Ankara wirft UN-Menschenrechtsexpertin „Parteilichkeit” vor

Die Türkei hat der UN-Expertin Mary Lawlor Parteilichkeit und fehlende Objektivität vorgeworfen. Hintergrund ist Kritik der Sonderberichterstatterin angesichts der Kriminalisierung von menschenrechtlichem Engagement auf Grundlage der Antiterrorgesetze.

Die türkische Regierung hat der UN-Menschenrechtsexpertin Mary Lawlor Parteilichkeit und fehlende Objektivität vorgeworfen. Hintergrund ist die an Ankara gerichtete Forderung der Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen (UN) für den Schutz von Menschenrechtsverteidiger:innen, inhaftierte Menschenrechtler:innen freizulassen und ihre Kriminalisierung auf Grundlage der Antiterrorgesetzgebung zu beenden. Lawlor hatte im Frühjahr der Regierung in Ankara ihre Besorgnis darüber mitgeteilt, dass die türkischen Antiterrorgesetze in großem Umfang dazu benutzt werden, menschenrechtliches Engagement zu behindern.

Vor allem Rechtsanwält:innen, die Opfer von Menschenrechtsverletzungen, Polizeigewalt und Folter „oder einfach nur Oppositionelle” vertreten, würden von den Behörden ins Visier genommen, hatte Lawlor geäußert. Die Türkei würde regelmäßig Elemente der Menschenrechte als eine der drei zentralen Säulen der UN verletzen, indem sie Verfechter:innen von Grundrechten ihrer Freiheit beraubt und damit gegen ihr Recht, den eigenen Beruf rechtmäßig auszuüben, verstößt. In mehreren Mitteilungen an die türkische Führung waren die Fälle von 22 Menschenrechtsverteidiger:innen angesprochen worden, die inhaftiert oder verurteilt wurden oder denen eine Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren droht. Dabei geht es unter anderem um die IHD-Vorsitzende Eren Keskin, die Forensikerin und Chefin der türkischen Ärztekammer TTB, Şebnem Korur Fincancı, sowie den Türkei-Repräsentanten von Reporter ohne Grenzen (RSF), Erol Önderoglu.

Die Mär der terroristischen Bedrohungen

Ankara maßt sich nun an, die UN-Expertin an den Verhaltenskodex für Mandatstragende der Sonderverfahren des Menschenrechtsrats zu erinnern. Lawlor habe grob gegen die Prinzipien des sogenannten „Code of Conduct“ verstoßen und sei ihren Verantwortlichkeiten nicht nachgekommen, obwohl die türkische Regierung bereits mehrfach über die „terroristischen Bedrohungen, denen die Türkei ausgesetzt ist“, informiert habe. Im Übrigen fehle den „vorgebrachten Behauptungen“ jegliche Substanz, da die Türkei ihren „Verpflichtungen nach den internationalen Menschenrechtsnormen“ nachkomme und „Achtung vor grundlegenden Rechtsprinzipien“ habe. Daher sei das Verhalten von Lawlor bedauerlich.

„Im Geiste der Zusammenarbeit und des guten Willens“ äußert sich die türkische Regierung in ihrer Antwort an die UN-Menschenrechtsexpertin zu den Fällen von vier Inhaftierten, denen Mitgliedschaft bei der in der Türkei unter der Bezeichnung „FETÖ“ als terroristische Vereinigung eingestuften Bewegung des islamistischen Predigers Fethullah Gülen vorgeworfen wird. Als zentralen Beweis gegen die vier Männer führt Ankara in dem Schreiben an Lawlor die Kommunikations-App Bylock an, die von den Betroffenen verwendet worden sei. Die türkische Regierung behauptet, der Pseudoputsch von 2016 sei über Bylock koordiniert worden. Auch der Rest der Antwort liest sich wie ein schlechter Film. 

Türkische Terrorparagraphen: Altbewährtes Instrument zur Kriminalisierung

Die türkische Führung nutzt seit Jahren ihre Antiterrorgesetze als Instrument, um Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger und Andersdenkende zu kriminalisieren und einzusperren, um sie zum Schweigen zu bringen. Vor allem gegen diejenigen, die ihre Stimme für die Lösung der kurdischen Frage erheben. Ihre „Delikte“ werden in der Regel zu Gunsten von „Terrororganisationen“ unter Strafe gestellt. Die „Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation“ beispielsweise wird sowohl vom türkischen Strafgesetzbuch (tStGB) als auch vom Antiterrorgesetz geregelt. Letzteres besagt in Artikel 7, dass, wer eine terroristische Vereinigung gründet oder befehligt oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, nach Art. 314 des tStGB über die Bildung bewaffneter Gruppen verurteilt wird. Propaganda zugunsten einer terroristischen Organisation oder das Tragen von erkennbaren Zeichen einer solchen Organisation sind ebenfalls gemäß Art. 7 strafbar. Wer, ohne Teil einer Organisation zu sein, im Namen der Organisation eine Straftat begeht, wird nach Art. 220/6 tStGB wie ein Mitglied der Organisation bestraft. Dieser Fall tritt in der Regel zur strafrechtlichen Verfolgung von Demonstrant:innen ein, auch wenn dies gegen die Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit verstößt.