Zur aktuellen Situation in Nord- und Ostsyrien

Die Autonomieverwaltung Nord- und Ostsyriens warnt angesichts der drohenden Militärinvasion der Türkei vor einer Wiederbelebung des IS und fordert eine Flugverbotszone.

Der Exekutivrat der Autonomieverwaltung Nord- und Ostsyrien hat in seiner Zentrale in Eyn Isa eine Pressekonferenz zu der Besatzungsandrohung des türkischen Staates abgehalten. Verlesen wurde die Erklärung vom stellvertretenden Vorsitzenden Abid al-Mihbash.

In der aktuellen Stellungnahme wird vor einer Wiederbelebung des sogenannten Islamischen Staat gewarnt und die Einrichtung einer Flugverbotszone gefordert:

„2011 hat die Bevölkerung Syriens mit friedlichen Aktionen begonnen. Die Forderungen aus dieser Zeit waren Freiheit, Demokratie, die verfassungsrechtliche Anerkennung aller Völker und die Durchsetzung von Rechten. Die damals hervorgegangenen Lösungsvorschläge entsprachen jedoch nicht den Forderungen der Bevölkerung und die Krise im Land verschärfte sich zunehmend. Regionale Kräfte wie die Türkei und der Iran sowie Großmächte wie die USA und Russland und einige weitere westliche Länder traten in Syrien auf den Plan. Dadurch nahm die bestehende Krise eine extreme Form an und es begann eine Zeit der bewaffneten Auseinandersetzungen. Zur eigenen Sicherheit verließen Hunderttausende Menschen ihre Städte und Dörfer.

Dem IS den Boden bereitet

Ein Teil der Bevölkerung flüchtete innerhalb Syriens, ein anderer Teil verließ das Land trotz gefährlicher Fluchtwege. Viele von ihnen, darunter Kinder, Frauen und alte Menschen, sind bei dem Versuch, das Meer zu überqueren, ertrunken. Die gesamte Welt hat dabei zugesehen, wie es dem Volk von Syrien ergangen ist. Viele Syrerinnen und Syrer haben Europa, Kanada, die USA oder andere Länder dieser Welt erreicht und leben dort unter unmenschlichen Bedingungen. Für Menschen aus Syrien scheinen Flucht und Vertreibung das einzig verbliebene Schicksal zu sein.

Für islamistische Organisationen wie al-Qaida und den ‚Islamischen Staat' waren das Chaos und die fehlende Sicherheit in Syrien ein ideales Pflaster. Sie drangen aus dem Irak nach Syrien ein, erklärten später Raqqa zu ihrer Hauptstadt und breiteten sich in Deir ez-Zor und Hesekê aus.

Einzigartige Befreiungsoffensiven

Unser Nachbarland Türkei hat mit seinem faschistischen System Terroristen aus der gesamten Welt angezogen und über ganz Syrien, insbesondere im Norden und Osten des Landes, verteilt. Ein Großteil des syrisch-türkischen Grenzgebiets ist von diesen von der Türkei unterstützten Terrororganisationen kontrolliert worden. Als Erdoğan über die Terroristen Kobanê einnehmen wollte, haben die YPG/YPJ darauf geantwortet. Die Bevölkerung Kobanês ließ nicht zu, dass ihre Stadt in die Hände von Terroristen fällt. Damit begann für den IS der Niedergang. Kobanê wurde gerettet. Anschließend wurden Hol, Til Berak, Girê Spî und Minbic befreit. Die Demokratischen Kräfte Syriens (QSD), die sich aus Kämpferinnen und Kämpfern aller Völker Nord- und Ostsyriens zusammensetzen, unternahmen einzigartige Befreiungsoffensiven. Im vergangenen Jahr konnte Raqqa, die vermeintliche Hauptstadt des IS, befreit werden. Die Befreiungsoperation in Deir ez-Zor dauert immer noch an.

Ein Drittel Syriens befreit

In den letzten vom IS besetzten Gebieten im Osten von Deir ez-Zor und des Euphrat finden heftige Gefechte statt. Die internationale Koalition gegen den IS hat den QSD Unterstützung geleistet. Die von den USA dominierte Koalition und die QSD haben viel erreicht und für ein Ende des Terrors in den befreiten Gebieten gesorgt. Es ist ein Leben in Sicherheit eingekehrt. Bis jetzt sind 67.200 Quadratkilometer befreit worden, das entspricht einem Drittel des syrischen Territoriums. 8000 Kämpferinnen und Kämpfer der QSD sind bei der Befreiung dieses Gebiets gefallen. Raqqa und Deir ez-Zor befanden sich über vier Jahre unter der Herrschaft des IS.

Hunderttausende Binnenflüchtlinge

In den befreiten Orten sind zivile Leitungsgremien ins Leben gerufen worden, um die Bedürfnisse der Bevölkerung zu erfüllen. Die Menschen aus den Kampfgebieten wurden evakuiert und in Auffanglagern untergebracht und versorgt. In dem Camp in Eyn Isa leben 15.500 Menschen aus Raqqa und Deir ez-Zor. Bei Minbic befinden sich zwei Camps, in denen 1847 und 2832 Personen leben. In Tabqa leben im Camp Tiwêhîne 7500 Menschen, im Camp Ebû Xeşeb 3686 Menschen, in El-Erîşa 9469 Menschen, in Mebrûka 2099, in Hol 12.200 Menschen (darunter 7900 aus dem Irak), in Roj 1682 Menschen und im Newroz-Camp 451 Menschen. In einigen Gebieten leben Geflüchtete und Vertriebene in verstreuten Lagern und Ruinen. In Minbic leben 97.000 Menschen auf diese Weise, in Raqqa 15.298, in Deir ez-Zor 193.000, in Tabqa 65.000, in Til Temir 750 und in der Region Cizîrê 400.000.

Die Gesamtzahl der in Camps lebenden Migranten und Flüchtlinge beträgt 54.066, der in ganz Nord- und Ostsyrien 825.413.

Da in Nord- und Ostsyrien eine relative Stabilität und Sicherheit gegeben sind, kommen immer mehr Menschen aus den unter der Kontrolle der ‚Schutzschild Euphrat'-Strukturen stehenden Gebiete östlich von Hama sowie aus Idlib in unsere Region. Die Last der zivilen Autonomieverwaltung wird dadurch noch schwerer. Weil wir alle Völker Syriens sind, teilen wir unser Brot mit allen Menschen, die zu uns kommen. Die Migration in die von uns verwalteten Gebiete bedeutet Sicherheit und Stabilität.

Aufruf zur Rückkehr

Wir rufen alle Menschen, die aufgrund des Krieges die von uns verwalteten Gebiete in Nord- und Ostsyrien verlassen haben, zur Rückkehr in ihre Heimat auf. Wir erklären hiermit, dass wir die notwendige Hilfe leisten werden. Damit einhergehend teilen wir mit, dass diejenigen zurückkommen können, die sich an den Völkern der Region vergangen haben, sich dem IS oder einer ähnlichen Organisation angeschlossen haben, in die Türkei oder an andere Orte migriert sind. In den Gerichten und den rechtlichen Institutionen in Nord- und Ostsyrien wird eine Lösung für derartige Probleme gefunden werden.

Akute Bedrohung der befreiten Gebiete

Gewisse Kreise behaupten ganz bewusst, dass die QSD die Araber vertreiben. Diese Kreise stehen der Türkei nahe. Ziel dieser Behauptung ist es, die Menschen durch Lügen gegeneinander aufzuhetzen und Zwietracht zu säen. Wir leben friedlich zusammen. Wir kämpfen mit allen Völkern gemeinsam auf der Grundlage von Demokratie und Geschwisterlichkeit. Und wir sehen jetzt, dass das Regime der Türkei, das bereits Efrîn besetzt, die Bevölkerung vertrieben und ihr Eigentum geplündert hat, die Errungenschaften in Nord- und Ostsyrien angreifen will und es dabei auf die Sicherheit und Stabilität der Region abgesehen hat.

Die aus Efrîn vertriebene Bevölkerung hat sich in autonom verwalteten Regionen wie Şehba, Kobanê, Minbic und Cizîrê niedergelassen. Der türkische Staat hat anstelle der ursprünglichen Bevölkerung Dschihadisten in Efrîn angesiedelt und damit die Demografie verändert. Damit einhergehend hat er Azaz, Cerablus, Bab und Idlib besetzt. Seine Armee und seine dschihadistischen Milizen sind jetzt an den Grenzen nach Nord- und Ostsyrien in Position gebracht worden. Die Völker Syriens und die Bevölkerung der Gebiete, die mit dem Blut von 8000 Gefallenen der QSD befreit worden sind, stehen unter akuter Bedrohung.

US-Rückzug dient dem IS

Erdoğan will syrisches Territorum besetzen und damit den Nationalpakt Misak-i Milli umsetzen. Die Entscheidung des US-Präsidenten Trump, seine Kräfte aus dem Gebiet der Autonomieverwaltung zurückzuziehen, ist direkt im Anschluss an die Drohungen Erdoğans erfolgt. Der US-Beschluss dient dem Terror und einer Rückkehr des IS. Der Kampf gegen den IS ist noch nicht vorbei. Die drohende Besatzung Nord- und Ostsyriens stellt nicht nur für Syrien, sondern für die ganze Welt eine Gefahr dar. Im Falle eines Angriffs können unsere Kräfte gezwungen sein, den Kampf um Hajin aufzugeben und die Grenze im Norden gegen die Türkei zu verteidigen. Das würde eine Rückkehr des IS bedeuten. Es darf auch nicht vergessen werden, dass sich in unseren Einrichtungen 2622 IS-Angehörige aus 46 Ländern befinden. Sie werden in gesonderten Camps festgehalten. Darüber hinaus sind 790 IS-Mitglieder und -Kommandanten aus 48 Ländern in Haft. Unter den Gefangenen befinden sich auch IS-Mitglieder aus Syrien.

Sollte die Türkei uns angreifen, können wir diese Gefangenen nicht weiter festhalten. Die Situation könnte nicht mehr von uns kontrolliert werden und diese Gefangenen würden sich verteilen und den Weltfrieden bedrohen.

Besatzung verhindern, Flugverbotszone einrichten

Die Vereinten Nationen und die Menschenrechtseinrichtungen müssen ihrer Verantwortung nachkommen. Wir rufen sie dazu auf, einen Besatzungsversuch des Regimes der Türkei aufzuhalten, damit ein Blutbad in Syrien verhindert wird. Der Genozid dieses faschistischen Regimes am armenischen Volk ist aus der Geschichte bekannt. Damit sich Massaker und Völkermord nicht wiederholen, muss zum Schutz der Völker Nord- und Ostsyriens im Rahmen des Völkerrechts eine Flugverbotszone eingerichtet werden.“