Bundesweit Proteste gegen antikurdischen Rassismus

Nach dem Mord an einer siebenköpfigen kurdischen Familie in der Türkei haben weltweit Menschen ihre Wut und Empörung über antikurdischen Rassismus auf die Straße getragen. Auch in Deutschland ist in vielen Städten protestiert worden.

Nach dem Mord an der siebenköpfigen kurdischen Familie Dedeoğulları im zentralanatolischen Konya haben weltweit Menschen ihre Wut und Empörung über antikurdischen Rassismus auf die Straße getragen. Auch in Deutschland entzündeten sich Proteste gegen das Hassverbrechen.

In Nürnberg haben sich zahlreiche Menschen am Sonnabend in der Innenstadt versammelt. Mehrere Sprecher:innen brachten auf Kurdisch, Türkisch und Deutsch ihr Entsetzen zum Ausdruck. In einer Rede wurde die Tat in einen Zusammenhang gestellt mit der nicht nur in der Türkei verbreiteten nationalistisch-rassistischen Ideologie:

„Der Mordanschlag auf die einzige in Konya lebende siebenköpfige kurdische Familie ist der bisherige Höhepunkt einer neuen Welle von rassistisch motivierten Massakern gegen Kurd:innen in der Türkei. Sie ist vordergründig das Ergebnis einer anhaltenden anti-kurdischen Hetze der türkischen Regierung und ihres faschistischen Koalitionspartners MHP.

Rassismus in der Türkei ist jedoch älter als die jetzige Regierung. Seit der Staatsgründung wurde die Pest des kemalistischen Chauvinismus in die Köpfe der Türk:innen eingebrannt. Da wird eine Überlegenheit des „Türkentums” beschworen mit Sätzen wie „Ne mutlu Türküm diyene” („Glücklich derjenige, der sich als Türke bezeichnet“). Diese Ideologie ist der Bodensatz für Hass und Ausgrenzung und verantwortlich für offenen oder latenten Rassismus großer Teile der türkischen Bevölkerung, der sich dann – nicht nur, aber vor allem gegenüber Kurd:innen – in roher Gewalt ausdrückt.

Wenn dann eine Regierung wieder mal zum „Endsieg” gegen Kurden mobilisiert – auch um von ihren desaströsen innenpolitischen Debakeln und der außenpolitischen Isolation abzulenken – füllt sich die Landkarte mit Markierungen anti-kurdischer Übergriffe. Sie reichen von verbalen Attacken bis zu Lynchmorden – Afyon, Konya, Marmaris, Ankara ...

Wie auch in anderen Ländern ist man schnell dabei, von „Einzelfällen” zu reden. Rassistische Lynchmorde werden dann als „Nachbarschaftkonflikte” verharmlost. Dasselbe Muster, das auch Femizide zu „Partnerschaftskonflikten“ werden lässt oder eine völkerrechtswidrige Invasion einschließlich eines geplanten Genozids zum „Kampf gegen den Terror“.

Damit wird die nationalistisch-rassistische Ideologie und ihre inhärente Frauenfeindlichkeit hinter den Verbrechen vertuscht. Wie in Konya geschehen, fasst man die Täter, um sie bald darauf wieder frei zu lassen. Ihre Taten sind die Umsetzung dessen, was der Staat subtil oder auch unverhohlen propagiert und sich deshalb mitschuldig macht an jedem einzelnen Angriff.

Auch in Deutschland erleben wir zunehmenden anti-kurdischen Rassismus. Es kursieren „Feindeslisten”, von denen die Bundesregierung weiß. Die Morddrohungen und tätlichen Angriffe gegen Journalisten und Aktivisten belegen, dass türkische Faschisten längst auch hierzulande die Jagd auf Regimegegner eröffnet haben. Hand in Hand arbeiten die türkischen „Grauen Wölfe“ (Bozkurtlar) zusammen mit den geschätzt 8.000 Mitarbeitern des türkischen Geheimdienstes MIT und ihren Helfeshelfern in Ditib-Moscheegemeinden.

Doch statt diesem Treiben ein Ende zu bereiten, hält die Bundesregierung fest an ihrer Verfolgungspraxis gegenüber Kurd:innen. Kriminalisiert werden die, die vor Verfolgung aus der Türkei geflohen sind und im Exil unermüdlich über das wahre Gesicht des türkischen Regimes aufklären. Das Bild des NATO-Bündnispartners darf nicht beschädigt werden, so die außenpolitische Agenda.

Die Forderung eines Verbots der Organisationen, die der türkischen rechtsradikalen „Ülkücüler“-Bewegung zuzurechnen sind, ist ein erstes Ziel. Doch erst, wenn in Deutschland, der Türkei und weltweit die nationalistisch-rassistische Ideologie aus den Köpfen verschwunden ist, wird ein friedliches Zusammenleben aller Ethnien greifbar.“

Darmstadt

In Darmstadt kamen rund 200 Kurdinnen und Kurden zusammen, um ihre Wut über den faschistischen Angriff von Konya zum Ausdruck zu bringen.

Heilbronn: Wir fordern Rechenschaft

Am Heilbronner Kiliansplatz gab es ebenfalls eine Kundgebung. In Redebeiträgen wurden Äußerungen der Täter des Mordes an den Dedeoğullarıs zitiert, die in Videoaufnahmen der Tat zu hören sind: „Wir sind Nationalisten, wir werden euch nicht hier leben lassen. Wir lassen keinen einzigen Kurden hier leben.” Eine Sprecherin des Demokratischen Gesellschaftszentrums Heilbronn hob hervor, dass die „Verharmlosung des brutalen Überfalls eines Lynchmobs auf die Familie im Mai und die Leugnung des rassistischen Motivs durch die türkischen Behörden” nun zu einem „gezielten Massaker” geführt haben. Sie kritisierte zudem, dass türkische Medien wieder auf den Zug der Regierung aufspringen und gezielte Desinformation betreiben, um dem siebenfachen Mord seinen „rassistischen und antikurdischen Charakter” abzusprechen und ihn stattdessen als „Nachbarschaftsstreit” titulieren.

Demonstrierende hatten die Namen der Opfer auf Plakate geschrieben

„Es handelt sich ganz klar um ein nationalistisches, faschistisches und rassistisch motiviertes, durch den Staat gestütztes Massaker an einer kurdischen Familie, den wir nicht vergeben werden. Und es war kein Einzelfall, ganz im Gegenteil, die Ermordung der Familie reiht sich ein in immer häufigere Angriffe gegen Kurd:innen in der Türkei. Strafrechtliche Konsequenzen für die Täter gibt es nicht”, so die Vereinssprecherin. Mit Angriffen wie dem von Konya werde versucht, ungestört einen schleichenden Genozid an den Kurdinnen und Kurden begehen zu können. Motiviert würden die Handelnden von der Vorstellung einer „gleichgeschalteten, faschistischen, frauenverachteten und rassistischen türkischen Nation”.

Kritik wurde auch an die Bundesregierung gerichtet die aufgefordert wurde, angesichts der „menschenverachtenden Zustände” in der Türkei ihre Appeasement-Politik gegenüber dem Erdogan-Regime zu beenden. In dem Zusammenhang wurde auch auf die „Todeslisten” mit den Namen von oppositionellen Exilant:innen aus Kurdistan und der Türkei hingewiesen, die von türkischen Nationalisten hierzulande bedroht werden.

Kundgebung in Bremen

In Bremen protestiere die kurdische Community mit einer Kundgebung vor dem Hauptbahnhof gegen das Massaker an der Familie Dedeoğulları.

 

Hamburg: Gestern Armenier, heute Kurden

Bei einer Kundgebung in Hamburg sagte die Ko-Vorsitzende der Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft, Cansu Özdemir, mit Blick auf den Mord in Konya, es sei „staatliche Politik“, die betrieben werde und die sich in unterschiedlichen Städten der Türkei immer wieder in solchen Fällen zeige.

Der Politiker Nihat Akdoğan zog Parallelen zur Geschichte der Armenierinnen und Armenier in der Türkei und erinnerte an zahlreiche Massaker an dem christlichen Volk. „Gestern waren es unsere armenischen Nachbarn, die ermordet wurden. Heute sind es wir Kurd:innen.“

Der Hamburger Jurist Yavuz Fersoglu bezeichnete den Faschismus als „gefährlichste Krankheit des Planeten“. Menschen, die ihrem Selbstverständnis nach humanistisch, demokratisch und intellektuell seien, müssten sich aktiv am weltweiten Kampf gegen den Faschismus beteiligen.

Verlesen wurde auch eine Erklärung des Bündnisses Demokratischer Kräfte in Europa (ADGB) 

Saarbrücken

In Saarbrücken fand auf Aufruf des kurdischen Europadachverbands KCDK-E eine Kundgebung statt.

 

Kiel

Bei einem Protest in Kiel wurde die gesamte kurdische Gesellschaft aufgefordert, angesichts des antikurdischen Rassismus in der Türkei politische Differenzen aus dem Weg zu schaffen und geschlossen gegen die vom Staat herbeigeführten bürgerkriegsähnlichen Zustände zu kämpfen.

 

Kassel

In Kassel hatten der kurdische Verein und die neu gegründete Plattform Defend Kurdistan zu einer spontanen Kundgebung aufgerufen.

Weitere Proteste gab es unter anderem in Berlin, Köln, Chemnitz, Stuttgart, München, Frankfurt, Hildesheim und Hannover.