Der Fund von hundert Kilogramm Heroin im Gepäck eines türkischen Staatsbürgers bedeutet viel mehr als ein Schlag gegen die Drogenmafia. Offensichtlich war dem türkischen Zoll zunächst nicht klar, um wen es sich bei dem Festgenommenen handelte. Veysel Filiz hatte jahrelang Lobbyarbeit für das Erdoğan-Regime in Europa geleistet und trat in AKP/MHP-Kanälen immer wieder als „Außenpolitikexperte“ auf. 2014 wurde er vom türkischen Regimechef Recep Tayyip Erdoğan (AKP) selbst zum Presseverantwortlichen der türkischen Botschaft in Brüssel ernannt.
Spion für türkisches Regime
Seine inoffizielle Aufgabe war es, Informationen über Gegner des Erdoğan-Regimes in Europa, insbesondere über Kurd*innen zu sammeln und diese nach Ankara weiter zu melden. 2017 stellte die belgische Polizei fest, dass Filiz von Fakeaccounts aus in Europa lebende Oppositionelle bedrohte. Gegen ihn wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und er zur Aussage vorgeladen. Dies führte zu einer politischen Krise zwischen Ankara und Brüssel. Filiz wurde zur „unerwünschten Person“ in Belgien erklärt und er zog sich in die Türkei zurück. Auch nach seiner Rückkehr in die Türkei unterbrach er seine Kontakte nach Europa nicht und organisierte insbesondere die AKP/MHP-nahe Nationalistenszene in Europa. Filiz hatte auch engste Verbindungen in die Drogenmafia. Offensichtlich schmuggelte er systematisch Heroin nach Europa. Am 9. Dezember wurde der türkische Agent an der bulgarischen Grenze durch einen Zufall mit hundert Kilogramm Heroin im Wert von fünf Millionen Euro erwischt. Der Vorgang kam erst jetzt ans Licht, da alles daran gesetzt wurde, das Ereignis vor der Öffentlichkeit zu verschweigen. Die türkischen Behörden verhängten sofort eine Geheimhaltungsverfügung und statt der bei ähnlichen Drogenfunden verbreiteten Erfolgsmeldung herrschte eisernes Schweigen bei der türkischen Zollbehörde. Filiz wurde inhaftiert. Sein Sohn Fatih Filiz spricht von einem „Komplott“ gegen seinen Vater, er werde bald freikommen. Ob er auf eine ähnliche Amnestie wie der Mafiapate, Mörder und bekennende Faschist Alaattin Çakıcı hoffen kann, bleibt abzuwarten.
Sprecher des islamistischen Lobbyverbands EMISCO
In Europa trat Filiz als Sprecher des Europäischen Islamverbandes EMISCO (European Muslim Initiative for Social Cohesion) und machte in diesem Rahmen Lobbyarbeit. Auf der schlecht gepflegten Verbandswebsite erscheint sein Name zuletzt am 29. März 2020, als er sich für den wegen antisemitischer Hetze und Hitler-Lob verurteilten Prediger Ahmet Mete einsetzte. Ende Oktober wird auf der Facebookseite des Verbands für Vorträge von Filiz geworben, in denen er die „Islamophobie der Macron-Regierung“ geißelt. Der Verband ruft im Einklang mit dem AKP/MHP-Regime zum Frankreich-Boykott auf.
Sumpf aus Geheimdienst, Drogenmafia und Faschisten
Die Grauen Wölfe und der türkische Faschismus im Allgemeinen haben eine historische Verbindung zur organisierten Kriminalität. Seit den 70er Jahren ist der Drogenschmuggel der unterschiedlichen türkischen Regime nach Europa immer wieder gut dokumentiert worden. Insbesondere die extralegalen Tätigkeit von Faschisten und Agentennetzwerken werden häufig aus Drogengeldern finanziert.
Susurluk: Synonym für Zusammenarbeit von Staat und organisiertem Verbrechen
Ein Blick in die Geschichte der Verquickung von türkischem Staat und Drogenmafia lohnt. Der Name der westtürkischen Stadt Susurluk steht als Synonym für die Verbindung staatlicher Stellen mit organisierter Kriminalität. Bei einem Verkehrsunfall am 3. November 1996 verunglückten in Susurluk der Parlamentsabgeordnete Sedat Bucak, der hochrangige Polizeifunktionär Hüseyin Kocadağ, ehemals Kommandant der Spezialkräfte in Colemêrg (tür. Hakkari) sowie Vize-Polizeichef von Diyarbakir (kur. Amed) und Istanbul und die Schönheitskönigin Gonca Us zusammen mit dem ehemaligen Funktionär der paramilitärisch-faschistischen „Idealistenverbände” und per Interpol gesuchten Mafiakiller Abdullah Çatlı. Nur Bucak, ein kurdischer Stammesführer aus Sêwreg (Siverek) und Mitglied der damaligen Regierungspartei (DYP) von Tansu Çiller, der in seinem Heimatort über eine Privatarmee von 20.000 Dorfschützern aus 90 Dörfern des von ihm kontrollierten Clans gegen die PKK verfügte, überlebte. Für die Bereitstellung der Dorfschützer bezog Bucak staatliche Gelder in Höhe von monatlich 1,3 Millionen US-Dollar.
Am Unfallort, wo die gepanzerte Mercedes-600-Limousine der Verunglückten mit hoher Geschwindigkeit auf einen LKW, der aus einer Raststätte herausfuhr, prallte, fand die Polizei einen vom damaligen Innenminister Mehmet Ağar unterzeichneten Ausweis, der Çatlı als „Polizeiexperten” auswies, einen Diplomatenpass, sieben Schusswaffen mit Schalldämpfern und Kokain. Die Medien begannen zu recherchieren und deckten ein Dickicht von Raub, Erpressung, Rauschgifthandel und Mord auf, in das höchste Regierungsstellen verstrickt waren.