Die bekannte Menschenrechtsanwältin Eren Keskin ist Anfang der Woche im Hauptverfahren gegen die Zeitung Özgür Gündem wegen „Mitgliedschaft in einer Terrororganisation“ zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von sechs Jahren und drei Monaten verurteilt worden. Aus Solidarität mit der Zeitung, die nach dem Putschversuch 2016 verboten wurde, hatte die Ko-Vorsitzende des Menschenrechtsvereins IHD zeitweise symbolisch den Posten der Chefredakteurin der Özgür Gündem übernommen. Im selben Prozess wurden auch Kemal Sancılı, Inan Kizilkaya und Zana Bilir Kaya zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.
Das politisch motivierte Urteil löste international Empörung aus. So erklärte Markus N. Beeko, Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland, am Montag: „Dieses Urteil ist ein deutliches Signal der weiter katastrophalen Menschenrechtslage in der Türkei. Wegen ihres Einsatzes für die Pressefreiheit wurde Eren Keskin heute in einem politisch motivierten Verfahren zu über sechs Jahren Haft verurteilt. Hier soll eine unerschrockene Stimme im Einsatz für die Menschenrechte durch willkürliche juristische Schikanen zum Schweigen gebracht werden. Die türkische Justiz ist hier erneut zum politischen Werkzeug geworden, mit dem die Regierung gegen die unabhängige Zivilgesellschaft vorgeht. Amnesty International fordert ein Ende der Repressionen gegen Eren Keskin und die vielen Menschen, die in der Türkei allein wegen ihres Einsatzes für die Rechte und Freiheiten anderer verfolgt werden. EU und Bundesregierung bleiben gefragt, gegenüber der türkischen Regierung beharrlich und unmissverständlich auf die Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention zu drängen."
Wie Eren Keskin am Freitag im Kurznachrichtendienst Twitter mitteilte, beläuft sich die Gesamtstrafe in den 124 Prozessen gegen sie auf 26 Jahre, neun Monate und zwanzig Tage. „Ich habe niemals Gewalt angewendet, niemanden beleidigt und niemandem etwas Schlechtes angetan. Ich denke bloß anders als diejenigen, die den Staat leiten...“, schrieb die Rechtsanwältin und veröffentlichte eine Bilanz der Strafverfahren gegen sie. Da gegen die Urteile Rechtsmittel eingelegt worden sind, sind sie noch nicht rechtsgültig.
Neben den Gefängnisstrafen ist Eren Keskin auch zu Geldstrafen in Höhe von insgesamt 432.912 TL (etwa 51.000 Euro) verurteilt worden. 184.000 TL sind bereits bezahlt, weil sie sonst in Haftstrafen umgewandelt worden wären. Vier Verfahren sind mit Freispruch oder Einstellung beendet worden.
Eren Keskin arbeitet seit 1984 als Rechtsanwältin. Sie ist Gründungsmitglied und Ko-Vorsitzende des Menschenrechtsvereins der Türkei (IHD). Als Strafverteidigerin ist sie vor allem mit politischen Fällen befasst. Sie setzt sich für Opfer sexualisierter Gewalt sowie für die Rechte verfolgter Angehöriger von Minderheiten ein. 2001 erhielt Eren Keskin für ihr Engagement den Menschenrechtspreis der deutschen Sektion von Amnesty International. Zudem ist sie Trägerin zahlreicher anderer Preise, unter anderem des Aachener Friedenspreises (2004).