In einem Offenen Brief des Emergency Comittee for Rojava fordern die Komiteevorsitzende Meredith Tax, die Generalsekretärin Debbie Bookchin und die Verwaltungsleiterin Özlem Gönder von US-Außenminister Anthony Blinken eine Abkehr von der „doppelzüngigen Kurdenpolitik“ der USA.
„Millionenschwere Kopfgelder aufheben“
In dem Brief heißt es: „Wir schreiben Ihnen, um Sie aufzufordern, die Erneuerung der Entscheidung der Trump-Administration, millionenschwere Kopfgelder auf drei Führungspersönlichkeiten der PKK auszusetzen, zu widerrufen. Die PKK ist durch ihre Geschichte und Ideologie mit unseren Alliierten, den Demokratischen Kräften Syriens (QSD), verbunden. Wir hoffen, dass Präsident Bidens Menschenrechtsdiskurs und die Wahl von Brett McGurk als Verantwortlichen für die Nationale Sicherheitspolitik im Mittleren Osten und Nordafrika die Inkohärenz und Doppelzüngigkeit der Trump-Administration gegenüber den Kurden beenden wird. Wir bitten um ein Telefongespräch, um diese Angelegenheiten zu besprechen.“
„Kopfgelder sind Menschenrechtsverletzung“
Weiter heißt es: „In seiner außenpolitischen Pressekonferenz am 4. Februar 2021 sagte Präsident Biden, dass seine Außenpolitik auf den Menschenrechten beruhen würde. Doch die Auslobung von Kopfgeldern stellt eine Menschenrechtsverletzung dar. In Artikel zehn der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte heißt es: ‚Jeder Mensch hat in voller Gleichheit Anspruch auf ein gerechtes und öffentliches Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Gericht zur Feststellung seiner Rechte und Pflichten sowie jeder gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Anklage.‘
„Kopfgelder suggerieren, die Ermordung der PKK-Führungspersonen sei akzeptabel“
Darüber hinaus sind die Kopfgelder auf Cemil Bayık, Duran Kalkan und Murat Karayılan Teil der Strategie der türkischen Regierungspartei AKP, die Macht durch die Fabrikation einer terroristischen Bedrohung zu halten. Ihre Erneuerung ist ein Signal an die Türkei, dass es für die Vereinigten Staaten akzeptabel ist, wenn die Türkei PKK-Führungspersönlichkeiten ermordet. Diese AKP-Strategie nützt weder den USA noch der Region, und wir sollten sie nicht unterstützen.“
Kurzsichtig, den „zuverlässigsten Verbündeten“ vor den Kopf zu stoßen
Das Komitee weist außerdem darauf hin, dass die Entscheidung das Bündnis der USA mit „den Kurden“ unterminieren würde: „Da kurdische Kämpferinnen und Kämpfer, darunter von der PKK ausgebildete militärische Führungspersonen, den Schlüssel zum Kampf der QSD gegen den IS darstellen, hat die Erneuerung dieser Kopfgelder Wut und Verwirrung ausgelöst und das Misstrauen gegenüber den USA innerhalb der kurdischen Freiheitsbewegung verstärkt. Da der Kampf gegen den IS noch lange nicht gewonnen ist, ist es kurzsichtig, unseren zuverlässigsten Verbündeten vor den Kopf zu stoßen. Es widerspricht auch unseren Hoffnungen für die Region, in der wir die demokratischen, pluralistischen Ziele von Rojava teilen und uns gegen Autoritarismus stellen.“
„Wer sind die wahren Terroristen?“
„Wer sind die wahren Terroristen?“, fragt das Komitee und weist darauf hin, dass im allgemeinen „Terrorismus“ als Gewaltakt gegenüber der Zivilbevölkerung definiert wird. Die Türkei verfolge jedoch eine andere Definition, wie sich an der Inhaftierung von tausenden Akademiker:innen, Blogger:innen und kurdischen Aktivist:innen und Politiker:innen in den vergangenen drei Jahren gezeigt habe. Weiter heißt es: „Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan ist besonders darauf bedacht, Mitglieder der HDP zu kriminalisieren, einer fortschrittlichen Oppositionspartei, die die Rechte von Frauen, Kurden und anderen Minderheiten verteidigt. 108 HDP-Politiker wurden angeklagt, weil sie den Widerstand der syrischen Kurden gegen den IS in der Schlacht von Kobanê 2014 unterstützt haben.
Die Türkei unterstützt den Terrorismus
Weit davon entfernt, den Terrorismus zu bekämpfen, unterstützt die Türkei ihn. Viele Forscher:innen haben die Hilfe der Türkei für den IS während des Krieges dokumentiert; die Türkei hat seitdem Gefängnisse, in denen IS-Mitglieder festgehalten werden, in Rojava bombardiert, um diesen zur Flucht zu verhelfen. Als die Türkei im Januar 2019 in Rojava einmarschierte, setzte sie islamistische Milizen ein, die für ihre Brutalität berüchtigt sind: Jaysh al-Islam, die Sultan-Murad-Brigade und den syrischen Ableger von al-Qaida. Wie Brett McGurk sagte, als er von der Trump-Administration zurücktrat: ‚Viele der syrischen Oppositionsgruppen, die von der Türkei unterstützt werden, bestehen aus Extremisten, die offen ihre Absicht erklärt haben, die Kurden zu bekämpfen, nicht den Islamischen Staat.‘“
„Die PKK ist keine Terrororganisation“
Im Gegensatz dazu stellt das Komitee fest, bei der PKK handle es sich eben um keine „Terrororganisation“: „Die PKK wurde 1984 als nationale Befreiungsbewegung gegründet, die die Unabhängigkeit von der Türkei anstrebte. Im Jahr 1995 änderte sie ihren Ansatz, gab den bewaffneten Kampf außer zur Selbstverteidigung auf und unterzeichnete die Genfer Konvention. Ihre gegenwärtige Strategie ist es, sich für direkte Demokratie in den kurdischen Gebieten einzusetzen und zu versuchen, die Türkei zu einem demokratischen Staat zu reformieren, der der kurdischen Bevölkerung Autonomie und Bürgerrechte garantiert. Belgische Gerichte haben wiederholt entschieden, dass die PKK keine terroristische Organisation ist; sie betrachten den Krieg mit der Türkei als bewaffneten inneren Konflikt. Im Jahr 2020 entschied der Europäische Gerichtshof ebenfalls, dass die PKK von der Terrorliste gestrichen werden sollte. Die PKK versucht seit vielen Jahren, Friedensverhandlungen mit der türkischen Regierung zu führen. Anstatt Erdogans Bemühungen, an der Macht zu bleiben, durch Angriffe auf die kurdische Bewegung zu decken, sollten die USA solche Friedensverhandlungen unterstützen und die Streichung der PKK von der US-Terrorliste in Betracht ziehen.“
„Friedliche Lösung der kurdischen Frage in der Türkei sichert Stabilität von Rojava“
Das Komitee schließt den Brief mit den Worten: „Als Gründungsmitglieder des Emergency Comitee for Rojava ist es uns ein großes Anliegen, Stabilität im Nordosten Syriens zu schaffen und sicherzustellen, dass die enormen Errungenschaften im Bereich der Menschenrechte, insbesondere der Frauenrechte, in diesen Gebieten erhalten bleiben. Wir glauben, dass die besten Aussichten für ein sicheres und stabiles Rojava im breiteren Kontext einer friedlichen Lösung der Kurdenfrage in der Türkei bestehen werden. Wir fordern Sie auf, die Erneuerung der Kopfgelder auf die drei PKK-Führungspersönlichkeiten zurückzunehmen und die Türkei zur Aufnahme von Friedensverhandlungen zu drängen. Wir hoffen, dies bald mit dem zuständigen Vertreter des State Department besprechen zu können.“