Azad Yusuf Bingöl ist Mitglied im Migrationsbeirat der Landeshauptstadt München und setzt sich für den von einer Abschiebung in die Türkei bedrohten Kurden Heybet Şener ein. Am Freitag wurde Bingöls Wohnung durchsucht, zwei Tage vorher kam die Polizei auf die Sitzung des Münchener Petitionsausschusses, auf der der Fall behandelt wurde.
Bingöl weist darauf hin, dass die Abschiebung von Heybet Şener rechtswidrig vollzogen werden soll, obwohl der juristische Prozess noch nicht abgeschlossen ist. Gleichzeitig sollen Menschen wie er durch einschneidende Maßnahmen wie der Polizeiauftritt im Petitionsausschuss und die Hausdurchsuchungen bei ihm und Şeners Bruder eingeschüchtert werden, um die Unterstützung von kurdischen Geflüchteten zu untergraben. Laut dem Durchsuchungsbeschluss soll Şener am 7. April 2022 abgeschoben werden. Am selben Tag ist nach Bingöls Angaben ein Flug angesetzt, der ausschließlich für die Abschiebungen von Kurd:innen in die Türkei organisiert ist. Bis zu diesem Datum soll Heybet Şener wieder in Abschiebehaft kommen.
Zum Ablauf der bisherigen Geschehnisse und seinen Einschätzungen teilt Azad Yusuf Bingöl folgendes mit:
Heybet Şener ist bei einem Termin im Landratsamt Erding am 2. Februar 2022 festgenommen und in Abschiebehaft am Münchener Flughafen gebracht worden, um in die Türkei abgeschoben zu werden, wo ihm Haft und Folter droht. Durch den öffentlichen Druck aus der Politik, Presse und Zivilgesellschaft konnte die Abschiebung in allerletzter Minute verhindert werden.
Şener befand sich in Abschiebehaft im Hungerstreik und war gesundheitlich dementsprechend angeschlagen. Dennoch wurde unter Gewaltanwendung kurz vor Abflug versucht, einen Corona-Test durchzuführen, den er verweigerte. Offiziell scheiterte die Abschiebung, da er aus gesundheitlichen Gründen reiseunfähig war. Danach kam er glücklicherweise auf freien Fuß. Dennoch ist klar, dass der öffentliche Druck der entscheidende Punkt war und die bayrische Staatsregierung aus taktischen Gründen eine nicht-juristische Lösung verwendete, um einem möglichen Präzedenzfall im Sinne von einem Recht auf Asyl auch für andere Kurd:innen zu verhindern.
Obwohl Şener in der Türkei mehrere Prozesse und die Verurteilung zu langjähriger Haftstrafe wegen angeblicher „Terrorpropaganda" drohen und er aktuelle Haftbefehle und weitere Belege vorgelegt hat, wird ihm seit seiner Ankunft 2018 in Deutschland in mehreren Instanzen das Recht auf Asyl verweigert. Hintergrund seiner Kriminalisierung sind zum Beispiel kritische „Social Media“-Beiträge für die Grundrechte von Kurd:innen oder angebliche Präsidentenbeleidigung durch Kritik am Erdogan-Regime. Zahlreiche andere schutzsuchende Kurd:innen befinden sich in Deutschland in derselben Situation.
Die deutsche Justiz begründet die mehrmalige Ablehnung des Asylgesuchs von Heybet Şener damit, dass die Türkei angeblich ein funktionierender Rechtsstaat sei und türkische Gefängnisse internationalen Standards entsprechen würden. Tatsächlich wird dort nachweislich systematisch gefoltert. Unter offiziell „ungeklärten Umständen" kommen politische Gefangene plötzlich ums Leben, in einigen Fällen wird Selbstmord als Todesursache angegeben. Auch im Sterben liegende Gefangene werden nicht freigelassen. Diese Zustände zeigen klar auf das kurdische Gefangene vom türkischen Staat systematisch ermordet wurden. Genau das droht abgeschobenen Kurd:innen in türkischer Haft.
In der Türkei sind zehntausende Kurd:innen politische Gefangene, darunter sind gewählte Parlamentsabgeordnete der HDP, Bürgermeister:innen, Journalist:innen, Akademiker:innen, Menschenrechtsaktivist:innen und Kritiker:innen des Erdogan-Regimes.
In aller Klarheit muss gesagt werden: Die deutsche Abschiebepolitik und die Gerichte liefern schutzsuchende Kurd:innen und in diese systematische Folter aus. Das ist ein offener Bruch mit universellen Menschenrechten und eine unakzeptable Doppelmoral. Diese politischen Auslieferungen von Kurd:innen in die Türkei geschehen in enger Zusammenarbeit mit dem türkischen Staat und hängen mit übergeordneten politischen, militärischen und wirtschaftlichen Interessen mit dem NATO-Partner Türkei zusammen.
Es gibt eine klare Linie der Bundesrepublik Deutschland, die sich nachverfolgen lässt, denn nahezu ausnahmslos werden vor allem in der letzten Zeit Asylgesuche von Kurd:innen abgelehnt, obwohl sie klare Belege für ihre Verfolgung und Unterdrückung vorlegen können. Das universelle Recht auf Asyl gilt somit für Kurd:innen nicht. Die neue Bundesregierung muss einen sofortigen Abschiebestopp von Kurd:innen in die Türkei durchsetzen. Vor allem sind in der Koalition die Grünen nun aufgerufen, das, was sie in ihrer Zeit in der Opposition gefordert haben, geltend zu machen. Dazu gehört neben dem Abschiebeschutz von Kurd:innen auch eine konsequente Außenpolitik gegen türkische Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen.
Ich habe am selben Tag, an dem Heybet Şener in Abschiebehaft gekommen ist, eine Petition an den bayrischen Landtag gerichtet mit der Forderung, die Abschiebung in Folter und Haft in der Türkei zu stoppen. Die Petition wurde in der Sitzung am 16. März 2022 in dem zuständigen Ausschuss behandelt. Was sich dort abgespielt hat, ist der reinste Skandal und stellvertretend für die deutsche Politik gegen Kurd:innen.
Zwei Polizisten der Landespolizei kamen in die Sitzung, um Heybet Şener dort anzutreffen und auf Gesuch der Ausländerbehörde Erding für eine erneute Abschiebehaft festzunehmen. Das ist ein beispielloser Angriff auf die Immunität eines Parlaments und eine Methode, die man aus einem autoritären Polizeistaat kennt, wie es beispielsweise die Türkei ist.
Die Polizisten gaben mir gegenüber im Foyer an, dass sie wegen des besonderen Interesses des bayrischen Innenministeriums an der Petition anwesend seien, um die Sitzung zu verfolgen. Interne Nachfragen im Landtag ergaben jedoch, dass das eine Lüge war. Bevor ich im Ausschuss angehört werden konnte, wurden die Polizisten in den Saal eingelassen, ohne das ich anfangs als Petent mit anwesend sein durfte. Erst im Nachgang konnte durch Einspruch von Ausschussmitgliedern die Sitzung in nicht-öffentlicher Tagesordnung ohne die Polizisten stattfinden. Auch dort habe ich klargestellt, dass die Türkei kein Rechtsstaat ist und Kurd:innen dort anstelle eines fairen Prozesses Haft und Folter erwartet.
Auch in dem Durchsuchungsbefehl zu meiner Wohnung war niedergeschrieben, dass die Polizei auf Anordnung der Ausländerbehörde im Landratsamt Erding zur Ergreifung von Heybet Şener im Landtag anwesend war. Nachdem dort keine Festnahme möglich war, der Ausschuss keine positive Entscheidung im Sinne meiner eingereichten Petition getroffen und diese stattdessen an den Ausschuss im Bundestag weitergeleitet hat, zudem der Asylfolgeantrag innerhalb von nur drei Tagen negativ entschieden wurde, sei somit wieder die sofortige Abschiebung in Kraft getreten.
Obwohl Şeners Rechtsanwalt Rechtsmittel dagegen eingelegt hat und der Fall sich somit im Klageverfahren befindet, haben die zuständigen Behörden bereits die Abschiebung durchsetzen wollen. All diese Umstände sind klare Belege dafür, dass es hier eine grundsätzliche und politische Entscheidung in Kooperation mit dem türkischen Staat gibt, um Kurd:innen in Folter und Haft abzuschieben.
Auch die Hausdurchsuchung bei mir und seinem Bruder sind ein klares Signal an alle Menschen, die geflüchteten Menschen und Angehörigen helfen oder ihnen Schutz anbieten und solidarische Arbeit leisten. Es ist eine klare Kriminalisierung und Repression, die sich in all diese unmenschlichen und undemokratischen Maßnahmen einordnen.
Ich bin Mitglied im Migrationsbeirat der Landeshauptstadt München und in dem Ausschuss, der sich mit Asyl- und Fluchtangelegenheiten auseinandersetzt. In diesem Zusammenhang bin ich auch dementsprechend aktiv. In dem Durchsuchungsbefehl wird der richterliche Beschluss auch u.a. mit meiner eingereichten Petition und meiner Unterstützung und Öffentlichkeitsarbeit gegen die Abschiebung von Heybet Şener begründet.
Demselben Durchsuchungsbefehl ist der 7. April 2022 als neuer Termin für die Abschiebung zu entnehmen. Am selben Tag ist auch ein Flug angesetzt, der ausschließlich für die Abschiebungen von Kurd:innen in die Türkei organisiert ist. Bis zu diesem Datum soll Heybet Şener wieder in Abschiebehaft kommen. Wie unmenschlich die abschiebenden Behörden agieren, zeigt auch nochmal, dass er seinen zeitnahen Geburtstag am 20. März in Abschiebehaft begehen sollte.
Deshalb möchte ich in diesem Zusammenhang nochmals klarstellen und mahnen: alle politischen und staatlichen Stellen hierzulande sind auch für das Schicksal und Leben von schutzsuchenden Kurd:innen und dem, was ihnen bei einer Abschiebung passiert, mitverantwortlich. Die zentrale Forderung ist ein sofortiger Abschiebestopp von Kurdinnen und Kurden in die Türkei.