich von Amude.

Eine Sprecherin des Feministischen Jugendkomitees Celle sagte nach der Veranstaltung: „Den Angriff auf Efrîn nehme ich zutiefst persönlich, alle feministischen Menschen weltweit sollten dies tun. Was die Frauen in Rojava geschafft haben, mit welcher Überzeugung und Kraft sie das Ziel ihrer Befreiung verfolgen und was für eine grenzenlose Liebe sie dabei ausstrahlen, inspiriert mich und erfüllt mich mit Hoffnung. Die Projekte, die dort zum Leben erweckt werden, besonders das Frauendorf Jinwar, lassen mein Herz höher schlagen und sind für uns alle ein großes Vorbild. Ich fühle mich mit meinen Schwestern, Genossinnen und Freundinnen in Rojava eng verbunden und wenn das türkische Militär sie und ihre Gesellschaft angreift, dann greift es mich an. Ganz persönlich. Es greift uns alle an, als Frauen, als Trans, als Inter und als alle Menschen, die die Freiheit lieben. Das nehmen wir nicht hin!"

Die Besucher*innen der Veranstaltung waren sich einig darüber, dass sowohl die Waffenlieferungen als auch das Fehlen von klaren Konsequenzen seitens der deutschen und internationalen Politik absolut inakzeptabel und heuchlerisch sind. Sie appellierten an die Friedensbewegung in Europa und Deutschland, mehr und wirkungsvolleres Engagement zu zeigen, und den Genozid-Interessen der Erdoğan-Politik ein Ende zu bereiten. In Celle, wie in vielen anderen Städten auch, haben in den letzten Wochen und Monaten zahlreiche und vielfältige Protestaktionen stattgefunden und alle stimmten darin überein, dass diese Aktivitäten weiter anhalten werden und müssen. So wird jeden Freitag ab 16.00 Uhr eine Kundgebung in der Celler Innenstadt abgehalten. Die Menschen in dem kleinen Kanton Efrîn haben 58 Tage lang einen unerbittlichen und bewundernswürdigen Widerstand geleistet. Die Verteidigung wird nun in einer anderen Weise fortgeführt. Der Widerhall aus Deutschland und Europa muss ebenso lauter und breiter werden.