DBP: Nationalstaaten sind keine Lösung für die Krisen im Nahen Osten

Der DBP-Vorsitzende Keskin Bayindir sieht das Nationalstaatsmodell weder im Nahen Osten noch irgendwo auf der Welt als Lösung für Krisen: „Das zeigt die Situation in Kurdistan, Afghanistan, Armenien, Aserbaidschan, Irak, Syrien und Palästina deutlich.“

Die DBP (Partei der demokratischen Regionen) hält im Vorfeld ihres 6. Parteikongresses in Ankara eine Konferenz in Amed (tr. Diyarbakir) ab. An der Veranstaltung im Stadtbezirk Rêzan (Bağlar) nehmen Tausende Menschen aus der kurdischen Region in der Türkei teil. Auf kurdischsprachigen Transparenten wird die aktuelle Zielrichtung verdeutlicht: „Mit einer organisierten Gesellschaft das freie Leben aufbauen“ (Em ê bi civaka rexîstinbûyi jiyana azad ava bikin) und „Frauen organisieren das Leben“ (Jin jiyanê rêxistin dike).


Die Konferenz begann mit Begrüßungsansprachen der DBP-Vorsitzenden Saliha Aydeniz und Keskin Bayindir, die beide als Abgeordnete im Parlament der Türkei sitzen. Die DBP ist eine Schwesterpartei der HDP, die aufgrund eines laufenden Verbotsverfahrens in den Hintergrund getreten ist und ihre Kompetenzen an die HEDEP übergeben hat.

Keskin Bayindir ging in seiner Rede auf die aktuelle politische Lage im Nahen Osten ein und sagte, dass das System der kapitalistischen Moderne kurz vor dem Zusammenbruch stehe: „Keine Macht kann diesen Zusammenbruch mehr verhindern. Der Grund für die Kriege im Nahen Osten ist eine der Folgen dieses Zusammenbruchs. Hegemoniale Mächte haben die Geographie des Nahen Ostens in ein Schlachtfeld verwandelt. Der 3. Weltkrieg hat begonnen und dauert an, mit großen Kosten für die gesamte Menschheit. Der gesamte Nahe Osten, insbesondere Kurdistan, hat sich in ein Blutbad verwandelt. Im Jahr des hundertjährigen Bestehens des Vertrags von Lausanne sind neue Schritte zur Neugestaltung des Nahen Ostens in Kraft. Das zeigt die Situation in Kurdistan, Afghanistan, Armenien, Aserbaidschan, Irak, Syrien und Palästina deutlich. Es wird versucht, den Völkern durch Krieg und Besatzung die Zukunft zu nehmen. Wir können sagen, dass die kapitalistische Moderne vor allem Kurdistan ins Visier nimmt."

Keskin Bayindir: Nationalstaaten sind das Problem, nicht die Lösung

Die Hauptursache für Kriege und Krisen sei die „Teile und herrsche"-Mentalität der Nationalstaaten, so Bayindir weiter: „Solange die Identität und der Status der Völker nicht anerkannt werden, wird das Blutvergießen im Nahen Osten nicht aufhören. Nationalstaaten sind kultureller Völkermord, Assimilation, Verleugnung, Identitätsgenozid, Plünderung, Zerstörung und monistische Mentalität. Aus diesem Grund können Nationalstaaten weder im Nahen Osten noch irgendwo auf der Welt eine Lösung für Krisen sein. Das Modell des Nationalstaats kann kein Heilmittel für den Nahen Osten sein. Wir sehen diese Realität heute im palästinensisch-israelischen Krieg. Die einzige Lösung ist das Modell der Demokratischen Moderne. Damit sind Freiheit in Kurdistan und Demokratie im Nahen Osten möglich. Im Modell der Demokratischen Moderne können sich alle Identitäten und Überzeugungen frei äußern. Es steht für ein gemeinschaftliches Leben und wurde unter großen Anstrengungen in Rojava etabliert. Wir können die Ergebnisse davon gut sehen. Trotz der Angriffe leben in Rojava alle Identitäten, Glaubensrichtungen und Kulturen zusammen. Die Völker in Rojava säen gemeinsam die Saat der Freiheit. Rojava zeigt, dass die Demokratische Moderne kein Traum ist. Wir können dieses Modell überall verwirklichen."

Lösung der kurdischen Frage

Weiter sagte Keskin Bayindir, dass eine politische Lösung der kurdischen Frage eine grundlegende Voraussetzung für Frieden im Nahen Osten sei, und schlug an dieser Stelle den Demokratischen Konföderalismus als Gegenentwurf zum Nationalstaatsmodell vor. Das von Abdullah Öcalan vorgelegte konföderale Modell gebe „den unterdrückten Völkern im Nahen Osten und in anderen Teilen der Welt Hoffnung. Der Architekt dieses Modells ist Herr Öcalan“, erklärte der DBP-Vorsitzende und forderte eine Rückkehr zum Dolmabahçe-Konsens von 2015.

Zeit für Freiheit und große Erfolge in Kurdistan

Einer der Gründe für die Isolation von Abdullah Öcalan und seiner Lösungsvorschläge und die Verschärfung der kurdischen Frage sei die Zersplitterung der Gesellschaft Kurdistans, so Bayindir: „Die Hauptaufgabe der DBP ist es, die Gesellschaft zu organisieren und eine nationale Einheit zu gewährleisten. Das ist wichtig, damit die kurdischen Errungenschaften einen dauerhaften Status bekommen. Die Zukunft und die Errungenschaften der Bevölkerung von Kurdistan dürfen nicht für persönliche Interessen missbraucht werden. Unsere Haltung gegenüber Kollaborateuren, die die Zukunft des kurdischen Volkes aufs Spiel setzen, muss klar sein. Unsere Hauptaufgabe ist es, einen starken Kampf und eine Einheit aufzubauen, auf die das kurdische Volk stolz sein kann. Keine Macht wird in der Lage sein, das kurdische Volk auf seinem Weg zu Freiheit und Erfolg aufzuhalten. Das kurdische Volk wird sein Land demokratisieren und ein freies Leben in Kurdistan aufbauen. Jetzt ist die Zeit für große Erfolge in Kurdistan, für die Freiheit der Frauen und des Volkes. Es ist Zeit für die Freiheit. Es ist an der Zeit, ein ökologisches und demokratisches Leben in Kurdistan aufzubauen.“