Hasanlu ist ein kleines Dorf im Süden des Urmia-Sees (kurdisch: Gola Urmiyê) in Ostkurdistan. Vor dreitausend Jahren befand sich direkt neben dem Dorf eine der schönsten Städte der Epoche. In der jungsteinzeitlichen Siedlung blühte das Leben. Die Menschen wohnten in zwei- bis dreistöckigen Gebäuden mit Höfen, reich ernährt durch die fruchtbaren, vom Wasser des Urmia-Sees bewässerten Böden. Aber alle Bewohner*innen der Stadt wurden im Jahr 800 v.u.Z. ermordet.
Seit etwa 100 Jahren werden die historischen Hinterlassenschaften der Menschen von Hasanlu untersucht. Man glaubt nun, das Rätsel des großen Massakers am Ende der Jungsteinzeit gelöst zu haben. Die Ergebnisse der neueren Forschung wurden vergangene Woche im Magazin „New Scientist“ publiziert.
Der erste Ausgräber war ein junger Archäologe
Im Jahr 1956 reiste der junge US-amerikanische Archäologe Robert Dyson in den Iran, um die Hinterlassenschaften der ersten sesshaften Gesellschaften zu untersuchen. Aufgrund seiner Untersuchungen entschied er sich, mit den Ausgrabungen auf einem 25 Meter hohen und bis zu 500 Meter breiten Hügel zu beginnen. Dyson vermutete unter dem Hügel eine kleine Stadt, die vom Staub, den die Winde mit sich tragen, über Jahrtausende bedeckt wurde.
Die Ausgrabungen begannen im Jahr 1958. Nach kurzer Zeit wurden die Überreste eines steinzeitlichen Hauses entdeckt. Die Holzstrukturen waren verbrannt und über den Bewohner*innen eingestürzt.
Mit fortschreitender Grabung konnte das Team Dysons Skelette, Hausrat und einen Silberbecher finden. Als dann in den folgenden Tagen auch Goldobjekte entdeckt wurden, wurde die Grabung beschleunigt. Nach dem Abschluss der ersten Phase der Grabungen war eine mit einer Mauer umfasste 30.000 Quadratmeter große Stadt mit all ihren Details ans Tageslicht gelangt. Aber die Archäologen machten dabei auch eine grausame Entdeckung. Alle Menschen, die in den Überresten gefunden wurden, waren mit spitzen und scharfen Gegenständen oder durch Feuer getötet worden.
Die lebendigen Spuren eines Massakers
Das von Mary Voigt geleitete Team der William and Mary University of Virginia erreichte Hasanlu im Jahr 1970. Voigt brachte ihre Beobachtungen in folgenden Worten zum Ausdruck: „Es ist ein archäologisches Gebiet, in dem der stratigraphische Befund deutlich zu interpretieren ist. Wir haben nicht einmal einen Meter gegraben und den höchsten Punkt der Festung erreicht. Wenn Sie sich in einem Gebäude befinden, dann ergräbt man zuerst das obere Stockwerk und dann das untere. Wenn man dann die ganzen Trümmer und Steine wegräumt, findet man menschliche Überreste.“
Voigt hatte in einem Hof gegraben. Sie schrieb: „Ich habe ein kleines, am Boden liegendes Kind gefunden. An seinem Handgelenk befand sich ein immer noch geschlossenes Armband und daneben die Spitze einer Lanze und ein Köcher. Das Außergewöhnliche hier ist, dass man von den Überresten her das Geschehene sofort begreifen kann. Einer rennt in den Hof, bringt das Kind um und lässt seinen leeren Köcher liegen. Etwas weiter an der Mauer kann man die Einschusslöcher zuvor abgeschossener Pfeile feststellen.“ In jedem Hof in Hasanlu lassen sich die Spuren des Massakers vor 2.800 Jahren feststellen.
Alpträume nach den Ausgrabungen…
Danach entdeckte Voigt einen Stall, in dem sich nur weibliche Skelette vorfanden. Obgleich sich dieser Stall in dem Haus einer vornehmen Familie befand, trugen die Frauen keinen Schmuck. Es ist klar, dass die Frauen in diesem Haus nicht lebten. Möglicherweise war es ein Haus für Bedienstete. Es ist allerdings gesichert, dass die Frauen dort versammelt und systematisch umgebracht wurden.
Janet Monge vom Penn Museum stellte gemeinsam mit ihrem Team fest, dass all diese Frauen durch Schläge mit scharfen Gegenständen auf den Kopf getötet wurden. Das ist nur eines der Massaker von Hasanlu. Es gibt viele Leichen, deren Hände ihren Hals oder ihren Körper umfassen. Bei manchen fehlen Hände, bei anderen die Köpfe. An einem anderen Ort wurde das Skelett eines Kindes gefunden, in dessen Schädel immer noch ein scharfer Gegenstand steckte.
Voigt sagt zu diesen Spuren folgendes: „Ich komme aus einer Familie mit Grabungstradition. Deswegen habe ich keine Angst vor toten Menschen. Aber nachdem ich hier zu graben begann, bin ich schreiend aus Alpträumen aufgewacht.“
Bei den „Liebenden von Hasanlu“ handelt es sich um einen alten Mann und ein Kind
Die Grabungen in Hasanlu wurden aufgrund der sozialen Unruhen in den 70er Jahren vor der islamischen Revolution abgebrochen. Heute werden die Tagebücher, Notizen, Skizzen, Landkarten und Fotografien von Hasanlu in zwei Räumen im Penn Museum ausgestellt.
In den vergangenen Jahren haben Wissenschaftler*innen der Manhattanville University in New York damit begonnen, die Funde von Hasanlu erneut zu untersuchen und die Geschichte der Stadt neu zu schreiben.
Die Angreifer waren mit Streitkolben mit Eisenspitzen, Lanzen, Eisenschwertern, Dolchen und Messern bewaffnet und hatten offensichtlich das einzige Ziel, die jahrhundertealte Stadt zu vernichten. Der Angriff begann an einer Siedlung außerhalb der Festung. Die Menschen zogen sich in die Festung oberhalb der Stadt zurück, da sie keinen Widerstand leisten konnten. Alle in der Stadt, auch die Hunde und Pferde, wurden umgebracht. An einem Punkt des Angriffs wurde die Stadt in Brand gesetzt. Währenddessen gingen die Plünderungen weiter. Auf dem größten Haus der Stadt versuchten während des Feuers zwei Angreifer mit einer Goldschale und Silberbechern in den zweiten Stock vorzudringen. Währenddessen stürzte das Haus ein. 3.000 Jahre später wurden die Plünderer gemeinsam mit ihrer Beute gefunden.
Direkt neben diesem Haus befand sich ein Gebäude, in der 70 Menschen verbrannten. In einem kleinen Speicher hatte sich ein alter Mann mit einem Kind versteckt. Sie starben an Rauchvergiftung. Während der Mann starb, umarmte er das Kind und hielt ihm den Mund zu. Das Foto der beiden Skelette wurde lange Zeit als „die Liebenden von Hasanlu“ betitelt.
Wer sind die Täter?
Am Ende des Massakers blieb nichts mehr von Hasanlu. Die Stadt verschwand etwa im Jahr 800 v.u.Z. Die Wissenschaftler*innen verfolgen zwei Thesen zu den Tätern. Eine lautet, dass das Massaker von den über Nimrod und Ninive herrschenden Assyrern begangen wurde. Dagegen spräche, dass das assyrische Reich zu dieser Zeit nicht über die Stärke verfügt hat, um solch ein Massaker zu begehen.
Die zweite Spur weist auf die Urartäer. Die Urartäer befanden sich zu dieser Zeit im Aufstieg und hatten begonnen zu expandieren. Die Funde aus Hasanlu ähneln stark jenen aus assyrischen Städten und deuten darauf hin, dass die Stadt mit ihren assyrischen Nachbarn gute Beziehungen pflegte. Dennoch gibt es in Hasanlu auch Objekte, die zeigen, dass die Einwohner*innen der Stadt einer eigenen Kultur angehörten.
Tiefere Grabungen zeigten, dass Hasanlu bereits im Jahr 1.100 v.u.Z. Ziel eines Angriffs von geringerem Ausmaß wurde. Archäologen entdeckten die Leiche eines Soldaten mit urartäischer Rüstung. Auch die nördliche Richtung des Angriffs stellt einen weiteren Hinweis auf die Urartäer dar.
John Curtis und sein Team vom British Museum sehen in den Urartäern die Hauptverdächtigen für das Massaker. Curtis weist auf die Lage von Hasanlu an der Haupthandelsroute zum fruchtbaren Halbmond hin. Möglicherweise könnte die Stadt aus diesem Grund von den Urartäern vernichtet worden sein.