Eine deutsche Anhängerin der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) ist am Mittwoch vor dem Oberlandesgericht Koblenz zu einer Haftstrafe von neun Jahren und drei Monaten verurteilt worden. Die 37-Jährige aus Idar-Oberstein in Rheinland-Pfalz wurde unter anderem der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Beihilfe zum Völkermord schuldig gesprochen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Mann arbeitete als „IS-Arzt“
Laut Bundesanwaltschaft hat sich die Angeklagte Nadine K. während ihres Studiums in Nordrhein-Westfahlen islamistisch radikalisiert und dort ihren künftigen Ehemann, einen syrischen Arzt, kennengelernt. Beide reisten 2014 nach Syrien aus, um sich dem IS anzuschließen. 2015 zog das Paar nach Mossul im Irak um. Der Mann behandelte als „IS-Arzt“ Söldner der Terrorgruppe, während seine Frau ihn mit der Führung des Haushalts und der Erziehung der zwei gemeinsamen Töchter unterstützte. In ihrem Haus in Mossul nahmen die Eheleute alleinstehende IS-Frauen auf und lagerten eine große Anzahl Sprengstoff und Waffen, darunter Handgranaten und Kalaschnikows. Mit einer Pistole machte das Paar regelmäßig Schießübungen.
Ezidin als Sklavin missbraucht
2016 brachte der Ehemann eine damals 22-jährige Ezidin als Sklavin in das Haus. Die junge Frau war zwei Jahre zuvor beim IS-Überfall auf das ezidische Hauptsiedlungsgebiet Şengal vom IS verschleppt und davor schon anderen IS-Mitgliedern als „Haushalts- und Sexsklavin“ zur Verfügung gestellt worden, hieß es von der Anklage. Sie sei gezwungen worden, zu kochen und zu putzen sowie sich um die Kinder des Paares zu kümmern. Der Ehemann soll sie regelmäßig vergewaltigt und geschlagen haben. Die Angeklagte habe die Vergewaltigungen ermöglicht und gefördert. „Sie hätte etwas tun können und müssen“, sagte die Richterin. Die Ezidin soll zudem gezwungen worden sein, täglich nach islamischem Ritus zu beten, mit dem Ziel, ihren eigenen Glauben zu vernichten.
Am 3. August 2014 überfiel der IS die Şengal-Region im Irak mit dem Ziel, eine der ältesten Religionsgemeinschaften auszulöschen: Die Ezidinnen und Eziden. Durch systematische Massakrierung, Vergewaltigung, Folterung, Vertreibung, Versklavung von Mädchen und Frauen und der Zwangsrekrutierung von Jungen als Kindersoldaten erlebte die ezidische Gemeinschaft den 74. Völkermord in ihrer Geschichte. Etwa 10.000 Menschen fielen jüngeren Schätzungen nach Massakern zum Opfer, mehr als 400.000 weitere wurden aus ihrer Heimat vertrieben. Über 7.000 Frauen und Kinder wurden verschleppt, bis heute werden 2.500 von ihnen vermisst. Daher stellt dieser Genozid in seiner Form zugleich auch einen Femizid dar.
Von QSD bei Flucht gefangen genommen
2019 wurde die Familie bei der Flucht aus der letzten IS-Enklave Baghuz in Ostsyrien von den Demokratischen Kräften Syriens (QSD) festgenommen. Die Angeklagte kam mit ihren Töchtern in ein Auffanglager, der Ehemann landete in einem Gefängnis. Bei einer Rückholaktion der Bundesregierung wurde sie im März 2022 mit neun anderen IS-Anhängerinnen und 27 Kindern nach Deutschland gebracht. Der Generalbundesanwalt ließ sie und drei weitere Frauen direkt am Frankfurter Flughafen festnehmen. Seitdem saß sie in Untersuchungshaft. Ihre beiden Töchter werden laut Bundesanwaltschaft getrennt von der Angeklagten betreut.
Richterin: Keine Distanzierung vom IS
Die Richterin bezeichnete Nadine K. als „intelligente und selbstbestimmte Frau“, die sich willentlich dem sogenannten IS angeschlossen habe. Chat-Nachrichten hätten gezeigt, dass sie überzeugte Anhängerin der Terrorvereinigung gewesen sei. Der Senat habe keine Anhaltspunkte feststellen können, aus denen sich eine Distanzierung der Angeklagten ergebe, sagte die Richterin. Die einst versklavte und wiederholt vergewaltigte Ezidin leide bis heute unter ihrem Martyrium. Sie lebt inzwischen wieder bei ihrer Familie in Şengal. Bei dem Prozess vor dem Staatsschutzsenat des OLG Koblenz trat sie als Nebenklägerin und Schlüsselzeugin auf. Zur Urteilsbegründung reiste sie eigens aus ihrer Heimat an.
Titelbild: IS-Anhängerin mit Kind bei der Evakuierung der IS-Enklave Baghuz im Februar 2019