Das Bundesverfassungsgericht hat Regelungen Hamburgs zur automatisierten Verarbeitung personenbezogener Daten für verfassungswidrig erklärt. Gegen die Nutzung einer speziellen Software, die Informationen aus verschiedenen polizeilichen Datenbanken auswertet und der Polizei ein sogenanntes Lagebild liefert, hatten unter anderem Journalistinnen und eine Strafverteidigerin geklagt, darunter auch die Ethnologin und Aktivistin der kurdischen Frauenbewegung Anja Flach. Sie fordern eine grundsätzliche Abkehr von der Politik der permanenten Ausweitung der Befugnisse von Sicherheitsbehörden. Auch in Hessen verstießen die Polizeigesetze in ihrer jetzigen Form gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und das Persönlichkeitsrecht, urteilte der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts am Donnerstag.
Karlsruhe lehnt Praxis nicht grundsätzlich ab
Mit dem Grundsatzurteil gab das Bundesverfassungsgericht in weiten Teilen zwei von der Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. (GFF) eingereichten Verfassungsbeschwerden gegen automatisierte Datenauswertung durch die Polizei in Hamburg und Hessen statt. Die Karlsruher Richter:innen erklärten die Hamburger Regelung für nichtig und die hessische Befugnis für verfassungswidrig. Das Gericht machte deutlich: Die Polizei darf zwar grundsätzlich mithilfe einer Software auf Knopfdruck Informationen und Querverbindungen zu Personen herstellen, um Straftaten vorzubeugen (Data Mining). Dafür müsse das Gesetz aber klare Vorgaben dazu machen, unter welchen Bedingungen dies zulässig ist. Sonst verstießen die Regelungen gegen das Recht, über die eigenen Daten zu bestimmen.
Auswertung nur zum Schutz von Leib, Leben oder persönlicher Freiheit
Mit den Verfassungsbeschwerden griff die GFF unter anderem an, dass die Rechtsgrundlagen in Hessen und Hamburg völlig unklar ließen, aus welchen Quellen, mit welcher Datenmenge und zu welchem Zweck die Polizei die Befugnis zum Data Mining nutzen darf. Das Gericht entschied, dass eine automatisierte Auswertung nur zum Schutz von Leib, Leben oder persönlicher Freiheit eingesetzt werden darf.
Flach: Wichtige Entscheidung für Medienschaffende und Kontaktpersonen
Die Beschwerdeführerin Anja Flach erklärte gegenüber ANF: „Es ist sehr gut, dass das Bundesverfassungsgericht den umfassenden Einsatz von dieser Spezialsoftware gestoppt hat. Die Polizei darf keine generelle Erlaubnis für die Nutzung von Software bekommen, mit der sie ganze Persönlichkeitsprofile erstellen kann. Das Urteil ist eine gute Nachricht für uns als Medienschaffende oder Aktivist:innen. Es grenzt die Möglichkeit der Polizei ein, einen nahezu lückenlosen Einblick in das Leben, die Beziehungen und Netzwerke von unzähligen Personen zu bekommen. Dadurch verringert sich auch die Gefahr, dass Menschen, mit denen wir als Journalist:innen oder Aktivist:innen in Kontakt treten, ins Visier der Polizei zu geraten.“
Rot-grüne Regierungskoalition ignorierte Proteste
2019 waren in Hamburg tausende Menschen auf die Straße gegangen, um gegen die umfangreichen neuen Kompetenzen für Polizei und Verfassungsschutz zu protestieren. Flach kritisiert, dass der Protest von der rot-grünen Regierungskoalition völlig ignoriert wurde. „Das Bundesverfassungsgericht hat dem einen Riegel vorgeschoben. Die Koalition sollte nun auch die anderen höchst fragwürdigen Teile der Verschärfungen von 2019, wie etwa den Staatstrojaner, reformieren“, fordert die Ethnologin.
Urteil hat Pilot-Charakter
Die Verfassungsbeschwerde wurde von der Gesellschaft für Freiheitsrechte koordiniert und von den Kritischen Jurastudierenden Hamburgs, dem AStA der Universität Hamburg, der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen, der Humanistischen Union und der Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union dju in ver.di. unterstützt. Das heute erstrittene Urteil ist nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Polizeigesetz Mecklenburg-Vorpommern vom Januar der zweite Erfolg der GFF innerhalb weniger Wochen gegen die polizeigesetzlichen Novellen der Bundesländer aus den letzten Jahren und hat Pilot-Charakter. Auch Nordrhein-Westfalen hat ein entsprechendes Polizeigesetz verabschiedet. Weitere Bundesländer planen, ihrer Polizei die automatisierte Datenauswertung ebenfalls zu ermöglichen.