Weihnachtsfeiern im von Invasion bedrohten Qamişlo

Christen feiern gemeinsam mit Vertretern der anderen Religionen im von einer türkischen Invasion bedrohten Qamişlo das Weihnachtsfest. Die Menschen aus der Region erklären ihre Entschlossenheit zum Widerstand.

Seit einer Woche bereitet sich Qamişlo auf das Weihnachts- und das Neujahrsfest vor. Bereits vor einigen Tagen wurden die Straßen durch die Stadtverwaltung mit Lichtern geschmückt. Die christliche Bevölkerung Qamişlos hat ihre Wohnungen und ihre Läden mit Weihnachtsbäumen und Weihnachtsmännern verziert. Auch muslimische Kurden stellen Weihnachtsbäume und Weihnachtsmänner aus, sie gelten als Symbole für das neue Jahr. Wir als ANF haben die Weihnachtsfeiern in den Kirchen, die aramäischen Kommunen und die Weihnachtsfeste der Parteien besucht.

Viele Menschen unterschiedlicher Glaubensrichtungen kamen Heiligabend zusammen, um das Weihnachtsfest als ein Symbol des Widerstands und des friedlichen Zusammenlebens zu begehen.

Seit einer Woche Weihnachtsfreude in Qamişlo

Der 25. Dezember ist in den Gebieten unter demokratisch-autonomer Selbstverwaltung ein Feiertag. Am Abend des 24. Dezember begannen die Feierlichkeiten, die am 25. ihren Höhepunkt erreichten. In den Morgenstunden besuchten Armenier, Suryoye, syrische Christen und Chaldäer in 14 Kirchen in Qamişlo die Weihnachtsmessen. Es wurde gebetet, gesungen und Weihnachtsmänner verteilten Geschenke. Am Nachmittag besuchten sie Wohnungen, Institutionen und Kommunen. Muslime, Eziden, Kurden und Araber besuchten ebenfalls die Weihnachtsfeiern der christlichen Bevölkerung.

Wir ziehen mit dem Suryoye Botos Beşir aus Qamişlo durch verschiedene Kirchen und besuchen dann die Kommune Luevy in Aşuriye, deren Ko-Vorsitz Botos innehat. Das Haus der Kommune ist wie auch die Straßen, Kirchen und Plätze mit Marienstatuen, Jesusbildern und Weihnachtsbäumen geschmückt. Wir werden aufs freundlichste empfangen. Man bietet uns traditionelle Festspeisen Süßigkeiten, Sirup und Gebäck an.

Eine Familie im Kampf für die Revolution

Botos Beşirs Familie war vor dem Sayfo, dem Völkermord an den syrischen Christen (1915 bis 1917) während dem Ersten Weltkrieg unter der Herrschaft Jungtürken im damaligen Osmanischen Reich, aus Nordkurdistan nach Rojava geflohen. Von seinem Vater erfuhr er von den Massakern. Im Jahr 1986 lernte er das Denken und die Ideen von Abdullah Öcalan kennen. Seit dem war er überzeugt davon, dass die Völker zusammenleben können, erklärt er. So nahm Botos Beşir von Anfang an an der Revolution von Rojava teil. Zwei seiner Töchter sind bei Sutoro Jin (Frauensicherheitskräfte der Aramäerinnen), er und seine Ehefrau arbeiten in den Kommunen. Einer seiner Söhne ist im Kampf gegen den IS in den Reihen der YPG verletzt worden. Er kämpft jetzt in den Reihen des Militärrats der Suryoye.

Wenn es dieses Denken und diese Revolution doch vor 100 Jahren gegeben hätte“

Botos Beşir bezieht sich auf die nun seit sieben Jahren andauernde Revolution von Rojava, während er erklärt: „Wenn es dieses Bewusstsein und diese Revolution schon vor 80–100 Jahren gegeben hätte, dann hätte der Massenmord nicht stattfinden können. Unsere Revolution hat uns auf ein derartiges Niveau gebracht, auf dem alle unsere Völker einbezogen sind. Heute leben wir als Suryoye, Armenier, Kurden und Araber alle zusammen. An diesem Weihnachtsfest beten wir für unsere Revolution und gratulieren allen Völkern. Hätte es diese Ideen schon vor 100 Jahren gegeben, dann wäre uns all das nicht passiert.

Wenn es damals jemanden wie den Vorsitzenden Apo gegeben hätte, jemanden der an der Seite der Armen, der Völker gestanden und alle Völker zusammengebracht hätte, dann hätten diese Massaker nicht stattgefunden. Dann hätten alle wie heute an die Freiheit, und nicht ans Morden gedacht. Sollte es heute denn keinen Massenmord an den Suryoye, den Kurden, den Arabern und den anderen Völkern geben? Doch, aber wir haben alle gemeinsam gekämpft und gesiegt.“

Wir werden Widerstand gegen die Invasion leisten

Zu den Besatzungsdrohungen des türkischen Staates erläutert Botos Beşir: „Niemand sollte ein Auge auf unser Land und auf unser Leben werfen. Wir werden von nun an niemandes Unterdrückte, niemandes Kolonie sein. Unsere Väter sagten uns immer ‚Der Fuß der Türkei ist so schmutzig, dass dort, wo sie hin tritt, nicht einmal mehr Gras gedeihen kann‘. Denn die Türkei ist ein Fluch für das kurdische, arabische, aramäische und armenische Volk. Sie bringen ihre Menschen, ja sogar ihre Kinder um und missachten die Frauen. Wenn sie über uns kommen, dann werden sie sehen, dass wir niemals unser Haupt beugen werden. Wenn auch nur ein Suryoye, Armenier, Kurde oder jemand aus den anderen Völkern übrigbleibt, werden wir bis zum letzten Blutstropfen Widerstand leisten.“

Die Einheit der Völker und Religionen wird durch Weihnachten gestärkt

Wir gehen mit Botos Beşir zur Assyrischen Einheitspartei. Nachdem wir das Gebäude betreten haben sehen wir, dass nach uns muslimische und ezidische Vertreter der kurdischen Gelehrtenvereinigung für die Region Cizîrê eintreten, um an den Weihnachtsfeierlichkeiten teilzunehmen. Danach kommt eine Delegation der Zukunftspartei Syriens und eine Delegation des Demokratischen Syrienrats (MSD) aus Arabern, Kurden und Vertretern der anderen Völker zum Festbesuch. Gerade hier, wo der IS, das Baath-Regime und der türkische Nationalismus mit ihrem Rassismus, Sexismus und Islamismus versuchten, die Bevölkerung unter Hilfe militärischer Gewalt gegeneinander aufzustacheln, besonders bewegend, Menschen verschiedener Ethnizität, verschiedener Religion, Männer und Frauen gemeinsam zu sehen.

Vielleicht ist das für Rojava nichts Neues, aber für diese Region ist es, sie alle hier gemeinsam an Weihnachten zu sehen, sehr bedeutungsvoll. Das Gegengift von Nationalismus und Rassismus ist hier, das Heilige des anderen ebenfalls zu heiligen. Diese Aufrichtigkeit ist in ihren Haltungen und in der Wärme ihre Gespräche offensichtlich. Der Generalsekretär der Zukunftspartei Syriens, Ibrahim Kaftan, wünscht der ganzen Menschheit und der christlichen Bevölkerung frohe Weihnachten und sagt: „Im Sinne dieses gegenseitigen Respektes sind wir alle Völker Syriens, Wir sind alle Kurden, wir sind alle Christen, wir sind alle Araber, wir sind alle Muslime, wir sind alle Aleviten und wir sind auch Schiiten. Aus solch einer Perspektive heraus können wir ein neues Syrien aufbauen.“

Mein Aufruf richten sich an die muslimische und christliche Religion“

Der Vorsitzende der kurdischen Gelehrtenvereinigung, Mihemed Mele Reşîd Gerzanî, betont: „Als Christen, Muslime und all die anderen in der Region Cizîrê sind wir alle Geschöpfe Gottes, und wir sind davon überzeugt, dass es notwendig ist zusammenzuleben, und dass alle Menschen Rechte haben, die von Niemandem verletzt werden dürfen. Die Türkei will uns unserer Rechte berauben, denn sie sieht unsere Einheit und Demokratie, in der wir als Völker von Rojava leben, unsere Erfahrung mit der demokratisch-autonomen Selbstverwaltung als Bedrohung für sich selbst. Die demokratisch-autonome Selbstverwaltung hat nicht die gegenseitige Vernichtung der Religionen als Perspektive, sondern gegenseitigen Respekt und Akzeptanz als Grundlage. Das sehen alle Herrschenden als Bedrohung ihrer Interessen an. Ich richte mich hier in einem Aufruf an die christliche und muslimische Gemeinschaft aller Gläubigen. Stellt euch gegen die, welche auf den Menschenrechten herumtrampeln, zeigt ihnen ihre Grenzen. In Europa gibt es viele unserer christlichen Geschwister. Der türkische Staat hat selbst einen Massenmord an den Armeniern, den Suryoye und den Kurden vollzogen. Diese schmerzhaften Erfahrungen dürfen sich nicht wiederholen. Lasst uns gemeinsam in diesem Land ohne jegliche Diskriminierung aufgrund von Sprache oder Herkunft leben.“

Die Feierlichkeiten gehen weiter

Als die Religionsvertreter das Gebäude verlassen, hören wir die Botschaft der MSD-Vorsitzenden Emine Omar: „Mehr denn je wünschen wir uns vom neuen Jahr, dass es Frieden und Glück bringt. Wir wünschen, dass das Leid, die Krise und der Krieg enden. Die christliche Bevölkerung ist tief in der Geschichte des Mittleren Ostens verwurzelt. Wir leben nach dem Prinzip der Geschwisterlichkeit der Völker zusammen.“

Die Weihnachtsfeiern gehen weiter.