Belgien: Papierlose treten in Durststreik

Der Hungerstreik von Papierlosen in Belgien tritt in eine neue Phase ein. 300 der seit 58 Tagen für einen Aufenthaltstitel kämpfenden Menschen sind in einen Durststreik getreten. Mehrere von ihnen befinden sich in einem lebensbedrohlichen Zustand.

Seit 58 Tagen befinden sich rund 450 „Papierlose" in Belgien im Hungerstreik. Sie fordern von der Regierung ein Aufenthaltsrecht im Land, nachdem sie jahrelang in Belgien gearbeitet hatten. Seit vergangenem Freitag weigern sich etwa 300 der Hungerstreikenden zu trinken, einige von ihnen stehen mittlerweile an der Schwelle zum Tod. Zuvor hatte es bereits mehrere Suizidversuche gegeben. Mindestens vier der Streikenden haben sich die Münder zugenäht.

Politischer Druck wächst

Mehrere politische Parteien in Belgien haben Premierminister Alexander De Croo zum Eingreifen aufgefordert. Die Vorsitzenden der Sozialistischen und der Grünen Partei, ebenfalls Mitglieder der Regierungskoalition, warnten am Wochenende in einer Erklärung, dass eine Tragödie bevorstehe. Nach Angaben des flämischen öffentlich-rechtlichen Rundfunks VRT sagte der sozialistische Vizepremierminister Pierre Yves Dermagne am Montag zu Kabinettsmitgliedern: „Wir werden die Regierung innerhalb einer Stunde verlassen, wenn jemand stirbt.“

Regierung: „Kein kollektives Bleiberecht“

Der Staatssekretär für Asyl und Einwanderung, Sammy Mahdi (CD&V), sagte am Sonntag, dass „niemand eine Tragödie“ wolle, er verfolge die Situation genau. Aber er beharrte darauf, dass die Regierung ein kollektives Bleiberecht nicht zulassen werde: „Das würde Hungerstreiks in den Gemeinden landauf, landab auslösen.“

Zwei Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen haben einen offenen Brief an Mahdi geschrieben und eine Lösung der Krise gefordert. „Die Informationen, die wir erhalten, sind alarmierend, mehrere Streikende befinden sich zwischen Leben und Tod“, so Olivier De Schutter, der UN-Sonderberichterstatter für extreme Armut und Menschenrechte.

Felipe Gonzalez, Sonderberichterstatter für die Menschenrechte von Migrant:innen, schrieb außerdem: „Um auf diese Notsituation zu reagieren, muss die Regierung sofort bestätigen, dass der Gesundheitszustand der Hungerstreikenden ein Hindernis für jede Ausweisung ist, und dass sie in Erwägung zieht, jedem, der eine Regularisierung des Aufenthalts beantragt, eine vorübergehende Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, die die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit erlaubt.“

In einem Antwortschreiben verteidigte Mahdi das Recht Belgiens, politische Entscheidungen über den Status von Nicht-Staatsangehörigen zu treffen, die kein Aufenthaltsrecht im Land haben.

Todesfall jederzeit möglich“

„Ärzte der Welt Belgien" teilten regionalen Medien mit, sie befürchteten, dass die Hungerstreikenden einen „plötzlichen Herzstillstand“ ereilen könnte, da sich ihr körperlicher Zustand verschlechtert habe. „Ein Todesfall ist jeden Moment möglich“, sagte die Organisation. Sie warnte am Sonntag auch, dass sich der neurologische und psychologische Zustand der Hungerstreikenden so weit verschlechtert habe, dass sie sich möglicherweise entschließen, sich das Leben zu nehmen.

Gestrandete der Pandemie

Die Geflüchteten, die seit dem 23. Mai die Kirche Église du Béguinage im Stadtzentrum von Brüssel sowie Räumlichkeiten der ULB und der Mensa (VUB) besetzt halten, kommen überwiegend aus dem Maghreb, aber auch aus Pakistan, Afghanistan und Nepal. Sie leben seit vielen Jahren illegal in Belgien, einige sogar seit mehr als einem Jahrzehnt, und gelten als die „Gestrandeten der Pandemie”. Sie hielten sich mit Niedriglohnjobs über Wasser und kurbelten so auf dem Bau, in Restaurants oder Fabriken die Parallelwirtschaft Belgiens an. Mit Corona fiel ihr Einkommen weg. Und ohne Papiere bleiben ihnen die Gesundheitsversorgung und viele andere Dienstleistungen verwehrt.