Ökologie-Konferenz: „Wir sind Teil der Natur“

Auf der ersten Ökologie-Konferenz der Autonomieverwaltung in Nord- und Ostsyrien wurde mit internationaler Beteiligung über die Ursachen und das Ausmaß der Umweltzerstörung in Kurdistan und mögliche Lösungsansätze diskutiert.

Rückkehr zur Sozialökologie

Der Ökologie-Rat der Demokratischen Selbstverwaltung in der Region Nord- und Ostsyrien (DAANES) hat seine erste Konferenz an der Universität Rojava in Qamişlo abgehalten. An der zweitägigen Versammlung nahmen 120 Delegierte der Selbstverwaltung, zivilgesellschaftlicher Organisationen und politischer Parteien teil. Über Zoom waren auch Fachleute aus den USA, Südafrika, Indien, Lateinamerika, Südkurdistan, Deutschland und Syrien zugeschaltet. Die Diskussionsblöcke standen unter den Überschriften „Ökologie in der demokratischen Moderne“, „Ökologischer Kampf und Kampf gegen Kapitalismus und Kolonialismus“, „Entwicklung einer ökologischen Agrarkultur als Teil der Beendigung der Besatzung in Nord- und Ostsyrien“ und „Solidarität zwischen Institutionen und Organisationen in Nord- und Ostsyrien“.

Katastrophale Umweltsituation in Südkurdistan

Xalid Silêman, Umweltaktivist und Journalist aus Südkurdistan, nahm per Video an der Konferenz teil. Silêman unterstrich die große Gefahr für die Umwelt in der Region: „Die Umwelt und die ökologische Vielfalt werden in Südkurdistan vollständig missachtet. Eine weitere Herausforderung stellt die Unkenntnis über Ökosysteme und ökologische Vielfalt dar. Eine weitere Herausforderung ist das Fehlen von Umweltexperten.“ Diese Situation wirke sich negativ auf die Umwelt und die Ökologie in Südkurdistan und im Irak aus.

Ökologische Landwirtschaft und Besatzung

Der niederländische Professor Joost Jongerden von der Universität Wageningen erklärte in seinem Beitrag „Eine ökologische Landwirtschaft aufzubauen ist wie die Besetzung von Nord- und Ostsyrien zu beenden“. Er sprach insbesondere über die Politik des „arabischen Gürtels“, mit dem das syrische Regime der Bevölkerung in Nord- Ostsyrien das fruchtbare Land geraubt hat. Es folgten Beiträge unter anderem aus Chile zu den Ökologiekämpfen in Lateinamerika.

Umweltzerstörung in Nordkurdistan

Prof. Dr. Bengi Akbulut, Dozent am Fachbereich für Geographie, Planung und Umwelt an der Concordia University, gab am Samstag via Zoom eine Einschätzung der ökologischen Zerstörung in Nordkurdistan nach der Machtübernahme durch die AKP in der Türkei ab. Akbulut wies darauf hin, dass die unterirdischen Reichtümer Kurdistans geplündert und Wälder niedergebrannt werden. Die ökologische Zerstörung halte weiter an, betonte Akbulut und und unterstrich, dass der türkische Staat darauf abziele, die Dörfer unbewohnbar zu machen und die Bevölkerung zu vertreiben. Akbulut rief zur Solidarität und zum Widerstand gegen die Zerstörung Kurdistans auf.

Demokratische Moderne ist der Lösungsansatz“

Der internationale Rechtsexperte Prof. Dr. Mehmud Patel sprach über die Bedeutung des Modells „Demokratischer Konföderalismus“ als Lösungsansatz. Insbesondere der Aufbau einer ökologischen Ökonomie sei wichtig. Er erklärte: „Infolge der Expansion der kapitalistischen Moderne wurde und wird die Umwelt zerstört. Die demokratische Moderne hingegen schützt die Ökologie und die Umwelt und beseitigt Fluchtursachen. Daher ist die Alternative zur kapitalistischen Moderne die demokratische Moderne. Auf dieser Grundlage bietet Abdullah Öcalan klare Lösungen an.“

Patel sprach vom Aufbau einer ökologischen, dezentralen Landwirtschaft. Dies sei die einzige Lösung gegenüber der extremen Industrialisierung: „Wenn die Philosophie von Abdullah Öcalan umgesetzt würde, könnte die Zerstörung verhindert werden. Auch Arbeitslosigkeit, Armut und Hunger können verhindert werden. Wenn wir diese Hindernisse überwinden, können wir eine politisch und sozial informierte Gesellschaft schaffen. Dann wird das Volk siegen.“

Staudammpolitik des türkischen Staates führt zu Wasserkrise

Der Umweltwissenschaftler Ercan Ayboğa erklärte, dass der türkische Staat die Natur als Werkzeug für seine Angriffe gegen das kurdische Volk benutze. Der türkische Staat habe viele Abkommen unterzeichnet und Dämme an großen Flüssen wie dem Munzur und dem Zap gebaut. Damit werde verhindert, dass das Wasser nach Syrien und in den Irak gelange. Das habe zur Wasserkrise in diesen Regionen geführt.

Die Geografin Dr. Lena Eklund berichtete über die Zerstörungen durch die Waldbrände, die der türkische Staat in Nordkurdistan verursacht, und die Folgen von Krieg und Angriffen auf die Waldgebiete der Region. Dr. Marcin Skupiński von der Fakultät für Geisteswissenschaften an der Universität Warschau wies auf den Klimawandel und seine Auswirkungen auf das Leben der Menschen in Nord- und Ostsyrien hin und erklärte, dass die Region ein sehr wichtiges Paradigma für die Zukunft habe. Skupiński betonte, dass der türkische Staat die Infrastruktur der Region zerstöre und Wasser als Waffe gegen die Menschen in der Region einsetze. Die Angriffe seien mit Ausbeutungsplänen verbunden und zielten darauf ab, das Projekt der demokratischen Nation zu zerstören.

Aldar Xelîl: „Veränderungen spiegeln den Erfolg der Revolution wider“

Das PYD-Vorstandsmitglied Aldar Xelîl sagte: „In der Praxis zeigt sich, ob unsere Revolution erfolgreich war. Je mehr sich die Menschen verändern, desto erfolgreicher ist die Revolution.“ In Bezug auf den Einfluss des Kapitalismus und die Angriffe der Besatzungstruppen erklärte Xelîl: „Wir befinden uns in einem laufenden revolutionären Prozess. In diesem Prozess wollen wir ein demokratisches und freies Leben aufbauen, in dem Frauen und die gesamte Gesellschaft sich ausdrücken können und die Natur geschützt wird. Das ist die Essenz dieser Konferenz. In der Natur herrscht ein Gleichgewicht. Indem der Mensch die Natur zu beherrschen versucht, zerstört er dieses Gleichgewicht. Auch wir Menschen versuchen, uns gegenseitig zu beherrschen. Diese Situation ist äußerst ernst. Die Herrschaft über die Natur hat das höchsten Niveau erreicht.“

Aldar Xelîl wies auf den Zusammenhang zwischen Ökologie und gesellschaftlichem Leben hin und sagte, dass das kommunale Leben dieses natürliche Leben ausmache: „Wenn der Mensch nicht mit der Natur in Harmonie lebt, stört er das ökologische Gleichgewicht. Wir sind ein Teil der Natur. Leider halten wir uns für überlegen und denken, dass wir das Recht haben, der Natur alles anzutun.“

Xelîl schloss mit den Worten: „Wenn alle über die Ökologie nachdenken würden, würde man keine anderen Völker unterdrücken. Das kurdische Volk würde nicht unter Besatzung stehen. Die Suryoye würden nicht vernichtet werden und das arabische Volk wäre frei. Wäre das Projekt Abdullah Öcalans verwirklicht worden, wäre all das nicht geschehen. Solange Rêber Apo als Geisel gehalten wird, werden sich weder die kurdische Frage noch die Probleme der anderen Völker lösen lassen. Aus diesem Grund gibt es noch kein demokratisches Syrien und alle warten auf irgendwelche politischen Entscheidungen. Anstatt auf eine politische Entscheidung zu warten, schlage ich vor, gemeinsam ein demokratisches Leben aufzubauen.“

Aufruf zum antikolonialen und antikapitalistischen Kampf

Die Abschlusserklärung der Konferenz wurde auf Arabisch und Kurdisch vorgetragen und enthielt 21 Punkte. Die Konferenz forderte die Freiheit von Abdullah Öcalan und erklärte: „Das heutige kapitalistische und staatliche System hat Natur und Boden zerstört. Koloniale und kapitalistische Systeme bedrohen die Natur, die Gesellschaft und die ökologische Struktur. Die Klimakrise, die Energiekriege, die imperialistischen Interventionen in der südlichen Hemisphäre, die weltweite Armut und der Hunger, die Flucht und der Aufstieg rechtsgerichteter totalitärer Regime zeigen, wie ernst dieser Missstand ist. Unsere Konferenz basiert auf dem Aufbau einer lokalen demokratischen und ökologischen Gesellschaft und ruft zum internationalen antikolonialen und antikapitalistischen Kampf auf.“

In der Abschlusserklärung äußerten sich die Teilnehmenden der Konferenz deutlich herrschaftskritisch: „Die Beherrschung der Natur und die Herrschaft des Menschen über den Menschen haben schwerwiegende Folgen. Deshalb muss die Natur verteidigt und eine demokratische und ökologische Gesellschaft aufgebaut werden. Die Konferenz zielt darauf ab, den Strukturen der Ausbeutung aufgrund von Geschlecht, Klasse, ethnischer Zugehörigkeit und Religion ein Ende zu bereiten. Ziel ist es, dass alle Menschen Zugang zu Land, Wasser und Energieressourcen haben. Die kommunale ökologische Ökonomie und Wohlstand sollen auf der Grundlage einer demokratischen Verwaltung durch Kommunen und Volksräte geschaffen werden.“

Flüsse, Wälder und Berge müssen Rechte erhalten

Die Konferenz nahm auch Stellung zur aktuellen juristischen Debatte und forderte, dass die Berge, die Wälder und die Flüsse und die Ökosysteme politisch und juristisch geschützt werden müssen.

Internationale Vernetzung notwendig

Im Kampf gegen die Klimakrise und die Dürre sei internationale Vernetzung notwendig. So soll gemeinsam mit dem Ökologie-Komitee von Nord- und Ostsyrien eine ökologische Plattform für Kurdistan geschaffen werden. Gemeinsame Aktivitäten mit Umweltbewegungen in Europa seien in diesem Sinne notwendig.

Kampagne gegen türkische Wasserpolitik

Weiter hieß es: „Der türkische Staat setzt Wasser als Waffe gegen Nord- und Ostsyrien ein und unterbricht systematisch den Zufluss. Der beschränkte Zugang zu Trinkwasser und Landwirtschaft stellt eine der größten humanitären und ökologischen Krisen in Rojava dar. Die internationalen Kampagnen gegen diese Politik müssen verstärkt und ausgeweitet werden. Trockenheitsresistenter Anbau von fruchtbaren Feldern, Aufforstung, Wasserspeicherung und neue Bewässerungssysteme sollten eingeführt werden. Der weitere Ausbau dieser Maßnahmen und praktische Schritte in diesem Sinne sind ethischer Grundsatz aller unserer Institutionen und der Selbstverwaltung.“

Staudämme keine Lösung

Auch der türkischen Staudammpolitik steht die Konferenz kritisch gegenüber: „Wir müssen erkennen, dass Staudämme und Wasserkraftwerke grundsätzlich die falsche Lösung für die Probleme der Landwirtschaft, der Ernährung und der Energieversorgung sind. Staudämme und Wasserkraftwerke zerstören das Leben der Menschen, die an den Flussufern leben, die Kultur und die Natur, die sich hier über Jahrtausende entwickelt haben.“

Als Alternative zur industriellen Landwirtschaft fordert die Konferenz, dass „naturverträgliche kleinbäuerliche Landwirtschafts- und Tierhaltungsmodelle geschützt und gefördert werden. Kooperativen sollten als Schlüsselelemente dieses Prozesses besonders unterstützt werden und einen noch stärkeren Platz in der kommunalen Organisierung einnehmen.“