Demirtaş ruft zur Basisorientierung auf

Selahattin Demirtaş, der bei den Wahlen in der Türkei am 24. Juni von der HDP als Präsidentschaftskandidat aufgestellt wurde, hat sich aus dem Gefängnis Edirne heraus zu den aktuellen Entwicklungen zu Wort gemeldet.

Selahattin Demirtaş, Präsidentschaftskandidat der Demokratischen Partei der Völker (HDP), hat im Gefängnis in Edirne in der Westtürkei einen Artikel zu dem in der Türkei errichteten Präsidialsystem und den Aufgaben seiner Partei verfasst.

Knapp zwei Monate nach den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in der Türkei ruft Demirtaş seine Partei insbesondere zur Basisarbeit auf. „Die Beschränkung des Kampfes auf die türkische Nationalversammlung, die inzwischen vollkommen funktionslos gemacht worden ist, ist genau das, was der faschistische AKP/MHP-Block will“, schreibt der ehemalige HDP-Vorsitzende.

Weiter heißt es in dem Artikel:

„Ihr müsst innerhalb der Gesellschaft kämpfen. Den Großteil eurer Zeit und Energie solltet ihr der Organisierung und demokratischen Aktivitäten widmen. Angesichts der fortgesetzten Rechtlosigkeit und ständiger ungerechter Entscheidungen müsst ihr die Proteste dagegen anführen. Euer demokratisches Recht auf Kundgebungen, Demonstrationen und Versammlungen müsst ihr täglich in Anspruch nehmen. Außerdem müssen die Möglichkeiten einer Solidarität und Zusammenarbeit mit allen oppositionellen Kreisen der Gesellschaft vervielfältigt werden. Die Probleme aller Unterdrückten müssen auf der Straße thematisiert und sichtbar gemacht werden.

Gegen die Kriegspolitik muss der Frieden verteidigt werden. Dabei dürft ihr weder Zurückhaltung noch Besorgnis zeigen, sondern müsst eure Stimme überall erheben. Ihr müsst der gesamten Türkei erklären, dass der Kriegskreislauf am ehesten gebrochen werden kann, indem die ethisch und rechtlich nicht zu vertretende Isolation auf Imrali aufgehoben und Abdullah Öcalan als Friedensakteur anerkannt wird. Wenn ihr der Meinung seid, dass es keine Alternative außer Widerstand gibt, müsst ihr selbst Widerstand leisten, den Widerstand organisieren und so der Unterstützung, die ihr von der Bevölkerung erfahrt, gerecht werden.

In einer Situation, in der selbst die Wähler*innen der HDP offen bedroht werden, kann es innerhalb der Bevölkerung zu emotionalen Verletzungen kommen, wenn der Willen des Volkes nicht genügend Beistand erfährt. Daher ist es unbedingt notwendig, die Beziehungen zur Basis zu stärken. Es müssen herzliche und solidarische Verbindungen zu den Tausenden inhaftierten Parteimitgliedern und ihren Familien aufgebaut werden. In jüngster Zeit ist bei vielen das Gefühl aufgekommen, alleine dazustehen. Diese Situation wird dafür benutzt, die Verbindung zwischen der Basis und dem Parteivorstand zu zerstören. Dagegen müssen dringend Maßnahmen getroffen werden. Eine Bewegung, die sich nicht für die eigenen Werte einsetzt, kann sich nicht auf den Beinen halten.

Die Opposition in der Türkei braucht keine neue Partei, sondern muss sich höhere Ziele stecken. Die HDP hat das Potential dafür. Sie verfügt über eine starke Basis und ist eine äußerst wichtige politische Kraft. Wichtig ist nur, dieses Potential zu organisieren und zu aktivieren. Die neue HDP-Fraktion besteht aus sehr erfahrenen, aufrichtigen und mutigen Freundinnen und Freunden aus verschiedenen gesellschaftlichen Kreisen. Die Bevölkerung erwartet von ihnen, dass sie einer gemeinsamen Perspektive entsprechend vorgehen und sich an die Spitze aller Unterdrückten stellen. Dem HDP-Vorstand muss es gelingen, eine gemeinsame Planung zu koordinieren und umzusetzen.

Ich bin davon überzeugt, dass die HDP die Erwartungen an sie als wichtigste oppositionelle Kraft mutig und aufrichtig erfüllen wird. Im Namen aller politischen Menschen, die als Geiseln in den Gefängnissen festgehalten werden, kann ich eindeutig erklären, dass wir mit aller Kraft, aus ganzem Herzen und mit unserer Praxis an eurer Seite stehen. Wir glauben an euren Erfolg und an eine freie, demokratische, gleichberechtigte und friedliche Zukunft.“