Corona: Intensivstationen in der Türkei überfüllt
Die Covid-19-Pandemie breitet sich in der Türkei schnell aus. Jeden Tag steigt die Zahl der Erkrankten. Ärzt*innen warnen vor dem baldigen Ende der Kapazitäten.
Die Covid-19-Pandemie breitet sich in der Türkei schnell aus. Jeden Tag steigt die Zahl der Erkrankten. Ärzt*innen warnen vor dem baldigen Ende der Kapazitäten.
Der rapide Anstieg der Covid-19-Fälle in der Türkei deutet darauf hin, dass die Türkei das Erkrankungsniveau Italiens und Spaniens auch offiziell viel schneller erreicht als angegeben. Die türkische Regierung hatte sehr spät damit begonnen, Maßnahmen gegen die Covid-19-Pandemie zu ergreifen. Vieles deutet darauf hin, dass die Zahl der Erkrankten und Verstorbenen vom Erdoğan-Regime aktiv verschleiert wird. Die Mitarbeiter*innen im Gesundheitsbereich klagen bereits jetzt über das Fehlen von Intensivbetten und Schutzausrüstung. Ärzt*innen, die sich öffentlich zu der katastrophalen Lage erklären, werden vom Regime unter Druck gesetzt, sich öffentlich zu entschuldigen, oder sie werden von Ermittlungsverfahren überzogen.
Intensivstationen werden jeden Tag voller
Aufgrund dieser Bedrohungssituation scheuen viele Ärzt*innen sich öffentlich zu äußern. Ein Arzt, der am Istanbuler Universitätsklinikum Cerrahpaşa arbeitet, berichtet aus diesem Grund anonym. Er gibt an, dass sich die Angestellten selbst Schutzausrüstung beschaffen mussten und die Belegung der Intensivstationen von Tag zu Tag steigt. Während der türkische Regimechef Erdoğan behauptet, sein Land sei unter den Ländern mit den besten Maßnahmen gegen Corona, berichten Ärzt*innen aus der Praxis, dass schon jetzt die Intensivstationen aus den Nähten platzen und die Zukunft ungewiss sei.
Extrem lange Arbeitszeiten
Der Facharzt berichtet, dass unter normalen Bedingungen in Zwölfstundenschichten gearbeitet wird. Er fährt fort: „Aber natürlich müssen wir länger arbeiten. Nach meinen Kenntnissen arbeiten auch die anderen Krankenhäuser an ihren Kapazitätsgrenzen.“
Intensivbetten reichen nicht aus
Alle Bereiche in den Krankenhäusern werden auf Covid-19-Patienten umgerüstet, erklärt er: „Weil die Zahl der Betten auf den Intensivstationen nicht ausreichen, werden zusätzliche Liegeplätze den Möglichkeiten der Krankenhäuser entsprechend hinzugefügt. Alle Bereiche sind auf Covid-19 umgestellt worden. Unser neurologisches Zentrum wurde zum Beispiel komplett auf an Covid-19 erkrankte Patienten umgerüstet. Das gleiche geschah in der Gynäkologie. Außerdem wurden eine Covid-Poliklinik und eine Akut-Klinik eröffnet.“
Über die Situation im Cerrahpaşa-Krankenhaus sagt er: „Unsere Intensivstation ist voller Covid-19-Patienten. Wir werden den Hauptoperationssaal schließen und in eine Intensivstation umwandeln, wenn weitere Kranke kommen. Wir hatten vorher sechs Betten bereitgestellt. Die sind belegt. Am Freitag waren es zwölf, aber auch die sind belegt. Ich weiß nicht, wie viele wir noch aufnehmen können. Denn das Personal ist begrenzt. Was ich zuletzt hörte, war, dass es 180 Covid-19-Fälle gibt. Wie viele es heute sind, weiß ich nicht. Die Plätze der Verstorbenen werden sofort neu belegt.“ Zu der Lage in den anderen Istanbuler Krankenhäusern sagt der Arzt: „Wir gehen davon aus, dass alle öffentlichen Pandemie-Krankenhäuser voll sind, das zeigen uns ja auch die Zahlen.“
Es reicht nicht einmal für zehn weitere Erkrankte
Der Arzt weiter: „Das Personal in den Krankenhäusern ist dafür ausgelegt unter normalen Bedingungen zu arbeiten. Insbesondere die Intensivbehandlung benötigt weiteres Personal. Jetzt wurde die Kapazität der Intensivstationen verdoppelt. Personal, dass bisher nicht im Intensivbereich gearbeitet hat, wie etwa OP-Schwestern, wechseln in diesen Bereich. Wir helfen uns gerade mit medizinischem Personal aus dem Anästhesie- und Reanimationsbereich aus, aber bald brauchen wir auch die Kardiologen, die HNO-Ärzte und alle anderen für den intensivmedizinischen Bereich. In den Covid-19-Stationen arbeiten jetzt schon alle, vom Orthopäden bis zum Urologen. Wenn morgen noch zehn weitere Kranke hier aufgenommen werden, dann übersteigt das das Mögliche.
Schutzausrüstung stammt aus Spendenkampagne
Zu Beginn der Pandemie hatten wir keine Schutzausrüstung. Wir haben uns selbst versorgt. Dann haben wir eine Spendenkampagne gestartet und es kam die erste Ausstattung. Danach behauptete das Gesundheitsministerium, es gäbe keinen Mangel an Material. Erst danach gaben sie welches an uns aus. Wir haben Schutzausrüstung schon nach dem ersten Krankheitsfall gefordert. Aber da sie angeblich nicht nötig war, wurde sie uns nicht gegeben. Jetzt kommt sie, aber ob sie ausreichen wird, wissen wir nicht. Auf der ganzen Welt klagen Personen aus dem Gesundheitswesen über den Mangel an Schutzausrüstung. Wenn das jetzt ein oder zwei Monate so weiter geht, wird das auch bei uns so sein. Natürlich gilt das, was ich sage, nur für unser Krankenhaus. Wir hören aus den anderen Provinzen von Kollegen, dass sie große Probleme mit der Versorgung haben. Die Situation in den Privatkrankenhäusern ist meiner Meinung nach sogar noch schlechter.“
Die im Gesundheitsbereich Beschäftigten sind frustriert
Nach den letzten Zahlen sind über 600 Menschen aus dem Gesundheitsbereiche mit dem Virus infiziert. Einige von ihnen sind sehr schnell gestorben. Zur psychischen Situation der Gesundheitsbeschäftigen sagt der Istanbuler Arzt: „Sie sind sehr frustriert. Die Menschen leben in Furcht und leiden darunter, ihre Kinder und Familien nicht sehen zu können. Für diejenigen, die nach Hause gehen müssen, ist es sogar noch schlimmer. Bei manchen wohnen die Eltern, bei anderen die Kinder. Wenn sie erfahren, dass jemand in ihrer Umgebung oder ein Kollege Covid-19 hat, dann sind sie richtig demoralisiert.
Ich habe heute zum Beispiel eine Krankenschwester getroffen. Ihr Ehemann arbeitet in einem anderen Krankenhaus, deswegen hat sie sehr geweint. Ihr Ehemann leidet unter einer chronischen Krankheit und er gehört zur Risikogruppe. Stellen Sie sich vor, Sie haben ihr Kind zu den Großeltern geschickt und leben selbst in einem Hotel. Während die Situation ohnehin schon schwer ist, zermürbt diese Angst die Menschen im Gesundheitsbereich umso mehr.
Ich wohne in einem Hotel, das mir die Universität zur Verfügung gestellt hat, aber nicht jeder hat so viel Glück. Die Krankenschwester, von der ich erzählt habe, wohnte ebenfalls in einem Hotel, aber auf eigene Kosten. Wir Ärzte haben immer irgendwelche Möglichkeiten, aber für das Personal und die Krankenschwestern ist es viel schwerer.“