Hunderte Festnahmen am Tag der Arbeit
In Istanbul sind 38 Menschen im Zusammenhang mit den Protesten am 1. Mai verhaftet worden. Ihnen wird Verstoß gegen das Versammlungsgesetz, Widerstand gegen die Staatsgewalt und Propaganda für illegale Organisationen vorgeworfen. 14 weitere Personen wurden gegen juristische Meldeauflagen freigelassen.
Am 1. Mai waren Hunderte Demonstrant:innen festgenommen worden. Auch im Nachgang kam es zu Hausdurchsuchungen und Festnahmen. Die türkischen Behörden hatten eine Kundgebung auf dem zentralen Taksim verboten, trotz eines gegenteiligen Urteils des Verfassungsgerichtshofs. Dennoch riefen Gewerkschaften, Berufsverbände und politische Parteien zu Protesten auf dem zentralen Platz in der Istanbuler Innenstadt auf. Die Polizei setzte Gummigeschosse, Wasserwerfer und Tränengas ein.
Verfassungsgericht: Taksim-Verbot am 1. Mai rechtswidrig
Seit Jahren werden Kundgebungen zum Tag der Arbeit auf dem Taksim untersagt. In den letzten Jahren kam es immer wieder zu Ausschreitungen, als regimekritische Organisationen und Gewerkschaften trotz Verbots versuchten, auf den Platz vorzudringen. Der türkische Verfassungsgerichtshof stellte im vergangenen Dezember fest, dass Verbote von Mai-Demonstrationen auf dem Taksim rechtswidrig sind. „Jedermann hat das Recht, ohne vorherige Erlaubnis an unbewaffneten und friedlichen Versammlungen und Demonstrationen teilzunehmen“, heißt es in dem Urteil mit Verweis auf Artikel 34 der türkischen Verfassung. Dieses Recht gelte erst recht am 1. Mai auf dem Taksim, da dieser Platz für Gewerkschaften und Werktätige eine besondere Bedeutung habe.
Platz spiegelt kollektives Gedächtnis der Werktätigen wider
Am 1. Mai 1977 eröffneten dort Heckenschützen das Feuer auf eine von der Föderation revolutionärer Arbeitergewerkschaften (DISK) organisierte Demonstration mit etwa 500.000 Teilnehmenden. Mindestens 34 Menschen starben, etwa 200 wurden verletzt. Bis heute ist unklar, wer die Täter waren. Darauf geht auch der Verfassungsgerichtshof in seinem Urteil ein: „Die Ereignisse am 1. Mai 1977 auf dem Taksim-Platz haben sich in das soziale Gedächtnis eingebrannt. Nach diesem Tag hat dieser Ort für viele Komponenten der Gesellschaft, im Besonderen für Arbeiter und Gewerkschaften und im Hinblick auf die Mai-Feierlichkeiten, einen symbolischen Wert erlangt“, heißt es im Urteil des Verfassungsgerichts, das sich dazu mit einer Beschwerde von DISK befasste. „Der Taksim ist ein Baustein von Gewerkschaftskultur und spiegelt die Existenz des kollektiven Gedächtnisses der Werktätigen wider. In diesem Sinne hat jeder Mensch, der sich als Teil dieser Kultur versteht, das Recht, am 1. Mai dort zu sein, um die Bedeutung, die der Taksim-Platz zum Ausdruck bringt, unmittelbar zu erleben und die gesammelten Erfahrungen an weitere Generationen weiterzugeben.“