Strafanzeige wegen aserbaidschanischer Kriegsverbrechen gestellt

Die Deutsch-Armenische Juristenvereinigung hat Strafanzeige beim Generalbundesanwalt wegen aserbaidschanischer Kriegsverbrechen in Arzach gestellt. Genannt werden Gefangenenhinrichtungen, Streubomben und Angriffe auf Wohngebiete.

Die Deutsch-Armenische Juristenvereinigung e.V. (DEARJV) hat am Dienstag Strafanzeige beim Generalbundesanwalt am Bundesgerichtshof in Karlsruhe wegen Kriegsverbrechen gegen Personen im aktuellen Krieg in Arzach (auch Artsakh bzw. mit früherem Namen Bergkarabach) durch aserbaidschanische Soldaten erstattet. Eine Strafverfolgung in Deutschland ist theoretisch möglich, wenn die Straftat im Ausland begangen wurde und der Täter sich nach der Tat in Deutschland aufhält.

Am 27. September haben aserbaidschanische Streitkräfte einen von der Türkei forcierten Angriffskrieg gegen die Republik Arzach begonnen, der trotz zweifach verhandelten humanitären Waffenruhevereinbarungen massiv fortgesetzt wird. Die Juristenvereinigung DEARJV teilt zu ihrer Strafanzeige mit, dass inzwischen diverse Handlungen festgestellt worden sind, die darauf schließen lassen, dass bei dem aktiven Vorgehen der aserbaidschanischen Streitkräfte massive Kriegsverbrechen begangen werden: „Aufgrund dessen wurden unterschiedliche Tathandlungen und Ereignisse von uns ausgewertet, analysiert und als solche, die unter anderem gegen Normen des Völkerstrafgesetzbuchs verstoßen, eingestuft worden. Damit diese schrecklichen Taten nicht unbestraft bleiben und die Täter dafür zur Rechenschaft gezogen werden, haben wir uns als Deutsch-Armenische Juristenvereinigung e.V., die sich in ihrer Satzung unter anderem die Förderung der rechtlichen Aufklärung des Konflikts um Berg-Karabach (Republik Artsakh) zum Ziel gesetzt hat, dazu entschieden, diese Ereignisse und Tathandlungen beim Generalbundesanwalt anzuzeigen.“

Hinrichtungen von Kriegsgefangenen und Streubomben

Nach Einschätzung der Juristenvereinigung handelt es sich bei den in der Strafanzeige benannten Taten um Kriegsverbrechen gegen Personen in unterschiedlichen Konstellationen nach dem Völkerstrafgesetzbuch. So kursierte in den vergangenen Tagen beispielsweise Video- und Bildmaterial in sozialen Netzwerken, das die Bloßstellung armenischer Gefangener durch aserbaidschanische Soldaten zeigte. Darüber hinaus wurden gefangen genommene armenischen Soldaten unmenschlich behandelt, erniedrigt und verbal und physisch gefoltert. In einem anderen Fall wurden zwei gefangen genommene Soldaten der Verteidigungsarmee von Arzach auf offener Straße hingerichtet. In anderen Fällen posierten aserbaidschanische Soldaten mit dem abgetrennten Kopf eines armenischen Soldaten oder mit armenischen Leichen, begangen Leichenschändungen an diesen und veröffentlichen Bilder dazu auf unterschiedlichen Kanälen im Internet.

„Des Weiteren sind noch diverse andere mögliche Kriegsverbrechen bekannt, wie beispielsweise der Einsatz von Streubomben, der Beschuss von Zivilisten und zivilen Infrastruktureinrichtungen wie Krankenhäusern, Versorgungseinrichtungen, Kindergärten, Schulen, kulturellen Einrichtungen wie Theater, Kirchen, Straßen (Versorgungswegen), Brücken und ganzen Wohngebieten“, so die DEARJV.

Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland

Zum juristischen Hintergrund und der Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland teilt die Deutsch-Armenische Juristenvereinigung mit:

Mit dem Erlass des VStGB im Jahr 2002 hat Deutschland den Grundstein dafür gelegt, seine internationale Verpflichtung zur Verfolgung von Völkerstraftaten zu erfüllen. Als solche bezeichnet man die „schwersten Verbrechen, welche die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren“ (Präambel des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs). Schwere Menschenrechtsverletzungen wie etwa Folter betreffen die internationale Gemeinschaft als Ganzes und müssen geahndet werden.

Der GBA ist in der Bundesrepublik Deutschland für die Verfolgung von Straftaten nach dem VStGB originär und ausschließlich zuständig. Das Bundeskriminalamt (BKA) ist für die Verfolgung von Verstößen gegen das VStGB polizeilich zuständig. Die Ermittlungen werden bei der Zentralstelle für die Bekämpfung von Kriegsverbrechen (ZBKV) im BKA oder durch ZBKV-Ansprechstellen der Landeskriminalämter geführt.

Nach dem sog. Universalitätsprinzip ist eine Strafverfolgung in der Bundesrepublik Deutschland möglich, sofern die Straftat im Ausland begangen wurde und der Täter sich nach der Tat in Deutschland aufhält.

Diesbezüglich haben wir uns im Falle der Festnahme explizit gegen eine Überstellung der Täter nach Aserbaidschan ausgesprochen, da die Strafverfolgung in Aserbaidschan nach unserer Auffassung nicht gewährleistet ist. Dies wurde bereits im Fall des aserbaidschanischen Leutnants Ramil Safarov bestätigt, der 2004 bei einem NATO-Lehrgang in Ungarn einen armenischen Teilnehmer im Schlaf mit einem Beil den Kopf abgetrennt hatte. Nach seiner Überstellung von Ungarn nach Aserbaidschan wurde er freigesprochen, befördert und auf allen Ebenen im Land als Held gefeiert. Diesen Umstand stellte auch der EGMR in einem Urteil vom 26. Mai 2020 (Application No. 17247/13) fest und bezweifelt die Verurteilung aserbaidschanischer Täter im Rahmen von begangenen Taten gegenüber Armeniern.

Die Aufarbeitung schwerster Menschenrechtsverbrechen in Deutschland auf Grundlage des Weltrechtsprinzips ist nach Auffassung der DEARJV ein wichtiger Schritt im Kampf gegen Straflosigkeit und ein ernst zu nehmendes Warnsignal für Täterinnen und Täter. Die Ermittlungs- und Strafverfahren in Deutschland rücken die schweren Menschenrechtsverbrechen in vielen Staaten der Welt in das öffentliche Bewusstsein und erhöhen den Handlungsdruck auf die internationale Strafjustiz.

Nach Ansicht der DEARJV kann dem vielfach bemängelten Anwendungsdefizit des Völkerstrafgesetzbuches nur durch effektive und entschlossene praktische Umsetzung entgegengewirkt werden, wobei die politische Brisanz der aufgeführten Taten nicht dazu führen darf, dass schwere internationale Menschenrechtsverletzungen mangels Verfolgungsinteresse folgenlos bleiben.

Titelfoto: Armenische Protestaktion in Hesekê/Nordsyrien