„Jin-Jiyan-Azadî“ geht um die Welt: Misstrauen ist geboten

Der Slogan „Jin-Jiyan-Azadî“ geht um die Welt, aber Misstrauen ist geboten. Findet tatsächlich ein Wandel statt?

Seit der Ermordung von Jîna (Mahsa) Amini sind nun fast drei Wochen vergangen. Und noch immer weigern sich große Teile der deutschen Presse, ihren kurdischen Namen Jîna zu verwenden. Sie nennen sie mit dem persischen Namen, „Mahsa“, der ihr gegeben wurde, weil die iranischen Behörden – ähnlich wie in der Türkei – keine kurdischen Namen dulden. Dass Jîna Kurdin ist, wird allenfalls verschämt erwähnt.

Meldungen über das Attentat auf Nagihan Akarsel suchte man in den großen deutschen Medien ebenso vergebens wie Berichte zu den Drohnenangriffen der iranischen Revolutionsgarden auf kurdische Gebiete im Nordirak. Oder zu den Chemiewaffen des türkischen Militärs. Oder zu den gezielten Tötungen von Politiker:innen im Autonomiegebiet Nord- und Ostsyrien (AANES/Rojava). Oder…. Kurdistan wird in der Medienlandschaft ausgeblendet, kurdische Identität verleugnet. Man kennt dies.

Allerdings – und das ist eine neue Entwicklung – konnte man auf zahlreichen Soli-Aktionen mit den Frauen im Iran immer wieder den Slogan „Jin-Jiyan-Azadî“ hören. Dies ist eine der ältesten Parolen der kurdischen Freiheitsbewegung. Abdullah Öcalan hat mit ihr den Frauen Mut gemacht, das Patriarchat zu bekämpfen und sich selbst zu ermächtigen. Der Ruf „Jin-Jiyan-Azadî“ gehört der Frauenguerilla YJA Star. Er ist verbunden mit dem Namen Sara (Sakine Cansız), die 2013 in Paris zusammen mit zwei Aktivistinnen der Frauenbewegung von einem MIT-Killer ermordet wurde. Er gehört zu Bêrîtan, Zîlan, Arîn Mîrkan und all den anderen Frauen, die ihr Leben „Jin-Jiyan-Azadî“ gewidmet haben.

Nun rieb sich mancher die Augen, als selbst relativ bekannte CDU/CSU-Frauen wie zum Beispiel Dorothee Bär oder Serap Güler in Berlin gesichtet wurden, als sie mit Flugblättern posierten, auf denen die deutsche Übersetzung prangte: „Frau-Leben-Freiheit“. Auch die Frankfurter Bürgermeisterin Nargess Eskandari-Grünberg twitterte begeistert „Jin-Jiyan-Azadî".

Findet tatsächlich ein Wandel statt? Stellen sich die Parteien, die seit Jahrzehnten die Kriminalisierung der kurdischen Freiheitsbewegung betreiben, hinter das Paradigma von „Jin-Jiyan-Azadî“, das seinen Ursprung in einer vier Jahrzehnte alten antikolonialen Bewegung hat?

Machen wir uns nichts vor. Bleiben wir misstrauisch. Es ist nicht das erste Mal, dass Inhalte einer revolutionären Bewegung ihrer Bedeutung entleert und schließlich vermarktet werden. Passiert ist dies mit dem Konterfei von Che Guevara oder dem Partisanenlied „Bella Ciao“, das heute auch in Bars auf Mallorca gegrölt wird. Erinnern wir uns an das kurdische Epos Mem û Zîn, aus dem das türkische Staatsfernsehen eine billige Love-Story machte. Sie sagen: ‚Hey, schaut her, wir bringen eure Sachen und machen sie bekannt. Das ist heute cool.‘ In Wahrheit stehlen sie Versatzstücke von Inhalten, deren Bedeutung sie entweder nicht erkennen oder die sie als gefährlich für ihre (kapitalistische) Ideologie einstufen.

So sehr man sich darüber freuen mag, wenn „Jin-Jiyan-Azadî“ um die Welt geht … Vorsicht ist geboten, wenn dieser Ruf zur hohlen Phrase verkommt. Wenn der oder die Sprecher:in nicht bereit ist, die Geschichte und den Sinn dieser Parole anzuerkennen, wäre es besser, „Jin-Jiyan-Azadî“ denen zu überlassen, die auch bereit sind, danach zu leben.