Bundestagswahlen 2025: Militarismus, Rassismus und Kapitalismus Hand in Hand

Am 23. Februar wird ein neuer Bundestag gewählt. Schon jetzt steht fest, der Bundestag wird rechter, militaristischer und kapitalistischer, schreibt die Ärztin und Ko-Vorsitzende von Kurd-Akad, Dr. Dersim Dağdeviren, in einem Wahlprogramm-Check.

Wahlprogramm-Check

Am 23. Februar wird ein neuer Bundestag gewählt. Schon jetzt steht fest, der Bundestag wird rechter, militaristischer und kapitalistischer. Daher möchte ich mit einem Appell starten: Jede:r deutsche:r Staatsbürger:in sollte von seinem Wahlrecht Gebrauch machen. Wer am Wahltag verhindert ist, kann vorab per Briefwahl wählen. Alle Wahlberechtigten erhalten postalisch eine Wahlbenachrichtigung. Auf der Rückseite der Wahlbenachrichtigung gibt es einen Vordruck, der ausgefüllt zurückgesendet werden kann. Dann wird der Stimmzettel zugeschickt. Alternativ können die Unterlagen beim Amt persönlich abgeholt werden. Dort kann auch direkt gewählt werden.

Der Bundestag wird kleiner

Bevor ich im Detail auf die politischen Begebenheiten eingehe, möchte ich noch einen Punkt ansprechen, der für die Zusammensetzung des Parlaments von Relevanz ist. Mit der nächsten Bundestagswahl wird der Bundestag kleiner. Nach derzeit 733 Sitzen wird der neue Bundestag insgesamt nur noch 630 Sitze haben. Das hat zur Folge, dass manche der Abgeordneten, die als Direktkandidat:innen zur Wahl antreten, um ihren (Wieder-)Einzug bangen müssen, selbst wenn sie in ihrem Wahlkreis siegen würden. Grund ist die Wahlrechtsreform aus dem Jahr 2023. Der Bundestag soll effizienter gemacht und Kosten sollen gespart werden. Die Frage ist, wie sich dies auf die Zusammensetzung auswirken wird. 

CDU/CSU+AfD: im 50-Prozent-Bereich

Nun aber zu den politischen Aspekten: Die Prognosen zeigen, dass es einen deutlichen Rechtsruck geben wird. CDU/CSU und AfD kommen zusammen auf fast 50 Prozent. Viele Parteien, insbesondere auch die CDU sprachen stets von einer Brandmauer gegen rechts, doch die ist – sollte sie jemals existiert haben – am 29. Januar 2025 endgültig eingebrochen. Die Zustimmung der AfD im Antrag wurde bewusst in Kauf genommen. Die Abstimmung ist knapp ausgegangen; wären die Fraktionen von Die Linke, SPD und Bündnis 90/Die Grünen vollständig anwesenden gewesen, hätte es anders ausgehen können, aber auch wieder nur knapp. Der Damm ist gebrochen, so oder so. Aus Platzgründen verzichte ich auf weitere praktische Beispiele für diese Dammbrüche. Ein Blick in die Wahlprogramme der Parteien zeigt, welche Tendenzen die Parteienlandschaft dominieren. Vielerorts sind rechte Narrative übernommen, Militarismus und Kapitalismus beherrschen die Agenda.

Kurdische Demonstrierende bei Kundgebung gegen rechte Hetze am letzten Samstag in Bremen © DK

Migration und Asylpolitik

Beim Thema Migration strebt die CDU/CSU eine „grundsätzliche Wende“ an und will umgehend einen „faktischen Aufnahmestopp“ durchsetzen. Den Familiennachzug im Falle von subsidiär Schutzberechtigten will sie aussetzen. Asylbewerber sollen möglichst Sachleistungen statt Geld erhalten. Um mehr Rückführungen zu ermöglichen, sollen unter anderem mehr sichere Herkunftsländer definiert werden. Auch der Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit bei straffällig gewordenen Doppelstaatlern ist im Gespräch. Auf EU-Ebene sollen Asylverfahren in „sicheren Drittstaaten“ erfolgen. Die FDP spricht sich ebenfalls für Sachleistungen sowie eine Beschleunigung von Rückführungen und Asylverfahren und Durchführung dieser in Drittstaaten aus. Die FDP will Zurückweisungen an den deutschen Grenzen „modellhaft“ erproben. Sie präferiert Einwanderung in den Arbeitsmarkt. Die SPD verweist auf das Gemeinsame Europäische System GEAS, das 2026 in Kraft treten wird, und will umfassende Migrationsabkommen mit Herkunftsländern schließen. Bündnis 90/Die Grünen wollen „eine funktionierende und pragmatische Flucht- und Migrationspolitik, die Humanität und Ordnung verbindet“. Sie befürworten auch den „Spurwechsel“, wo er „sinnvoll“ ist. Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) fordert, „unkontrollierte Migration“ zu beenden. Aus Sicht des BSW überfordert diese die Gesellschaft und die Sozialsysteme, zudem sei Migration ein Sicherheitsrisiko. Die Partei Die Linke lehnt Abschiebungen und Sachleistungen als diskriminierend ab.

Sicherheit und Verteidigung

Im Bereich Außen- und Sicherheitspolitik sieht die CDU/CSU das Zwei-Prozent-Ziel der NATO als Untergrenze und will die Wehrpflicht wieder einführen. Die Verteidigungsfähigkeit Europas muss laut CDU/CSU ausgebaut werden. Nukleare Teilhabe und die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland gehören ebenfalls zu den Zielen. China wird als systemischer Konkurrent gesehen. Russland soll mit weiteren Sanktionen zum Einlenken bewegt werden. Die FDP spricht sich für eine realpolitische und weniger moralisch geleitete Außenpolitik aus. Bündnis 90/Die Grünen wollen als Teil der NATO Europas eigene Verteidigungsfähigkeit stärken. Der Wehretat soll dauerhaft über dem Zwei-Prozent-Ziel liegen. Auch die SPD betont die Wichtigkeit der NATO und Europas Stellung darin sowie das Zwei-Prozent-Ziel. Das BSW fordert Diplomatie und die Aufhebung von Sanktionen gegen politisch missliebige Regierungen, weil sie nur der Bevölkerung schadeten. Die Partei Die Linke will die Bundeswehr aus allen Auslandseinsätzen abziehen und zu einer reinen Verteidigungsarmee umbauen. Sie präferiert eine Stärkung der Vereinten Nationen.

Innenpolitik

Im Kontext innerer Sicherheit wirbt die CDU/CSU eine Null-Toleranz-Strategie gegen Kriminalität, Extremismus und Gewalt. Sie will mit voller Härte Links- und Rechtsextremismus bekämpfen. Sie befürwortet die Vorratsdatenspeicherung. Die FDP spricht beim Thema innerer Sicherheit auch über Bürgerrechte. Bündnis 90/Die Grünen sprechen von gut ausgestatteten Sicherheitsbehörden und gut finanzierten Präventionsprogrammen, mit denen sie gegen Rechtsextremismus und Islamismus vorgehen wollen. Die SPD verspricht, Diskriminierung, Rassismus, Rechtsextremismus, Antisemitismus, Islamismus und andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zu bekämpfen. Das BSW sieht Sicherheit als Voraussetzung für Freiheit und kritisiert eine „staatliche Übergriffigkeit“. Die Partei Die Linke will den Verfassungsschutz durch eine unabhängige Beobachtungsstelle „Autoritarismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ ersetzen. Sie will die Antiterrorgesetzgebung der „vergangenen 30 Jahre“ auf den „bürgerrechtlichen Prüfstand“ stellen.

Armut und Wohnen

Beim Thema Armut und Wohnen will die CDU/CSU das Bürgergeld abschaffen und durch eine neue Grundsicherung ersetzen. Sie findet die Mieten zu hoch und will mehr Wohnraum schaffen. Die FDP plädiert für eine Absenkung des Bürgergelds und ein Auslaufen der Mietpreisbremse, um Investitionen anzukurbeln. Bündnis 90/Die Grünen setzen weiterhin auf das Bürgergeld und die Mietpreisbremse. Sie kündigen erneut eine Kindergrundsicherung an. Die SPD hält ebenso am Bürgergeld fest und will insbesondere Kinderarmut bekämpfen. Sie sieht im Kontext von Wohnraummangel eine Investitionsoffensive vor, hält aber an der Mietpreisbremse fest. Das BSW will das Bürgergeld durch „eine leistungsstarke und leistungsgerechte Arbeitslosenversicherung und eine faire Grundsicherung“ ersetzen. Die Partei Die Linke will das Bürgergeld zu einer „sanktionsfreien Mindestsicherung“ umbauen und fordert einen bundesweiten Mietendeckel.

Zusammenfassend lässt sich in Bezug auf die Schwerpunkte sagen: Rassismus, Militarisierung und der Ausbau kapitalistischer Erträge für die Herrschenden stehen im Fokus. Frieden, demokratische Errungenschaften und Armutsbekämpfung sind Fehlanzeige.

Demonstration der Gruppe Offenes Antifaschistisches Jugendtreffen im April in Hannover © OAJ

Verletzung des Schengener Grenzkodex

Zahlreiche Forderungen im Kontext der Migration bzw. der Begrenzung dieser sind nicht rechtskonform. Dennoch erlauben sich einige Parteien, diese offen zu fordern. Andere sind verhaltener und signalisieren, dass auch sie für andere und damit restriktive Wege offen sind. Die geforderten dauerhaften Grenzkontrollen sind nicht zulässig, da Deutschland den Schengener Grenzkodex unterzeichnet hat, der keine Grenzkontrollen zwischen den Staaten im Schengen-Raum vorsieht. Schon die von Innenministerin Nancy Faeser angeordneten Grenzkontrollen im Nachgang zu Solingen dürften gegen den Kodex verstoßen. Im Kontext der Zurückweisungen an den Grenzen gilt EU-Recht. Die Dublin-III-Verordnung verbietet willkürliche Zurückweisungen ohne Prüfung der Zuständigkeit für das Asylverfahren. Die SPD verweist in der Thematik auf die GEAS, ein System, das Kinder in Haft, Asylschnellverfahren an den Außengrenzen, Abschiebungen in Länder ohne Schutz für Flüchtlinge und immer mehr Deals mit autokratischen Regierungen bedeutet.

Politik kontrastiert mit Versprechen

Die Widersprüche zwischen Wahlversprechen und de-facto Politik sind in vielen Bereichen erkennbar. So verspricht die SPD Rechtsextremismus und Islamismus bekämpfen zu wollen. Das Prüfverfahren zum Verbot der Grauen Wölfe ist noch immer nicht abgeschlossen, bei der Abstimmung zum Prüfverfahren eines AfD-Verbots will sie dem Antrag im Bundestag nicht zustimmen. Bündnis 90/Die Grünen sind ebenfalls von ihren Gründungsidealen deutlich abgerückt. Für die FDP reguliert der Markt, alles andere ist sekundär oder zählt nicht.

Die Stimme der Migrant:innen ist schwach

Um die Folgen dieser Veränderungen abschätzen zu können, lohnt sich der Blick in die Geschichtsbücher. Es existieren leider zu viele Parallelen zu der Phase, die zur Errichtung der nationalsozialistischen Diktatur geführt hat.

Die Massendemonstrationen, die im Januar 2023 im Nachgang der Enthüllungen um das Treffen in Potsdam im Kontext von Remigration die Agenda dominierten, ebenso die Demonstrationen der vergangenen Tage erzeugen gute Bilder, aber werden die negativen Entwicklungen nicht aufhalten. Die rechten Narrative, insbesondere im Zusammenhang mit Migration, sind in der Gesellschaft angekommen und von einem nicht irrelevanten Teil übernommen worden. Auch wenn ich dem Effekt dieser Demonstrationen keine übermäßige Bedeutung beimesse, empfinde ich es als bedrückend, dass der Anteil migrantischer Menschen verhältnismäßig gering ist. Dabei sind sie die unmittelbar Betroffenen. Auch außerhalb dieser Demonstrationen sind migrantische Stimmen sehr leise.

Wird sich die Herangehensweise an die Kurd:innen ändern?

Hier gilt es auch, selbstkritisch die kurdische Community zu betrachten. Rechtsruck, Militarisierung und der Ausbau kapitalistischer Erträge betreffen uns ganz besonders. So ist unsere Gemeinschaft nicht nur dem Rassismus als migrantische Community ausgesetzt, sondern auch innermigrantischem Rassismus. Die extreme türkische Rechte ist ein Aspekt dessen, die staatliche Einflussname mittels Ditib ein weiterer. Schauen wir uns die Regierungen der vergangenen Jahre an, ist nicht zu erwarten, dass es beim einem Rechtsruck eine Änderung in der Herangehensweise gegenüber uns Kurd:innen geben wird, wenn schon die sog. Fortschrittskoalition der mittlerweile zerbrochenen Ampel das Prüfverfahren zum Verbot der Grauen Wölfe nicht abschließt und Waffenlieferungen in Milliardenhöhe an die Türkei genehmigt.

Wirksame Kritik fehlt

Immerhin hat die deutsche Außenministerin im Kontext der Post-Assad-Ära die Notwendigkeit der Einbeziehung der Kurd:innen in die Prozesse zur Neugestaltung Syriens thematisiert, und es gab einige Treffen zwischen DAANES- und SDF-Vertreter:innen mit hochrangigen deutschen Diplomaten. Doch die Angriffe der Türkei dauern an, wirksame Kritik, geschweige denn Sanktionen bleiben aus. Schauen wir uns die Jahre der Großen Koalition an, erinnern wir uns im Zusammenhang mit der deutschen Außenpolitik an die Tea Time von Außenminister Sigmar Gabriel und seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu, die nicht zu unseren Gunsten ausgefallen ist.

Anti-kurdische Stimmung wird zunehmen

Wer davon ausgeht, dass die AfD aufgrund ihrer rechten Ideologie eine Türkei-feindliche Haltung hat, irrt. Erinnert sei beispielhaft an die Lobeshymne – Waffenbrüder und enge Freunde – des Europaabgeordneten Maximilian Krah auf die Türkei. Gerade im Kontext der Migrationsdebatte und der Begrenzung von Migration war und ist die Türkei ein enorm wichtiger Partner. Der negative Impact und die Rechtswidrigkeit des EU-Türkei Deals sind bekannt, dennoch erhält die Türkei immer wieder massive finanzielle Unterstützung durch die Europäische Union. Mit der GEAS wird sich dies nicht zum besseren entwickeln. Auch der institutionelle antikurdische Rassismus in Deutschland wird sich unter einem Rechtsruck verschärfen.

Die Kriminalisierung wird zunehmen

Herkunftssprachlicher Unterricht in Kurdisch ist schon jetzt massiven Hürden ausgesetzt. Mit einer rechten Regierung wird es weitere Einschnitte geben. Auch eine Aufhebung des Unterrichts ist dann nicht ausgeschlossen. Die Herausforderungen im Kontext des PKK-Verbots, insbesondere die Kriminalisierung, werden ebenfalls zunehmen. Diese wird in der Argumentationskette für Abschiebungen einen wesentlichen Aspekt einnehmen. Die Einschränkung von Meinungs- und Pressefreiheit ist ein wesentliches Kennzeichen von rechten, autokratischen Ideologien. 

Zeit für Volksdiplomatie

All dies sollte uns ein Weckruf sein. Selbstverständlich bleibt Kurdistan unser zentraler Fokus. Doch genau die Kraft, die wir im Kontext von Kurdistan zeigen, können und müssen wir auch hier einbringen. Wir sind die zentralen Demokratieakteure im Mittleren Osten. Gemäß unserer basisdemokratischen Ausrichtung und dem Verständnis wenig Staat – viel Demokratie ist es an der Zeit, die Basis zu organisieren, auch und vor allem die migrantische. Wir könnten führend sein im antifaschistischen Kampf und in der Neugestaltung der Demokratie. Auch im Kontext der Gendergerechtigkeit sind wir mit unserem Paradigma gefragt, denn die Rechten werden noch stärker am Patriarchat festhalten. Nicht zu vergessen ist auch der ökologische Aspekt, zu dem wir eine klare Haltung haben. Wir können und müssen die kapitalistische Moderne genau jetzt noch stärker herausfordern, auch und vor allem in Deutschland. Wir müssen uns mit allen Benachteiligten verbünden. Jetzt ist die Zeit der vollumfänglichen Umsetzung der Volksdiplomatie. Nicht vergessen, wählen gehen.


Die Autorin Dr. Dersim Dağdeviren ist Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin. Zugleich ist sie Ko-Vorsitzende des Netzwerks kurdischer Akademiker:innen e.V. (Kurd-Akad) und Mitglied im Vorstand der EU Turkey Civic Commission (EUTCC). Der hier erschienene Text wurde für die Zeitung Yeni Özgür Politika verfasst. Die türkische Übersetzung kann unter folgendem Link gelesen werden: https://www.ozgurpolitika.com/haberi-militarizm-irkcilik-ve-kapitalizm-el-ele-197550

Titelbild: Fotokollektiv Links Unten Göttingen