Friedensaktivistin Özbek zu über sieben Jahren Haft verurteilt

Die 73-jährige „Friedensmutter“ Makbule Özbek ist in Amed zum zweiten Mal wegen Mitgliedschaft in der PKK zu siebeneinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden.

Makbule Özbek ist wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation in Amed (tr. Diyarbakir) zu siebeneinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden. Die 73-Jährige ist Mitglied im Rat der Friedensmütter und wurde Ende Juni 2020 im Rahmen eines Ermittlungsverfahren gegen den zivilgesellschaftlichen Zusammenschluss KCD (Demokratischer Gesellschaftskongress) verhaftet. Im Gefängnis erlitt sie einen Herzinfarkt und der Haftbefehl wurde während ihrer Krankenhausbehandlung im September vergangenen Jahres aufgehoben. Das Verfahren gegen die Friedensaktivistin wurde jedoch fortgesetzt.

An der heutigen Urteilsverkündung vor der 8. Kammer des Gerichts für schwere Straftaten Diyarbakir nahm Makbule Özbek nicht teil, sie wurde von ihrer Verteidigerin Gülşen Özbek vertreten.

Wer ist Makbule Özbek?

Makbule Özbek war nicht zum ersten Mal in einem Gefängnis. Die Mutter von sechs Kindern, von denen zwei ihr Leben im kurdischen Befreiungskampf verloren haben, wurde 1998 das erste Mal inhaftiert – weil ihre Kinder bei der Guerilla waren. Nach zweieinhalb Jahren wurde sie zunächst aus der Untersuchungshaft entlassen. Als 2010 schließlich das rechtskräftige Urteil gegen sie vorlag, musste sie weitere zweieinhalb Jahre der Gesamtstrafe in Höhe von siebeneinhalb Jahren wegen angeblicher „PKK-Mitgliedschaft“ absitzen.

Özbek ist Mitbegründerin der Initiative der Friedensmütter, die 2001 entstanden ist. Deren Mitglieder setzen sich aus Müttern kurdischer Guerillakämpfer:innen und politischer Gefangener zusammen, manche von ihnen sind auch Mütter von Soldaten der türkischen Armee. Sie haben es sich zum Ziel gesetzt, mit allen ihren Möglichkeiten gegen das Fortdauern des Krieges und für eine politische Lösung zu kämpfen. Sie setzen sich nicht nur für Frieden ein, sie stehen exemplarisch für ein ständiges Engagement für den Dialog und die Demokratisierung der Türkei und Nordkurdistans. Sie spielten in verschiedenen Friedensprozessen eine Schlüsselrolle und machten durch ihre Beteiligung an den Hungerstreikaktivitäten für die Aufhebung der Isolation des kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan 2019 einen Durchbruch möglich.

Was ist der KCD?

Der Demokratische Gesellschaftskongress (ku. Kongreya Civaka Demokratîk - KCD, tr. Demokratik Toplum Kongresi - DTK) fungiert als Dachverband politischer Parteien, zivilgesellschaftlicher Organisationen, religiöser Gemeinden sowie Frauen- und Jugendorganisationen. Er versteht sich als gesellschaftlicher Gegenentwurf zu staatlichen Strukturen, der – gestützt auf Räte- und Basisdemokratie –Konzepte zur Selbstorganisierung der Bevölkerung und Alternativen der kommunalen Selbstverwaltung erarbeitet. Der KCD besteht aus etwa 1000 Delegierten, von denen 60 Prozent durch die Bevölkerung direkt gewählt und 40 Prozent aus zivilgesellschaftlichen Organisationen benannt werden, und ist in Kommissionen gegliedert. Sowohl innerhalb des Dachverbands wie auch in den Stadtteilräten und Stadträten gibt es keine Frauenquote, sondern eine Geschlechterquote. Das bedeutet, dass der Anteil von Frauen beziehungsweise Männern 40 Prozent nicht unterschreiten darf.

Von Öcalan für demokratische Gesellschaftsorganisierung vorgeschlagen

Bereits im Jahr 2005 von Abdullah Öcalan als Projekt für die demokratische Organisierung der Gesellschaft vorgeschlagen, wurden zunächst große Diskussionsveranstaltungen durchgeführt, bis im Folgejahr die erste Vollversammlung organisiert wurde. Am 14. Juli 2011 fand in Amed ein Kongress mit über 800 Teilnehmenden aller ethnischen, politischen und religiösen Strukturen in Kurdistan statt. An die gemeinsame Erklärung der Versammlung anschließend wurde die Demokratische Autonomie ausgerufen. In dem veröffentlichten Modellentwurf werden acht Dimensionen aufgeführt: die politische, die juristische, die der Selbstverteidigung, die kulturelle, die soziale, die wirtschaftliche, die ökologische und die diplomatische. Die Satzung richtet sich nicht nach den Gesetzen der Türkei, sondern nimmt die demokratische Teilhabe der Bevölkerung als Grundlage.

Langjährige Zusammenarbeit der Regierung mit KCD beim Lösungsprozess

Obwohl der KCD als höchstes Gremium der Demokratischen Autonomie unmittelbar nach seinem Gründungskongress kriminalisiert und mit Ermittlungsverfahren überzogen wurde, arbeitete die türkische Regierung zwischen 2005 und 2014 intensiv mit dem Dachverband zusammen, um gemeinsam den damals möglichen Friedensprozess zu verhandeln. Der KCD wurde von der AKP sogar gebeten, an einer neuen Verfassung für die Türkei mitzuarbeiten. Der damalige Ko-Vorsitzende Hatip Dicle gehörte zudem zur sogenannten „Imrali-Delegation“, die im Rahmen des Lösungsprozesses eine Vermittlerrolle zwischen Abdullah Öcalan und der türkischen Regierung eingenommen hatte. Auch nachdem der damalige Ministerpräsident und heutige Staatschef Recep Tayyip Erdoğan im Sommer 2015 die Friedensverhandlungen einseitig abbrach, wurde der KCD nicht verboten. Inzwischen laufen unzählige Strafverfahren gegen die Delegierten.