Der Hamburger Verfassungsschutz und die Polizei verfügen seit April 2020 über scharfe Überwachungsinstrumente: Der Verfassungsschutz darf mit Trojanern verschlüsselte Kommunikation ausforschen, die Polizei mittels Algorithmen Personenprofile erstellen. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. (GFF) und weitere NGOs haben nun Verfassungsbeschwerde gegen die entsprechenden Gesetzesänderungen erhoben. „Angesichts der umstrittenen Überwachungspraxis von Geheimdiensten und wiederkehrender Polizei-Skandale sind neue Befugnisse für diese Behörden höchst bedenklich. Wie diese Befugnisse in Hamburg geregelt sind, ist darüber hinaus verfassungswidrig“, sagt Bijan Moini, Jurist und Verfahrenskoordinator bei der GFF.
Geheimdiensttrojaner verletzt Grundrechte
Seit der Änderung des Hamburgischen Verfassungsschutzgesetzes darf sich das Hamburger Amt für Verfassungsschutz ohne Gerichtsbeschluss oder ähnliche Vorab-Kontrolle in Geräte bestimmter Personen hacken. Das verletzt Betroffene in ihrem IT-Grundrecht (Recht auf Gewährleistung der Integrität und Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme) und es verletzt ihr Telekommunikationsgeheimnis, heißt es in der Verfassungsbeschwerde. Zudem gefährde der Geheimdiensttrojaner die vertrauliche Kommunikation von Berufsgeheimnisträgern wie Anwält*innen und Journalist*innen und verletze damit insbesondere die Pressefreiheit. „Da mit dem Geheimdiensttrojaner auch verschlüsselte Nachrichten nicht mehr sicher sind, ist es mir kaum möglich, meine journalistische Tätigkeit auszuführen“, sagt die Hamburger Ethnologin, Buchautorin und Aktivistin der kurdischen Frauenbewegung Anja Flach. Die langjährige Mitarbeiterin der Informationsstelle Kurdistan (ISKU) schreibt unter anderem für ANF und die junge Welt und zählt zu den Kläger*innen.
Hamburger Regelungen zum Trojaner-Einsatz sind verfassungswidrig
Trojaner in Händen von Geheimdiensten seien verfassungswidrig, wenn ihr Einsatz nicht hinreichend begrenzt sei und der Staat Sicherheitslücken in IT-Systemen ausnutze, statt sie den Betreibern zu melden. All das sei in Hamburg der Fall, so die Beschwerdeführenden. Zudem urteilte das Bundesverfassungsgericht nach einer Verfassungsbeschwerde der GFF gegen die Auslandsüberwachung durch den Bundesnachrichtendienst im vergangenen Mai, dass die heimliche Überwachung bestimmter Personen einer gerichtsähnlichen Vorab-Kontrolle unterliegen muss. „In Hamburg werden die Überwachungsbefugnisse deutlich erweitert, ohne das Kontrollregime zu verbessern – damit ist der Verfassungsverstoß programmiert“, sagt Moini.
Hamburger „Predictive Policing“-Ansatz ist verfassungswidrig
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich außerdem gegen die automatisierte Auswertung von Daten durch die Hamburgische Polizei. Die Polizei darf seit Dezember 2019 automatisierte Personenprofile aus einer nicht näher bestimmten Menge an Daten erstellen, darunter gegebenenfalls auch öffentlich verfügbare Daten aus sozialen Netzwerken. Es sei unklar, von wem Profile angefertigt werden können und welche Konsequenzen etwaiger „Beifang“ für die Betroffenen habe, also die Erfassung von Personen, die selbst nicht als gefährlich gelten. Unklar sei auch, für welche Zwecke genau Software eingesetzt werden kann und wie lange die Profile gespeichert werden. In Hamburg soll dadurch die vorbeugende Verbrechensbekämpfung („Predictive Policing“) halten – allerdings unter Verletzung der Grenzen, die das Bundesverfassungsgericht der weniger eingriffsintensiven Rasterfahndung gesetzt hat.
Bund will Nachrichtendienste deutschlandweit mit Trojanern ausstatten
Die Verfassungsbeschwerde steht in einem bundespolitischen Zusammenhang: Die Große Koalition will das sogenannte Artikel-10-Gesetz kurzfristig ändern und alle Verfassungsschutzbehörden sowie weitere Nachrichtendienste mit Trojanern ausstatten. Die Reformpläne leiden an den gleichen Mängeln wie das Hamburgische Verfassungsschutzgesetz. „Unsere Beschwerde gegen das Hamburger Gesetz ist ein Musterverfahren für die Reform auf Bundesebene: Wir wollen die mit dem Geheimdiensttrojaner verbundenen Grundsatzfragen frühzeitig durch das Bundesverfassungsgericht klären lassen“, sagt Moini.
Auch Anja Flach zählt zu Kläger*innen
Die GFF koordiniert die Verfassungsbeschwerde. Initiiert wurde und unterstützt wird sie von der Humanistischen Union Hamburg, den Kritischen Jurastudierenden Hamburg, der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen und der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju). Zu den Kläger*innen zählt auch die Rechtsanwältin Britta Eder. „Diese Gesetze sind für uns alle gefährlich, weil sie Polizei und Geheimdiensten immer weitergehende Eingriffsbefugnisse in die Privatsphäre unzähliger Menschen erlauben. Und das weitgehend ohne effektive Kontrollmechanismen durch Justiz oder das Parlament. Dabei hätte sich gerade vor dem Hintergrund der aus zahlreichen Geheimdienstskandalen bekannten Befunde aufgedrängt, von Seiten des Gesetzgebers Restriktionen festzuschreiben. Ich denke hier zum Beispiel an den sogenannten NSU“, sagt die Juristin. Die GFF klagt in Karlsruhe auch schon gegen Polizei- oder Verfassungsschutzgesetze aus Bayern, Hessen und Baden-Württemberg.