„Das Sterben muss enden - es reicht - wir wollen Frieden“

In Istanbul hat gestern eine vom HDP-Provinzverband organisierte große Kundgebung für die Aufhebung der Isolation des kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan stattgefunden.

In Istanbul hat am Sonntag eine vom HDP-Provinzverband organisierte Kundgebung für die Aufhebung der Isolation kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan stattgefunden. Die Kundgebung vor der Zentralmoschee im Istanbuler Stadtteil Şişli, an der auch viele Friedensmütter und Familien der hungerstreikenden politischen Gefangenen teilnahmen, fand unter massiver Polizeipräsenz statt. Die Teilnehmenden erinnerten an die seit 152 Tagen hungerstreikende Initiatorin des Kampfes, die HDP-Abgeordnete Leyla Güven, und an tausende von Gefangenen mit der Parole „Es lebe der Gefängniswiderstand“.

Sofortiges Ende dieses Unrechts

Der erste Redebeitrag auf der Kundgebung im Polizeikessel kam von Aynur Taş, der Schwester des seit dem 1. März im Gefängnis von Rize-Kalkandere hungerstreikenden Gefangenen Serhat Karsu. Taş trug das Bild ihres Bruders und berichtete mit von Tränen erstickter Stimme, ihr Bruder sei in Einzelhaft geworfen worden. „Unsere Kinder haben ihre Körper zum Sterben niedergelegt. Was war das Verbrechen meines Bruders, so dass er zu 130 Jahren Haft verurteilt wurde? Er ist im Gefängnis, weil er Kurde ist und sein eigenes Volk verteidigt. Keiner der politischen Gefangenen ist schuldig. Wir sind alle Serhat – Serhat hat tausende Geschwister. Das Sterben muss enden – es reicht – wir wollen Frieden.“

An Emine Erdoğan, Ehefrau des türkischen Regimechefs Recep Tayyip Erdoğan gerichtet, sagte Taş: „Wenn du ein Gewissen hast, dann verleihe uns eine Stimme. Es reicht – dieses Unrecht muss enden. Wenn der Präsident hier keine Grausamkeit entdecken kann, dann solltest du diese doch wenigstens als Mutter sehen. Die Unterdrückung der kurdischen Bevölkerung muss enden. Wir akzeptieren diese Situation nicht.“

„Wir stehen bis zum Ende hinter ihnen“

Der Sohn von Fatma Sebuktekin, Ramazan Sebuktekin, wurde im Alter von 15 Jahren inhaftiert und befindet sich im Gefängnis von Maraş ebenfalls seit 38 Tagen im Hungerstreik. Fatma Sebuktekin richtete ihre Worte ebenfalls an Emine Erdoğan: „Ich frage Sie, was hätten Sie gemacht, wenn Ihre Kinder im Alter von 15 Jahren ins Gefängnis geworfen worden wären? Unsere Kinder, unsere Jugendlichen haben ihre Körper zum Sterben niedergelegt – aber es fällt nicht ein einziges Wort.“ Sie fuhr fort: „Wir stehen bis zum Ende hinter den Hungerstreikenden. Bis die Forderungen des Hungerstreiks erfüllt sind, werden wir ihre Stimme sein.“

„Ich habe den Glauben an die Gerechtigkeit verloren“

Cahide Yıldırım, Schwester des seit dem 17. Dezember in Straßburg gemeinsam mit 13 weiteren Aktvist*innen hungerstreikenden Ko-Vorsitzenden des kurdischen Europaverbands KCDK-E, Yüksel Koç, wies auf die kontinuierliche Verschlechterung des Gesundheitszustands der Hungerstreikenden hin. Sie berichtete, drei Tage und drei Nächte vor dem Justizministerium verbracht, aber nicht einen Ansprechpartner gefunden zu haben. In dieser Zeit habe sie ihren Glauben an die Gerechtigkeit verloren, berichtete Yıldırım. „Jeden Tag kommen Todesnachrichten aus den Gefängnissen. Diese Nachrichten verbrennen unsere Herzen. Die Mainstreammedien schreiben nichts davon. Es reicht - was wollt ihr von uns? Sollen wir auch noch aufhören, den Widerstand unserer Kinder zu verteidigen?“, sagte Yıldırım.

Çiçek: Alle brauchen das Recht

Zum Abschluss der Kundgebung richtete Cengiz Çiçek, Ko-Vorsitzender des HDP-Provinzverbands von Istanbul, einige Worte an die Anwesenden. Der Politiker unterstrich zunächst, dass die Hungerstreiks in der Türkei bereits vor fünf Monaten begannen und erklärte: „Diejenigen, die heute in den Kerkern hungern, fordern nichts weiter, als dass diejenigen, die dieses Land regieren, die Gesetze anwenden. Unsere Hauptforderung ist, dass das Recht überall gelten muss. Alle brauchen das Recht. Dies haben wir in Bezug auf die politischen Entwicklungen in diesem Land bezeugen können. Denjenigen, die gestern das Recht in den Händen hielten, wird es heute vorenthalten. Deshalb muss das Recht in einem Land unabhängig von Partei und Ansicht gelten und allen gegenüber gleich und gerecht angewandt werden.“

Aufruf ans Justizministerium: Ihr seid verpflichtet, Gerechtigkeit zu garantieren

Çiçek fuhr fort: „Wenn es in diesem Land sogar in den Gefängnissen doppelte Standards gibt, dann ist es nicht unsere Aufgabe, das zu untersuchen, es ist die Pflicht der Regierung. Sie ist verpflichtet, in den Gefängnissen in der Türkei für Gleichheit und Gerechtigkeit zu sorgen. Die illegalen Bedingungen, unter denen Herr Öcalan inhaftiert ist, müssen sofort aufgehoben werden; Besuche seiner Anwält*innen und seiner Familie müssen garantiert und seine in den Gesetzen definierten Rechte umgehend anerkannt werden. Die illegale Praxis muss sofort enden. Wenn in dieses Land Frieden kommen soll, dann geht das nur gemeinsam mit Gleichheit.”

„Dieses Lied wird vollendet werden”

Çiçek erinnerte in seiner Rede an den Hungerstreik von Bobby Sands und seinen Freunden in Nordirland und erklärte: „Es gibt ein Buch über den Hungerstreik von Bobby Sands und seinen Freunden. Dort wird der Kampf als ein ‚halbfertiges Lied‘ bezeichnet. Ja, in Irland ist dieses Lied vielleicht nicht vollendet worden. Aber im kollektiven Kampf um Demokratie werden diese Lieder niemals unvollendet bleiben. Wir werden dafür kämpfen, dass die Leben der hungerstreikenden Freund*innen in den Gefängnissen nicht enden. Wir werden dafür sorgen, dass ihre Lieder nicht unvollendet bleiben.“