CHP reicht Verfassungsbeschwerde gegen Amnestiegesetz ein

Die CHP hat beim türkischen Verfassungsgericht Beschwerde gegen die sogenannte Corona-Amnestie eingereicht. Die Justizreform verstößt gegen den Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz, weil politische Gefangene von dem Straferlass ausgenommen sind.

Die türkische Oppositionspartei CHP (türk. Cumhuriyet Halk Partisi, deut. Republikanische Volkspartei) hat beim Verfassungsgericht Beschwerde gegen die sogenannte „Corona-Amnestie” eingereicht. Die Partei sieht in der Justizreform einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz, weil politische Gefangene vom Straferlass grundsätzlich ausgenommen sind. Zuvor hatte die CHP bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen Berufung eingelegt. Nun muss der Staatsgerichtshof in Ankara das Gesetz im Wesentlichen prüfen.

„Wir finden es falsch, Menschen aufgrund ihrer Gedanken zu verhaften”, sagte der CHP-Fraktionsvorsitzende Engin Altay am Donnerstag nach der Eingabe der Beschwerde vor dem Verfassungsgericht. „Ein Justizsystem, das Gewissensgefangene hinter Gittern lässt und Kriminelle in die Freiheit schickt, ist nicht fair”, so Altay. Das Amnestiegesetz müsse aufgehoben werden.

Mitte April hatte die islamistisch-konservative AKP zusammen mit ihrem ultranationalistischen Koalitionspartner MHP ungeachtet heftiger nationaler und internationaler Kritik ihr umstrittenes Rachegesetz nach dem Vorbild des Feindstrafrechts verabschiedet. Durch die Änderungen im Strafvollzug kamen bis Ende Mai rund 100.000 Häftlinge – größtenteils Kriminelle, darunter Mafiabosse, Gewalttäter und Vergewaltiger – in den Genuss einer Umwandlung der Haftstrafe in Hausarrest oder einer vorzeitigen Entlassung. Für Zehntausende politische Gefangene, darunter zahlreiche Journalist*innen und Menschenrechtler*innen, gegen die keine konkrete Anklagen, sondern lediglich vage formulierte „Terrorvorwürfe“ vorliegen, und kurdische Politiker*innen, gegen die Anschuldigungen erhoben werden, die sich auf konstruierte Indizien und Denunziationen stützen, ändert sich durch die Gesetzesänderung nichts. Denn sie gehören zu den politischen Gefangenen.

Die Regierung begründete die umstrittenen Haftentlassungen damit, dass die überfüllten Gefängnisse ein Nährboden für das Coronavirus sind. Die Türkei hatte mit 300.000 Gefangenen (Stand April 2020) eine sehr hohe Häftlingsquote, die hygienischen Bedingungen in den Gefängnissen waren bereits vor der Corona-Pandemie katastrophal. Am Mittwoch kündigten politische Gefangene Warnaktionen gegen die zunehmende Repression in den Strafvollzugsanstalten an. Mit der Gesetzesänderung habe in den Gefängnissen auch die Isolation, die Willkür und die Repression zugenommen, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der Gefangenen. „Insbesondere Kurdinnen und Kurden wurden praktisch zum Tode verteilt. Wir haben die Sorge, dass die erhöhte Repression in den Gefängnissen bleibt, auch wenn die Pandemie vorbei gehen sollte.“