In Österreich könnte ein Spionagefall mit Ausgangspunkt Ankara aufgedeckt worden sein. Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) berichtete am Dienstag bei einer Pressekonferenz von einer geständigen Person. Die Staatsanwaltschaft werde Anklage wegen Spionage erheben. Österreichs Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) zeigte sich besorgt über den Einfluss des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan.
Nähere Details zu der Person gab es vorerst nicht. Sowohl Nehammer als auch Franz Ruf, Generaldirektor für die Öffentliche Sicherheit, gaben sich reserviert. So blieb das Geschlecht der/des vermeintlichen Agent*in ebenso unklar wie die Staatsangehörigkeit oder ob er/sie sich noch auf freiem Fuß befindet. Nicht einmal, welche Staatsanwaltschaft ermittelt, wurde bekanntgegeben. Dem Vernehmen nach soll es aber nicht die Staatsanwaltschaft Wien sein.
Zu erfahren war immerhin, dass die Person, die bereits ein umfassendes Geständnis abgelegt haben soll, ursprünglich in der Türkei inhaftiert war. Um wieder frei zu kommen, hätte sie sich bereit erklärt, im Dienste Ankaras bei Landsleuten in Österreich beziehungsweise türkeistämmigen Staatsangehörigen zu spitzeln.
Kein direkter Zusammenhang mit Angriffen in Favoriten
Zwar stehe die Causa nicht im direkten Zusammenhang mit den Angriffen auf kurdische und linke Demonstrationen in Wien-Favoriten Ende Juni, sei jedoch von der eigens eingerichteten Sonderkommission, die aus Vertreter*innen des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), des Landesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) und des Bundeskriminalamts (BK) besteht, „mit berücksichtigt“ worden. Die österreichische Regierung sieht die Türkei hinter den Vorfällen in Favoriten und hat Anhaltspunkte für eine Involvierung des türkischen Geheimdienstes MIT.
Sonderkommission ermittelt
Laut Nehammer hat die Sonderkommission zudem Kenntnis von weiteren Personen, die in Österreich als Spitzel eingesetzt worden seien. So sind offenbar 35 Personen bei ihrer Einreise in die Türkei von den Behörden festgenommen worden. Mit Fotos, die sie bei pro-kurdischen Kundgebungen zeigten, hätte man sie erpresst und dazu genötigt, für die Türkei zu spionieren. Auch bei diesen Personen ist unklar, ob es sich um türkische oder österreichische Staatsangehörige handelt, und in welchem Land sie spioniert haben sollen. Der österreichische Innenminister erwähnte in diesem Zusammenhang lediglich einen 46-jährigen Mann, der zwei Tage lang in der Türkei vom MIT festgehalten worden sein soll. Ihm seien Fotos von Kundgebungen in Österreich gezeigt worden sein, die sich gegen die türkische Regierung richteten.
Ruf: Dokumentationsteams ein Indiz für typische nachrichtendienstliche Arbeit
Bei den Kundgebungen in Wien-Favoriten hatte der österreichische Verfassungsschutz „Dokumentationsteams” beobachtet, die ihre Kameras ausschließlich auf die Versammlungen von Kurden und Linksaktivisten gerichtet hätten. Mit „militärisch organisierten Störaktionen“ war gezielt versucht worden, die Polizeikräfte auseinanderzuziehen und anderswo neue Brennpunkte zu schaffen, um dann die von kurdischen und linken Demonstranten organisierte Hauptkundgebung angreifen zu können. Für Franz Ruf ist das „ein Indiz für typische nachrichtendienstliche Arbeit“. Zu den Ausschreitungen soll es vergleichsweise wenig neue Erkenntnisse geben. Allerdings sollen daran laut Ruf Personen aus insgesamt 32 Nationen beteiligt gewesen sein. Keine Ermittlungen wird es laut Justiz gegen jene türkischstämmige Extremisten geben, die bei den Gewaltakten demonstrativ den verbotenen Wolfsgruß gezeigt haben. Derartige Handlungen würden nämlich das Verwaltungsstrafrecht betreffen, hieß es.
Vermutlich nur die Spitze des Eisbergs
Für Österreichs Regierung ist die Situation jedenfalls beunruhigend. Integrationsministerin Susanne Raab sagte bei der Pressekonferenz, der Arm des türkischen Präsident Recep Tayyip Erdogan reiche bis Wien, ja bis hinein nach Favoriten. Über Vereine und Moscheen werde Einfluss auf Menschen mit türkischen Wurzeln ausgeübt. Die Türkei wolle dabei die Spaltung in der österreichischen Gesellschaft vorantreiben. Dieser Einfluss sei Gift für die Integration in Österreich. Innenminister Nehammer kündigte an, das Problem internationalisieren zu wollen. Man müsse sich in Europa gemeinsam gegen den Einfluss Ankaras wehren. Vermutlich sei man erst an der Spitze des Eisbergs angelangt. Den deutschen Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) habe Nehammer bereits informiert, alle weiteren Minister würden von Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) in Kenntnis gesetzt werden.