Polizeiangriff auf Proteste in Colemêrg

Die Proteste gegen die Festnahme des Bürgermeisters und die Ernennung eines Zwangsverwalters in Colemêrg sind von der Polizei mit Tränengas und Wasserwerfern angegriffen worden. Die DEM-Vorsitzende spricht von einem faschistischen Putsch.

Kein Wahlrecht für Kurd:innen in der Türkei

Die Bevölkerung von Colemêrg (tr. Hakkari) protestiert den zweiten Tag in Folge gegen die Festnahme des gewählten Ko-Bürgermeisters Mehmet Sıddık Akış. Der DEM-Politiker ist am Montag festgenommen und des Amtes enthoben worden, das Rathaus der kurdischen Provinzhauptstadt im Südosten der Türkei wurde unter staatliche Zwangsverwaltung gestellt. Die Proteste werden von der Polizei mit Tränengas und Wasserwerfern angegriffen. Es wird von mehreren Verletzten berichtet, eine Journalistin wurde bewusstlos in ein Krankenhaus eingeliefert. Jugendliche Demonstrant:innen reagierten mit Steinwürfen auf den Polizeiangriff.

Unter den Demonstrant:innen befinden sich Politiker:innen der DEM, DBP und CHP. Die Ko-Vorsitzende der DEM-Partei, Tülay Hatimoğulları, bezeichnete den Vorgang als rechtswidrigen politischen Putsch der Regierung gegen den Wählerwillen. Mehmet Sıddık Akış ist bei den Kommunalwahlen im März mit knapp 49 Prozent der Stimmen zum Bürgermeister gewählt worden. Die DEM-Vorsitzende erklärte, den Kurdinnen und Kurden werde signalisiert, dass das Wahlrecht für sie nicht gelte und sie nicht als Bürgerinnen und Bürger anerkannt werden:

„Das ist die Form, mit der die AKP dieses Land regiert. Die Bezeichnung dafür ist Faschismus und Putsch. Dagegen werden wir weiter Widerstand leisten, zusammen mit allen Menschen in der Türkei, die unterdrückt und ausgebeutet werden und Gerechtigkeit und Demokratie wollen. Und wir werden gewinnen. Das Volk wird gewinnen, die Demokratie, das Recht, die Freiheiten werden siegen. Die Ernennung eines Zwangsverwalters in Hakkari richtet sich nicht nur gegen den Willen der kurdischen Bevölkerung, sie stellt die Demokratie in der Türkei und das Lokalverwaltungsgesetz unter staatliche Treuhandschaft. Dagegen müssen alle demokratischen Kräfte Haltung beziehen.“

Der Ko-Vorsitzende der DBP, Keskin Bayındır, sagte: „Dieses System wird durch den Widerstand des kurdischen Volkes zusammenbrechen. Seit hundert Jahren wird der Wille der Kurdinnen und Kurden missachtet. Das hat [der MHP-Vorsitzende Devlet] Bahçeli heute ein weiteres Mal offen erklärt. Bahçeli und Erdoğan sollten sich die kurdische Geschichte anschauen: Sie selbst werden gehen, aber das kurdische Volk wird trotzdem weiter hier sein.“

Kurdische Gemeinden seit 2016 unter Zwangsverwaltung

Bei den Kommunalwahlen Ende März hatte die Regierungspartei AKP von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan ein historisch schlechtes Ergebnis eingefahren. Stärkste Kraft auf kommunaler Ebene wurde die größte Oppositionspartei CHP. Die DEM konnte 78 Ratshäuser gewinnen und damit ihr Ergebnis bei den vorherigen Kommunalwahlen 2019 verbessern. Damals war ein Großteil der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in den kurdischen Städten und Gemeinden von der Regierung abgesetzt worden, viele landeten teilweise für Jahre im Gefängnis. Die Zwangsverwaltung kurdischer Rathäuser wurde 2016 eingeführt.