Bilmez: Europa muss handeln

„Wenn die Rechtsnormen und Werte des Europarats nicht nur auf dem Papier bestehen, muss er das Notwendige tun, damit diese umgesetzt werden“, fordert Rechtsanwalt Ibrahim Bilmez vom Verteidigerteam Abdullah Öcalans.

Gegen Abdullah Öcalan und seine Mitgefangenen Ömer Hayri Konar, Hamili Yıldırım und Veysi Aktaş auf Imrali sind neue Disziplinarstrafen verhängt worden. Sechs Monate lang dürfen sie keinen Besuch von ihrem Rechtsbeistand erhalten, Familienbesuche wurden für drei Monate verboten. Bekannt wurde das Verbot durch die Ablehnung eines vom Rechtsbüro Asrin bei diversen Behörden gestellten Dringlichkeitsantrags auf Besuchsgenehmigung.

Die Anwältinnen und Anwälte von der Kanzlei Asrin, die Öcalan und seine Mitgefangenen vertritt, haben seit acht Monaten kein Lebenszeichen von ihren Mandanten. Der letzte Kontakt zu Abdullah Öcalan war ein kurzes Telefongespräch mit seinem Bruder Mehmet Öcalan im vergangenen März. Rechtsanwalt Ibrahim Bilmez hat sich gegenüber ANF zu der systematischen Verletzung der Rechte seiner Mandanten geäußert.

Dringender Gesprächsbedarf

Wie Bilmez ausführt, hat die Kanzlei in dem am 22. November beim Vollzugsgericht Bursa gestellten Antrag mitgeteilt, dass dringender Gesprächsbedarf besteht, weil keine Informationen über den gesundheitlichen Zustand und die rechtliche Situation ihrer Mandanten vorliegen. „Unser Antrag ist am selben Tag mit Blitzgeschwindigkeit beantwortet worden. Durch das Vollzugsgericht sind wir darüber in Kenntnis geworden, dass ein sechsmonatiges Kontaktverbot für den Rechtsbeistand verhängt worden ist. Die Begründung kennen wir nicht“, so Bilmez.
Das Besuchsverbot ist laut Bilmez bereits am 12. Oktober angeordnet worden, das Verteidigerteam wurde zum damaligen Zeitpunkt nicht informiert. Bilmez sagt: „Früher konnten wir die Begründung für derartige Anordnungen erfahren, wenn unsere Mandanten auf Imrali dagegen Widerspruch eingelegt haben. Dieses Mal haben weder Herr Öcalan noch unsere anderen Mandanten Widerspruch eingelegt. Das geht aus der Antwort auf unseren Antrag hervor. Vermutlich halten sie es aus Protest nicht mehr für notwendig, Rechtsmittel gegen diese Beschlüsse einzulegen. Als Anwältinnen und Anwälte werden wir das juristische Verfahren natürlich trotzdem weiter verfolgen.“

Antifolterkomitee verfolgt eigene Empfehlungen nicht

Rechtsanwalt Bilmez verweist auf den Imrali-Bericht des europäischen Komitees zur Verhütung von Folter (CPT) von 2019, in dem festgehalten wird, dass der türkische Staat mit vorgeschobenen Begründungen ständig Disziplinarstrafen gegen die Gefangenen verhängt und dieses Verfahren nicht glaubwürdig ist. Dass die Türkei trotz gegenteiliger Empfehlungen des Antifolterkomitees im Europarat darauf beharre, die Isolation der Imrali-Gefangenen mit derselben Methode fortzusetzen, liege auch am CPT, erklärt Bilmez: „Das CPT steht nicht hinter den Entscheidungen, die es selbst getroffen hat. Oder es kontrolliert nicht, ob seine Empfehlungen umgesetzt werden. Die Bedingungen werden immer schlechter und die Türkei scheint das CPT und das gesamte europäische System herausfordern zu wollen.“ Normalerweise werde ein Land, das sich nicht an die Empfehlungen des Antifolterkomitees halte, international verurteilt. Im Fall von Imrali sei es noch nicht so weit gekommen. Das Rechtsbüro Asrin will sich jetzt erneut an die CPT wenden.

Bilmez betont, dass das Anwaltsteam sehr besorgt ist und deshalb auch den Dringlichkeitsantrag beim Vollzugsgericht gestellt hat. Weitere Anträge wurden im Justizministerium, der Generaldirektion für Strafvollzug und Haft und der parlamentarischen Menschenrechtskommission eingereicht waren. Am Freitag hatten sich die Rechtsanwält:innen zudem an internationale Menschenrechtsorganisationen und zivilrechtliche Vereinigungen gewandt, um praktische Schritte zur Aufhebung der Isolation auf Imrali einzufordern.

Imrali, die ungelöste kurdische Frage und die Atmosphäre in der Türkei

Die momentane politische Atmosphäre in der Türkei ist nicht unabhängig von der Situation auf Imrali zu betrachten, meint Bilmez: „Dass sich das Land so schnell von dem Prinzip des Rechtsstaats entfernt, hat immer auch mit der Rechtlosigkeit auf Imrali zu tun. Die Isolation auf Imrali ist gleichbedeutend mit der ungelösten kurdischen Frage. Das Ausbleiben einer Lösung der kurdischen Frage bedeutet, dass sich die Türkei immer weiter von der Demokratie entfernt und eine Situation wie die derzeitige entsteht. Sowohl das Geschehen auf Imrali als auch die weitere Rechtlosigkeit in der Türkei wird von den Menschen leider inzwischen als normal betrachtet. Das ist natürlich grundverkehrt. Es muss eine demokratische Reaktion darauf gezeigt werden. Ansonsten kommt mit jedem neuen Tag jemand Anderes an die Reihe.“

Beratungen im Europarat

Im Ministerkomitee des Europarats werden ab heute die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu den Rechtsverletzungen im Fall Abdullah Öcalan beraten. Ibrahim Bilmez erwartet einen ernsthaften Umgang mit dem Thema, weil die Abweichung von rechtsstaatlichen Normen in der Türkei ein extremes Ausmaß erreicht hat: „Wenn die Rechtsnormen und Werte des Europarats nicht nur auf dem Papier bestehen, muss er das Notwendige tun, damit diese umgesetzt werden. Auf der Agenda steht die Verurteilung zu erschwerter lebenslänglicher Freiheitsstrafe. Wir erwarten, dass das Ministerkomitee seinen Willen zeigt. Unsere Sorge nimmt täglich weiter zu. Wir werden unsere Initiativen fortsetzen und fordern, dass die Rechtlosigkeit endlich beendet wird.“