Der Klimaaktivist „Locke“ ist wegen der Besetzung im Mannheimer Großkraftwerk (GKM) zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Das Amtsgericht Mannheim sah es am Montag als erwiesen an, dass der 21-jährige Physikstudent im August des vergangenen Jahres auf das Dach eines Kohleförderbands des GKM geklettert ist und damit Hausfriedensbruch begangen habe. Dafür und wegen „versuchter Körperverletzung“ und einem behaupteten Verstoß gegen das Vermummungsverbot soll der Freiburger 65 Tagessätze von 5 Euro sowie die Gerichtskosten zahlen. Damit muss Locke weniger als die 485 Euro zahlen, die die Staatsanwaltschaft in einem Strafbefehl von ihm gefordert hatte.
Locke mittels Gesichtserkennungsprogramm identifiziert
Insgesamt fünf Klimaaktivist*innen waren in der Nacht zum 8. August 2020 auf ein Förderband im GKM geklettert, um gegen Kohleverstromung und für eine sofortige Wende in der Klimapolitik zu demonstrieren. Die Gruppe wurde von einem Sondereinsatzkommando (SEK) der Polizei Baden-Württemberg brutal geräumt und für fast zwei Tage zwecks Identitätsfeststellung in den Polizeirevieren Mannheim und Heidelberg festgehalten. Bei vier der Betroffenen scheiterte die Identifizierung trotz zahlreicher Bemühungen der Polizei. Im Fall von „Locke“ ergab ein Gesichtserkennungsprogramm den entscheidenden Hinweis. Bei der Durchsuchung des 21-Jährigen habe ein Polizist dann noch eine Nadel im Hosenbund entdeckt. Laut Anklage sei dadurch eine mutwillige Verletzung des Beamten in Kauf genommen worden.
Rechtens, als Bürger der Klimazerstörung entgegenzuwirken
Vor Gericht erklärte Locke, dass die Besetzungsaktion legitim gewesen sei und machte dafür den rechtfertigenden Notstand geltend. Es sei rechtens, sich als Bürger der Klimazerstörung durch die Gewinnung und Nutzung von Kohle entgegenzustellen. Denn es habe sich gezeigt, dass es der Politik nicht gelinge, die Klimakrise zu stoppen. Nach Paragraf 34 des Strafgesetzbuches kann eigentlich strafbares Verhalten nicht bestraft werden, wenn man mit seinem Verhalten eine Gefahr abwendet. Dies sei mit der Aktion auf dem Förderband der Fall gewesen, weil das GKM mit 0,2 Prozent am globalen Treibhausgasausstoß beteiligt (2017) sei und damit massiv zur Klimakrise beitrage. Die Besetzung wäre damit gerechtfertigt.
Versuchte gefährliche Körperverletzung wegen Nadel in Hosenbund
Lockes Verteidiger Gregor Urbanczyk unterstützte die Argumentation, für das Verhalten seines Mandanten gelte „rechtfertigender Notstand“ und forderte Freispruch. Der Aktivist habe aus Gewissensgründen den Akt des zivilen Ungehorsam geleistet, deshalb handle es sich auch nicht um Hausfriedensbruch. Mit der Nadel im Hosenbund habe er niemanden verletzen wollen. Das sahen die Staatsanwältin und Richterin anders: Zwar habe der Aktivist aufgrund seiner Überzeugung und aus ehrenwerten Motiven gehandelt, doch falle dies nicht unter rechtfertigenden Notstand. Dieser gelte nur, wenn es keine andere Möglichkeit gibt, eine Gefahr abzuwenden. Da sei bei der Klimakrise nicht der Fall. Darüber hinaus wurde Locke nur wegen versuchter Körperverletzung und nicht wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung verurteilt, wie es etwa die Staatsanwältin verlangt hatte. Mit einer Nähnadel könne man niemanden erheblich verletzen, so die Richterin.
GKM abschaffen: Absurdes und willkürliches Urteil
„Absurd und völlig willkürlich”, kommentiere die Initiative „GKM abschaffen“ in einer ersten Stellungnahme das Urteil. „Die Verurteilung zum Verstoß gegen das Vermummungsverbot ist angesichts der akuten Infektionsgefahr mit Corona absolut absurd. Dazu kommt, dass dies ein Tatbestand aus dem Versammlungsrecht ist. Eine parallele Verurteilung zu Hausfriedensbruch passt in keinster Weise dazu. Wie soll die Blockade der fünf Aktivist*innen auf dem Dach des Förderbandes eine Versammlung, welche per definitionem öffentlich zugänglich sein muss, gewesen sein? Laut Verurteilung zum Haussfriedensbruch wäre dafür ja das Begehen einer Strafttat notwendig gewesen. Das ist auf jeden Fall nicht unsere Definition von niedrigschwellig und sicher nicht die des Versammlungsrechts. Staatsanwaltschaft und Richterin verstricken sich hier in unlogische Vorwürfe und Schlüsse”, so die Gruppe.
Wir dachten der Job einer Richterin sei es, Urteile zu fällen
Mit der Verurteilung Lockes wegen versuchter Körperverletzung habe es die Richterin dann auf die Spitze getrieben, heißt es weiter. „Sie teilte mit, dass sie nicht der Meinung sei, Locke hätte irgendwen verletzen wollen, räumte jedoch ein, dass sie sich dazu nicht genau positionieren könne. Und wir dachten der Job einer Richterin sei es, Urteile zu fällen. Kein Dank dafür, dass hier der Vorwurf der Staatsanwaltschaft ‚versuchte gefährliche Körperverletzung’ zu ‚versuchter Körperverletzung’ abgeschwächt wurde.” Ohnehin habe die Richterin insgesamt relativ zögerlich in der Urteilsfindung gewirkt.
Das GKM zu besetzten war wichtig und richtig
Locke, sein Verteidiger und seine Unterstützer*innen blieben aber dabei: Auch Gerichte müssten anerkennen, was die Wissenschaft seit Jahren wieder und wieder bestätigt. Die Klimakrise ist real und zerstört unsere Lebensgrundlage. „Es ist peinlich, dass sich das Gericht anstatt die Klimakrise als Notstand nach §34 StGB anzuerkennen und Locke freizusprechen den nicht belegbaren und konstruierten Vorwürfen der Polizei und Staatsanwaltschaft anschließt. Das GKM zu besetzten war wichtig und richtig!” Zahlreiche Menschen begleiteten den Prozess solidarisch, sowohl vor der Verhandlung als auch am Abend gab es Kundgebungen und Demonstrationen. Locke kann gegen das Urteil noch Rechtsmittel einlegen.