AI: Türkei deportiert Schutzsuchende in Kriegsgebiete

Amnesty International greift die Flüchtlingspolitik der Türkei scharf an. Die Organisation berichtet, dass das AKP-Regime bereits seit Monaten Schutzsuchende in Kriegsgebiete in Syrien abschiebt.

Die Türkei schiebt systematisch Schutzsuchende in Kriegsgebiete in Syrien ab. Unsere Redaktion erreichen immer wieder Berichte von Schutzsuchenden, die in der Türkei unter Anwendung von Gewalt gezwungen wurden, ihre „freiwillige Ausreise“ zu unterzeichnen. Sie wurden dann ins Kriegsgebiet nach Syrien oder ins von der Türkei besetzte Efrîn gebracht. Ein Bericht von Amnesty International (AI) untermauert nun diese Tatsache.

Menschen werden betrogen oder zur Rückkehr gezwungen

Die Organisation führte Interviews mit Schutzsuchenden, die davon berichteten, wie sie von der türkischen Polizei geschlagen, bedroht und genötigt wurden Dokumente zu unterschreiben, in denen sie die Rückkehr nach Syrien beantragen. Anschließend wurden sie von der Türkei mit Gewalt ins Kriegsgebiet gebracht. Anne Shea, AI-Expertin für Flüchtlingsrechte, erklärt: „Die Behauptung der Türkei, dass sich Flüchtlinge aus Syrien dafür entscheiden, direkt in den Konflikt zurückzukehren, ist gefährlich und unehrlich. Vielmehr zeigen unsere Untersuchungen, dass Menschen betrogen oder zur Rückkehr gezwungen werden.“

Die Menschenrechtsorganisation kritisiert die Türkei „internationales und nationales Recht zu missachten, indem sie Menschen in eine aktive Konfliktzone abschiebt“. Amnesty International schätzt, dass in den letzten Monaten mehrere hundert Schutzsuchende von der Türkei abgeschoben worden sind. Die türkischen Behörden behaupten, dass insgesamt 315.000 Menschen auf „völlig freiwilliger Basis“ nach Syrien gegangen seien. Es ist illegal, Menschen nach Syrien abzuschieben, da sie dadurch einem echten Risiko schwerer Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sind.

Erschütternd, dass Flüchtlinge in nicht etablierte „sichere Zone“ geschickt werden sollen

Zum Abkommen zwischen der Türkei und Russland sagt Shea: „Es ist erschütternd, dass das Abkommen der Türkei mit Russland in dieser Woche die ‚sichere und freiwillige Rückkehr‘ von Flüchtlingen in eine noch nicht etablierte ‚sichere Zone‘ beinhaltet. Die Rückkehr war bisher alles andere als sicher und freiwillig – und jetzt sind Millionen weiterer Flüchtlinge aus Syrien in Gefahr.”

Erzwungene Rückkehr unter dem Deckmantel der „Freiwilligkeit“

Die türkische Regierung behauptet, dass alle, die nach Syrien zurückkehren, dies freiwillig tun, aber die Untersuchungen von Amnesty International haben gezeigt, dass viele von ihnen bei der Unterzeichnung von Dokumenten zur „freiwilligen Rückkehr" gezwungen oder irregeführt wurden. Einige berichten von Schlägen und Drohungen, um sie zur Unterschrift zu zwingen. Anderen wurde gesagt, dass sie ein Registrierungsdokument unterzeichnen, dass es sich um eine Bestätigung handelt, eine Decke von einer Haftanstalt zu erhalten, oder um ein Formular, das ihren Wunsch zum Ausdruck bringt, in der Türkei zu bleiben.

Amnesty International dokumentierte 20 verifizierte Fälle von Zwangsdeportationen, bei denen die Menschen in überfüllten Bussen mit Kabelbindern gefesselt über die Grenze geschickt wurden.

Zum Beispiel Q., ein 39-jähriger Vater aus Aleppo, berichtet, er sei sechs Tage lang in einer Polizeistation in Konya festgehalten worden, wo ihn Beamte vor die Wahl gestellt hätten, ins Gefängnis oder nach Syrien zu gehen.

Abschiebung in den Kerker von al-Nusra

J., ein syrischer Christ, berichtet, türkische Migrationsbeamte hätten zu ihm gesagt: „Wenn du nach einem Anwalt fragst, behalten wir dich sechs oder sieben Monate hier, und wir werden dich verletzen.“ Er wurde nach Syrien abgeschoben, nachdem er von der türkischen Küstenwache bei der Überfahrt auf die griechischen Inseln aufgegriffen worden war. Nach seiner Abschiebung nach Idlib wurde er eine Woche von der dschihadistischen Terrorgruppe al-Nusra festgehalten. Er bezeichnet es als „Wunder“, dort lebend herausgekommen zu sein.

Jede Interaktion mit der Polizei bedeutet Gefahr der Abschiebung

Amnesty analysiert: „Jede Interaktion mit türkischen Polizei- oder Migrationsbeamten scheint Flüchtlinge aus Syrien einer Gefahr der Inhaftierung und Abschiebung auszusetzen, wie zum Beispiel die Teilnahme an einem Interview zur Verlängerung gültiger Dokumente oder die Aufforderung zur Identifizierung auf der Straße. Die häufigste Begründung für ihre Abschiebungen ist, dass sie nicht registriert seien oder sich außerhalb der Provinz ihrer Registrierung befänden. Aber auch Menschen mit einem für ihren Aufenthaltsort gültigen Ausweis wurden abgeschoben.“

Bei der überwältigenden Mehrheit der Deportierten scheint es sich um erwachsene Männer zu handeln, die gesammelt in Bussen durch die türkische Provinz Hatay zum Grenzübergang Bab al-Hawa in der syrischen Provinz Idlib transportiert werden. Es gibt aber auch Berichte von Abschiebungen von Kindern und Jugendlichen.

Mütter flehten Behörden an, ihre Kinder nicht abzuschieben

K., ein 23-jähriger Mann aus Aleppo, berichtet, dass er mit zwei unregistrierten Jugendlichen im Alter von 15 und 16 Jahren aus Istanbul abgeschoben worden ist. Ihre Mütter flehten die Behörden von draußen an, ihre Kinder nicht abzuschieben, aber die Militärpolizei erklärte dem Bericht zufolge, dass die Jungen das Gesetz brächen, weil sie keine Ausweise hätten, und dass sie deshalb abgeschoben werden.

Nabil, ein junger Mann mit Frau und zweijährigem Sohn, erzählte Amnesty International, dass er und seine Familie im Juni 2019 in Ankara zusammen mit mehr als 100 anderen Menschen inhaftiert worden sind. Alle Gefangenen waren Familien mit Ausnahme von drei alleinstehenden Männern. Nabil sagte, ihnen wurde nach drei Tagen mitgeteilt, dass sie in ein Lager in Hatay gebracht werden.