AKP-Abgeordnete greifen DEM-Fraktion an

Die DEM-Fraktion hat im türkischen Parlament gegen die Festnahme des mit großer Mehrheit gewählten Bürgermeisters von Colemêrg protestiert und ist von AKP-Abgeordneten tätlich angegriffen worden.

Tätliche Auseinandersetzung im türkischen Parlament

Die DEM-Fraktion hat im Parlament der Türkei in Ankara gegen die Ernennung eines staatlichen Treuhänders für die Stadtverwaltung von Colemêrg (tr. Hakkari) protestiert. Der Bürgermeister der kurdischen Provinzhauptstadt ist am Montag festgenommen und durch einen Zwangsverwalter ersetzt worden. Bei der heutigen Parlamentssitzung sprach Vezir Parlak, einer der DEM-Abgeordneten aus Colemêrg, über die Zwangsverwaltung und verließ danach das Rednerpult nicht. Weitere Fraktionsmitglieder stellten sich dazu und hielten dabei Schilder mit der Aufschrift „Die Rathäuser gehören uns, wir lassen die Usurpation nicht zu“. Daraufhin wurde die Sitzung für zehn Minuten unterbrochen. Einige CHP-Abgeordnete unterstützten den Protest in der Pause.

Die DEM-Vizefraktionsvorsitzende Gülistan Kılıç Koçyiğit erklärte, dass seit acht Jahren kurdische Städte und Gemeinden unter staatliche Zwangsverwaltung gestellt werden: „Seit acht Jahren ist das passive und aktive Wahlrecht für die kurdische Bevölkerung aufgehoben. Die Regierung dieses Landes sagt den Kurdinnen und Kurden: Ihr seid keine Bürger, ihr seid nicht gleichberechtigt, eure Stimmen zählen nicht. Ihr könnt wählen, wen ihr wollt, ihr könnt an Demokratie glauben, aber ich kann jederzeit einen Treuhänder ernennen und eure Rathäuser usurpieren.“

Nach der Sitzungspause setzte die DEM-Fraktion den Protest fort. Nach weiteren Unterbrechungen wurden AKP-Abgeordnete handgreiflich und bedrängten die protestierenden DEM-Politiker:innen, die daraufhin „Schulter an Schulter gegen den Faschismus!“ riefen. Es kam zu einer tätlichen Auseinandersetzung.


Hintergrund: Wahlsieger festgenommen und abgesetzt

Zwei Monate nach den Kommunalwahlen in der Türkei hat das Innenministerium am Montag den DEM-Politiker Mehmet Sıddık Akış festnehmen lassen, bevor er kurz darauf seines Amtes enthoben wurde. Er war am 31. März trotz massiven Betrugsversuchen und des Einsatzes tausender Soldaten als „Geisterwähler“ mit 48,92 Prozent der Stimmen zum Ko-Bürgermeister von Colemêrg gewählt worden. Unmittelbar nach seiner Festnahme ist der von der Regierung ernannte Gouverneur für die Provinz als Zwangsverwalter eingesetzt worden; das seit dem Abend von der Polizei umstellte Rathaus wurde durchsucht.

Bei den Kommunalwahlen Ende März hatte die Regierungspartei AKP von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan ein historisch schlechtes Ergebnis eingefahren. Stärkste Kraft auf kommunaler Ebene wurde die größte Oppositionspartei CHP. Die DEM konnte 78 Ratshäuser gewinnen und damit ihr Ergebnis bei den vorherigen Kommunalwahlen 2019 verbessern. Damals war ein Großteil der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in den kurdischen Städten und Gemeinden von der Regierung abgesetzt worden, viele landeten teilweise für Jahre im Gefängnis. Die Zwangsverwaltung kurdischer Rathäuser wurde 2016 eingeführt.