159 Festnahmen bei Studierenden-Protesten -UPDATE

Die türkische Polizei hat in Istanbul eine Kundgebung gegen die Ernennung eines Erdoğan-Günstlings zum Rektor der Boğaziçi-Universität aufgelöst. 159 Studierende wurden festgenommen.

Die türkische Polizei hat am Montag in Istanbul eine Kundgebung gegen die Ernennung von Melih Bulu zum Rektor der Boğaziçi-Universität gewaltsam aufgelöst. Nach Angaben des Gouverneurs von Istanbul sind dabei 159 Studierende und Aktivist*innen sind festgenommen worden. Zu dem ersten Übergriff auf die Gruppe kam es bereits an der Haltestelle Etiler, dem Versammlungsort der Kundgebung. Weitere Beteiligte des Protests wurden von der Polizei und dem Sicherheitspersonal der Hochschule am Eingang zum Südcampus abgefangen.

Das Tor zum Campusgelände wird schon länger auf Anweisung des dubiosen Erdoğan-Günstlings Melih Bulu, einem langjährigen Parteigänger der AKP, von Sicherheitskräften belagert. Die Festnahmen begründete die Polizei mit vermeintlichen Verstößen gegen die Corona-Auflagen. Auf welches Revier die Studierenden gebracht worden sind, ist noch unklar. Mehrere HDP-Abgeordnete, darunter Serpil Kemalbay, Dilşad Cambaz Kaya, Züleyha Gülüm, Murat Çepni, Dilan Dirayet Taşdemir, Hüda Kaya und Ömer Faruk Gergerlioğlu, die den Protest der Studierenden unterstützten, wurden von der Polizei am Zutritt auf das Campusgelände gehindert. 

Protest gegen Angriff auf universitäre Autonomie

Seit Anfang Januar wehren sich Studierende und Lehrende in der Türkei gegen den Schlag der Regierung gegen die universitäre Autonomie. Mit der Ernennung von fünf Hochschulrektoren löste Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan nach der Jahreswende heftige Auseinandersetzungen an türkischen Universitäten aus. Die Einmischung des Regimechefs in das Amt der Rektoren stellt einen autoritären Akt dar, der weite Kreise zieht. Insbesondere die Einsetzung von Bulu an der Boğaziçi-Universität hat einen Protest losgetreten, wie es ihn an türkischen Hochschulen lange nicht mehr gegeben hat. Trotz Polizeigewalt und Festnahmewellen ließen sich die Proteste bisher nicht niederschlagen, sondern dauern weiter an.

Studierende wegen Volksverhetzung verhaftet

Am Samstag sind zwei Studierende der Boğaziçi-Universität in Istanbul verhaftet worden. Doğu Demirtaş und Selahattin Uğuzeş wird nach Artikel 216/1 vorgeworfen, zu „Hass, Feindschaft oder Erniedrigung“ angestiftet zu haben. Der Paragraph entspricht nach deutscher Rechtsprechung der Volksverhetzung. Grundlage ist ein von der Generalstaatsanwaltschaft Istanbul geführtes Ermittlungsverfahren wegen einer Kunstinstallation, mit der der Islam verunglimpft worden sei.

Das Verfahren gegen die Studierenden wurde allerdings erst eingeleitet, nachdem türkische Medien eine Lynch-Kampagne entfacht und gemeldet hatten, dass „die LGBT-Perversen“ ein Foto der heiligen Kaaba in Mekka für ihre Protest-Ausstellung gegen Bulu missbraucht haben. Gemeint ist ein Transparent aus der Ausstellung, das die mythische Figur Şahmaran und Regenbogenfahnen zeigt.

Şahmaran gilt in Anatolien, Kurdistan und anderen Regionen im Mittleren Osten als Göttin der Weisheit und Beschützerin von Geheimnissen. An der Lynch-Kampagne beteiligten sich auch Spitzenpolitiker der Regierung, darunter die Minister der Justiz und des Innern, der Vizepräsident, der Leiter der staatlichen Religionsbehörde Diyanet, der Gouverneur von Istanbul und der Vorstand des türkischen Hochschulrats (YÖK).

Aktualisiert 2. Februar 2021 um 6.06 Uhr