Aysel Tuğluk laut türkischer Rechtsmedizin „haftfähig“
Die türkische Rechtsmedizin in Istanbul hat die an chronischer und fortschreitender Alzheimer-Demenz erkrankte Aysel Tuğluk erneut als haftfähig eingestuft.
Die türkische Rechtsmedizin in Istanbul hat die an chronischer und fortschreitender Alzheimer-Demenz erkrankte Aysel Tuğluk erneut als haftfähig eingestuft.
Die in türkischer Haft an Demenz erkrankte kurdische Politikerin und Menschenrechtsanwältin Aysel Tuğluk ist vom Institut für Rechtsmedizin (ATK) in Istanbul erneut als haftfähig eingestuft worden. Damit ist der Antrag der Verteidigung auf Aufhebung des Haftbefehls wegen Haftunfähigkeit zum dritten Mal verworfen worden. Tuğluks Rechtsbeistand zeigte sich empört und erklärte, sowohl beim ATK als auch bei der Generalstaatsanwaltschaft Kocaeli als zuständige Behörde Widerspruch gegen den Beschluss eingereicht zu haben.
Aysel Tuğluk befindet sich seit Ende 2016 unter Terrorvorwürfen im Hochsicherheitsgefängnis Kandıra in der Schwarzmeerprovinz Kocaeli in Haft. Im vergangenen Jahr stellte ein von neun Fachleuten erstelltes Gutachten der forensischen Abteilung der Universität Kocaeli fest, dass die 56-Jährige aufgrund einer chronischen und fortschreitenden Alzheimer-Demenz nicht länger haftfähig ist und sofort aus dem Gefängnis zu entlassen sei. Das Istanbuler ATK, eine Einrichtung des Justizministeriums, hat eine gegenteilige Feststellung getroffen und sah bisher keinen Grund für eine Aussetzung des Strafvollzugs.
In dem klinischen Untersuchungsbericht vom 22. Juni widerspreche sich das ATK gleich an mehreren Stellen, hebt Tuğluks Verteidigung hervor. „So heißt es einerseits, dass das Erinnerungsniveau der Probandin zwar extrem gering sei und die Testwerte und Ratingskalen zu kognitiven und funktionellen Beeinträchtigungen äußerst niedrig ausgefallen sind. Andererseits stellt das ATK jenseits von wissenschaftlichen Erkenntnissen eine Haftfähigkeit und Strafmündigkeit fest.“ Die Anwält:innen kritisieren, dass der Bericht überzogene, einseitige, widersprüchliche und ethisch unzulässige Argumentationen enthalte, die weitherum Kopfschütteln erweckten. „Die Einrichtung ist ihrem Auftrag nach Objektivität absolut nicht gerecht geworden.“
In die Widerspruchsbegründung gegen den ATK-Bericht hat Aysel Tuğluks Rechtsbeistand auch die Ausführungen eines Gutachtens der Menschenrechtsstiftung der Türkei (TIHV) eingearbeitet. In der fachlichen Expertise, der alle bisherigen Untersuchungsberichte, die kompletten Krankenakten, Rezepte, eine Dokumentation über Gesundheits- und Kontrollmaßnahmen im Gefängnis, aber auch Schilderungen von Tuğluks Mitgefangenen umfasst, wird festgestellt: „Die Patientin hat die Kontrolle über ihr eigenes Leben verloren und ist in Haft ohne die Hilfe anderer nicht in der Lage, sich selbst zu versorgen.“
Mit einer Antwort der Staatsanwaltschaft in absehbarer Zukunft rechnet Tuğluks Verteidigung allerdings nicht. Das Revisionsverfahren gegen die Verurteilung der ehemaligen Parlamentarierin und Anwältin von Abdullah Öcalan zu zehn Jahren Gefängnis wegen „Mitgliedschaft in einer Terrororganisation“ ist seit mittlerweile zweieinhalb Jahren anhängig.