In Nord- und Ostsyrien stehen am 8. August Kommunalwahlen an. Der türkische Staat will die Wahlen verhindern und bereitet sich auf neue Angriffe vor. Im ANF-Gespräch äußert sich die Ko-Vorsitzende des Hohen Wahlkommissariats, Rûken Mele Îbrahîm, zu den Wahlvorbereitungen und den aktuellen Entwicklungen in diesem Zusammenhang. Sie sagte, die Wahlen seien auch eine zwingende Notwendigkeit, die aus dem Ende 2023 verabschiedeten neuen Gesellschaftsvertrag hervorgehe:
„Der Gesellschaftsvertrag sieht vor, dass die Ko-Bürgermeister:innen und Gemeinderäte vom Volk gewählt werden. Als Hohes Wahlkommissariat hatten wir direkt mit den Vorbereitungen begonnen und die Kommunalwahlen für den 28. März angekündigt, woraufhin sowohl der türkische Staat als auch die Regierung in Damaskus den Vorwurf erhoben, wir würden Syrien mit diesen Wahlen spalten wollen. Aber eine Wahl derjenigen, die die Gemeindeverwaltungen leiten werden, um den Menschen bessere Dienstleistungen zu bieten, hat nichts mit dem Zerfall Syriens zu tun. Die Haltung und die Erklärungen der Selbstverwaltung zu diesem Thema sind eindeutig. Wir sind ein Teil Syriens, wir haben betont, dass die Syrienkrise nur durch Dialog gelöst werden kann. Wer Syrien auseinanderreißt, ist klar. Wer hält heute Cerablus, Efrîn, Serêkaniyê und Girê Spî besetzt? Der türkische Staat hat Syrien zerstückelt. Wir hingegen sind ein Teil Syriens, und wenn die Regierung in Damaskus sich auf einen Dialog mit der Selbstverwaltung einlassen will, sind wir jederzeit dazu bereit.“
Juristische und praktische Mängel wurden ausgeräumt
Rûken Mele Îbrahîm erklärte, dass die Wahlen vom 30. Mai auf den 11. Juni und dann auf den 8. August verschoben werden mussten, um genügend Zeit für die Ausarbeitung und Verabschiedung eines Gesetzes über die Kommunalwahlen und zur kommunalen Verwaltung zu haben. Auch die politischen Parteien hätten mehr Zeit für die Vorbereitung auf die Wahlen und die Wahlwerbung gebraucht. Rûken Mele Îbrahîm sagte: „Wir geben Wahlkarten aus, die elektronisch registriert werden. Auf diese Weise wird verhindert, dass eine Person mehr als eine Wahlkarte erhält.“
Pluralistische Wahlen
Rûken Mele Îbrahîm sagte, dass bereits während des Revolutionsprozesses Teilwahlen abgehalten worden waren, nun aber in Nord- und Ostsyrien zum ersten Mal Kommunalwahlen stattfinden werden, und fuhr fort: „Am 13. März 2015 wurden auf die Kantone Cizîrê, Efrîn und Kobanê beschränkte Gemeinderatswahlen durchgeführt. Es handelte sich jedoch nicht um direkte Wahlen. Es wurden Räte gewählt, die die Ko-Bürgermeister:innen gewählt haben. Auch im Jahr 2017 wurden Wahlen abgehalten. Es fanden Wahlen für die Räte der Kantone, Städte, Bezirke und Gemeinden statt. An einem Tag wurde für drei Institutionen abgestimmt. Diese Wahlen im Jahr 2017 fanden in drei Kantonen statt. Jetzt werden für ganz Nord- und Ostsyrien Kommunalwahlen abgehalten. Es gibt sehr gravierende Veränderungen. Im Jahr 2017 gab es keine Demokratische Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien, weil noch nicht alle Gebiete befreit waren. Es sind vier weitere Kantone hinzugekommen, sodass es heute insgesamt sieben Kantone gibt. Es gibt 134 Verwaltungen. Die Zahl der Parteien ist stark angestiegen. Es gibt eine Liste mit 22 Parteien, eine weitere Liste mit fünf Parteien und 270 unabhängige Kandidat:innen. Bei dieser Wahl sind alle Schattierungen Syriens zum Vorschein gekommen. Frühere Wahlen in Syrien wurden mit nur einer Liste abgehalten. Zum ersten Mal wird in Syrien eine Wahl abgehalten, an der alle Völker und Ausrichtungen teilnehmen und sich ausdrücken können."
„Der türkische Staat fabriziert Gründe für einen Angriff“
Zu der Gefahr eines türkischen Angriffs sagte Îbrahim: „Der türkische Staat ist ein Besatzungsstaat. Er hat nie akzeptiert, dass seine Nachbarn in einem demokratischen System leben. Er hat Angst, weil die Verwirklichung unseres Systems, der Aufbau eines demokratischen Syriens, Auswirkungen auf den Nahen Osten und die Bewohner:innen der Nachbarstaaten haben wird. Kein Diktator will, dass sich um ihn herum ein demokratisches System entwickelt. Das ist der Grund, warum der türkische Staat die jetzigen Kommunalwahlen ablehnt. Der türkische Staat sagt, dass diese Wahlen negative Auswirkungen auf ihn haben werden. Das ist nicht wahr. Welche Auswirkungen können Kommunalwahlen auf den türkischen Staat haben? Kommunalwahlen finden überall auf der Welt statt, und keine hat jemals Auswirkungen auf ein anderes Land gehabt. Wir haben uns auch nicht von Syrien abgetrennt. Im Gegenteil, es geht darum, dass die Menschen bessere Dienstleistungen zu erhalten. Der türkische Staat findet immer eine Ausrede. Das Problem hier sind nicht die Wahlen. Der türkische Staat hat von Anfang an offen gesagt, dass er das System der Selbstverwaltung nicht akzeptieren wird. Er hat schon früher immer wieder angegriffen. Er hat gezielt die Infrastruktur von Nord- und Ostsyrien attackiert. Hatte es damals Wahlen gegeben? Wir kämpfen seit Jahren gegen die türkischen Angriffe, aber wir haben gleichzeitig unserem Volk gedient und unsere Aufbauarbeit fortgesetzt. Wir werden unsere Arbeit von nun an auf die gleiche Weise fortsetzen.“