Appell aus Amed: Wahlboykott nützt Erdoğan

Kurdische Politiker:innen haben zwei Tage vor der Stichwahl für das Präsidentenamt in der Türkei zum Urnengang aufgerufen. Der nationalistische Diskurs des Oppositionskandidaten habe großen Unmut hervorgerufen, dennoch müsse Erdoğan abgewählt werden.

Zwei Tage vor der Stichwahl für das Präsidentenamt in der Türkei haben Politiker:innen der Demokratischen Partei der Völker (HDP) und der Grünen Linkspartei (YSP) auf einer Pressekonferenz in Amed (tr. Diyarbakir) erneut dazu aufgerufen, die Erdoğan-Ära zu beenden und einen demokratischen Neuanfang zu ermöglichen. An dem Pressegespräch nahmen die HDP-Vorsitzende Pervin Buldan, der kurdische Politiker Ahmet Türk sowie die YSP-Abgeordneten Meral Danış Beştaş, Cengiz Çandar, George Aslan, Sevilay Çelenk und Mehmet Kamaç teil.

Pervin Buldan wies einleitend darauf hin, dass die Wahlen am 14. Mai nicht unter gleichen Bedingungen und in einem demokratischen Umfeld stattgefunden haben und die „Volksallianz“ von Staats- und Regierungschef Erdoğan alle Mittel des Staates nutze. Die YSP habe trotz dieser Hindernisse einen Erfolg erzielt und die Stichwahl am Sonntag sei „wichtig für die demokratische Zukunft und den Frieden in der Türkei, für die Zukunft der jungen Menschen und der Frauen“.

Deshalb muss Erdoğan gehen“

HDP und YSP hätten bereits am Vortag in Ankara bekannt gegeben, dass sie an ihrer Strategie beim ersten Wahlgang festhielten, so die kurdische Politikerin: „Wenn die AKP und Erdoğan erneut gewinnen, wird der Gesellschaft in der Türkei weiter die Luft zum Atmen genommen werden. Deshalb muss Erdoğan gehen. Ich bin der Meinung, dass die Gesellschaft nach dem Abgang von Erdoğan aufatmen wird, denn wir wissen, dass die AKP-Regierung der Türkei zusammen mit der MHP die Luft genommen hat. Wir alle haben gesehen, dass in diesem Land alle Arten von Gesetzlosigkeit, Feindseligkeit, Unterdrückung und Gewalt entstanden sind. Von der Demokratie ist kein Krümel übrig geblieben. Es gibt eine ausgeprägte Feindlichkeit den Kurdinnen und Kurden gegenüber, gleichzeitig gibt es Frauenfeindlichkeit und Feindschaft gegen den Frieden. Damit all das aufhört und die Türkei aufatmen kann, muss Erdoğan bei diesen Wahlen verlieren. Von diesen Wahlen hängt es ab, ein Umfeld zu schaffen, in dem diese Probleme gelöst und demokratische Schritte unternommen werden können. Nur so kann die Türkei Frieden, Ruhe und Wohlstand erlangen. Deshalb möchte ich meine Überzeugung zum Ausdruck bringen, dass mit der Abwahl von Erdoğan demokratische Wege eröffnet werden können. Ich möchte betonen, dass die Dekrete, die Erdoğan im Falle seines erneuten Sieges erlassen wird, für die Türkei katastrophal sein werden. Es ist nicht nötig, einzeln aufzuzählen, was passieren wird, wenn Erdoğan wieder gewinnt. Was wir in den letzten Jahren erlebt haben, ist ein klares Indiz dafür. Wir werden wieder Widerstand leisten, wir werden wieder kämpfen, aber der Gesellschaft wird die Luft ausgehen. Das ist es, was uns am meisten beunruhigt.“

Referendum zwischen Faschismus und Demokratie

Der zweite Wahlgang sei ein „Referendum zwischen Faschismus und Demokratie“ und werde das Schicksal der Türkei entscheiden, betonte Buldan und appellierte an die Kurd:innen und alle Menschen im Land: „Es liegt in unserer Hand, das Schicksal der Türkei zu verändern. Lassen Sie uns noch einmal zu diesem Wandel und dieser Veränderung beitragen, indem wir am 28. Mai zur Wahl gehen, und lassen Sie uns diese Wahl in dem Bewusstsein angehen, dass wir für unsere Zukunft stimmen und unser Morgen bestimmen. Ich wünsche allen viel Glück und Erfolg und hoffe, dass wir am 28. Mai das von uns gewünschte Ergebnis erzielen werden. Es geht nicht um die Volksallianz oder Herrn Kılıçdaroğlu, es geht um die Zukunft der Türkei, und wir stimmen für die Zukunft der Türkei. Ich rufe die Menschen in der Türkei noch einmal auf, die Wahlurnen zu schützen und ihre Stimme abzugeben."

Türk: Es geht nicht um Einzelpersonen

Ahmet Türk sagte: „Wir machen eine wichtige Phase durch und erleben die Schmerzen des Wandels und der Transformation. Natürlich geht es bei unserer Wahl nicht um Einzelpersonen. Wir kämpfen für die Zukunft des kurdischen Volkes und die Zukunft der Türkei, und wir treffen unsere Wahl entsprechend. Natürlich haben die jüngsten nationalistischen Debatten in unserem Volk Ressentiments hervorgerufen. Von hier aus möchte ich vor allem unserem Volk und der Jugend folgende Botschaft mit auf den Weg geben: Lasst euch nicht täuschen; zu protestieren und nicht zur Wahl zu gehen, ist Wasser auf Erdoğans Mühlen. Ihr müsst mit diesem Bewusstsein zur Wahl gehen. Wir hatten zwei Möglichkeiten vor uns. Wie unsere Ko-Vorsitzende gerade gesagt hat, gibt es eine Mentalität, das Rassismus, Faschismus und monistisches Verständnis in der Türkei vorherrschen lassen will. Auf der anderen Seite gibt es ein anderes Verständnis, das sich auf die Rechtsstaatlichkeit stützt, die zumindest Vertrauen in ein demokratisches Umfeld gibt, in dem unser Volk atmen kann. Wir müssen uns für eine dieser beiden Optionen entscheiden. Natürlich werden wir der Demokratie, den Menschenrechten und der freien Zukunft des kurdischen Volkes den Vorzug geben. Der Kampf, den wir seit Jahren führen, gilt einer demokratischen Zukunft, der Begegnung der Völker auf der Grundlage gemeinsamer demokratischer Werte, der freien Zukunft unseres Volkes.

Wir wissen, dass viele unserer Forderungen vielleicht nicht erfüllt werden. Dennoch werden wir unseren Kampf in der Weise fortsetzen, an die wir glauben. Aber was ich heute von Anfang an sagen wollte, ist Folgendes: Liebe Leute, wir stehen vor zwei Möglichkeiten: Entweder wir unterstützen den Faschismus oder wir unterstützen eine Option gegen ihn, die unserem Volk zumindest die Möglichkeit gibt, zu atmen. Eine dieser beiden Optionen ist Kılıçdaroğlu, und wir werden unsere Wahl zugunsten von Kılıçdaroğlu treffen. Wir sehen, dass es in unserem Volk aufgrund des nationalistischen Diskurses der letzten Zeit einen Unmut gibt, und wir spüren diesen Unmut auch. Aber wir sollten uns nicht täuschen lassen. Wir müssen bei diesen Wahlen als Ganzes an die Urnen gehen und unsere Stimmen schützen, bis sie an den Wahlvorstand gehen."