Nûjiyan Çirav: Mein Fuß wurde mit Şehîd Roza beigesetzt

Nûjiyan Çirav kämpfte für die Befreiung der Dörfer um Minbic und Kobanê. Vor al-Bab verlor sie einen Fuß. Hier berichtet sie über ihren Kampf.

Nûjiyan Çirav ist eine der unzähligen Versehrten der Revolution von Rojava. An der Front bei al-Bab verlor sie im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ (IS) einen Fuß. Doch das hinderte sie nicht daran, ihren Kampf für die Frauenrevolution von Rojava weiter fortzusetzen. Sie schloss sich 2015 der Revolution von Rojava an.

Der Kampf um Şikeyf

Als sie in Rojava ankam, war das Zentrum von Kobanê bereits befreit, aber einige Dörfer befanden sich noch unter der Besatzung des IS. Nûjiyan Çirav nahm sofort an den Offensiven zur Befreiung dieser Dörfer teil. Das erste Dorf, in dem sie kämpfte, war der Ort Şikeyf. Dort geriet sie sofort in den Nahkampf mit dem IS. „Die Kämpfe hatten sich über große Gebiete ausgeweitet. Wir waren acht Freund:innen. Gemeinsam schlichen wir uns getarnt über die Sirîn-Front in Richtung des Dorfes. Als wir das Dorf erreichten, waren wir von allen Seiten vom IS umgeben“, erinnert sich Çirav. „Durch den Einsatz schwerer Waffen von der hinteren Front kehrte sich die Situation aber um und wir kesselten den IS ein. Während der sechsstündigen Auseinandersetzungen kamen wir zum ersten Mal bis auf zehn Meter an den IS heran, und es kam zu heftigen Gefechten. Als wir weiter vorrückten, vermischten sich die Fronten und als zehn Söldner vor mir auftauchten, warf ich meine Granate. Ich hatte mich weit von den Freund:innen entfernt. Als ich verstand, dass das Gebiet nun sauber war, rief ich die Freund:innen. Ich hörte gleichzeitig ihre Rufe, sie riefen Heval Cûdî. Cûdî war verwundet und Goran, der zu Hilfe gekommen war, war ebenfalls verletzt. Eine Freundin musste sie begleiten, um sie zu evakuieren. Unsere Gruppe wurde immer kleiner. Wir waren nur noch fünf von acht, und wir hatten noch einen langen Weg vor uns. Aber wir hatten das Dorf Şikeyf erfolgreich geräumt, das Dorf befreit, IS-Munition erbeutet und 26 IS-Söldner getötet.“

An vorderster Front bei Angriff

Das Dorf Şikeyf liegt zwischen Sirîn und Tişrîn an strategischer Stelle. Çirav und ihre Freund:innen blieben längere Zeit dort und warteten auf den Beginn weiterer Befreiungsoffensiven. Dann begann die Offensive auf Tişrîn. Nachdem drei ihrer Genoss:innen in einem Hinterhalt des IS gefallen waren, schloss sie sich einer Angriffskolonne an.

Die Befreiung von Tişrîn

„Wir infiltrierten einen Hügel in der Nähe von Tişrîn“, so Çirav, „und nach 10 Minuten begannen die Gefechte. Auf der anderen Seite befanden sich etwa zwölf Söldner und hinter ihnen waren zwanzig weitere. Natürlich war eine Autobombe bereits auf dem Weg zu uns. Wir hatten den strategisch wichtigsten Hügel eingenommen. Es blieb nur noch, die IS-Söldner in der Umgebung auszuschalten. So war es dann auch. Die Planung wurde perfekt umgesetzt, und der Tişrîn-Staudamm wurde befreit. Nachdem der Damm befreit war, stand der Euphrat zwischen uns und dem IS. Der IS versuchte, den Staudamm wieder einzunehmen, aber die Operation auf Minbic hatte unsere Position in kurzer Zeit gestärkt. Mit diesem Vorstoß waren die Gefahren für Tişrîn beseitigt, der größte Teil von Minbic war befreit, und die meisten IS-Söldner zogen sich in Richtung al-Bab zurück. Al-Bab hatte sich nun zu ihrem Zentrum entwickelt.

Von Kobanê nach al-Bab

Von Tabqa aus sollten die anderen ländlichen Gebiete um Minbic befreit werden. Die Vierergruppe, der ich angehörte, rückte in Richtung al-Bab vor. Das erste Dorf, das wir erreichten, war das Dorf Erîman. Wir hatten das Dorf Erîman ohne Zusammenstöße erreicht. Der IS versuchte anzugreifen, aber wir hatten diese Angriffe trotz unserer geringen Zahl alle vereitelt. Die türkischen Truppen und der IS konnten nicht in das Dorf eindringen und setzten auf Angriffe mit schweren Waffen. Am zweiten Tag waren wir heftigen Mörser- und Haubitzenangriffen ausgesetzt. Die Art des Angriffs hatte sich geändert; wir mussten eine neue Planung und ein neues Vorgehen entwickeln. Wir vier Freundinnen hatten uns zusammengesetzt und arbeiteten gerade einen neuen Plan aus, als wir plötzlich unter schweren Artilleriebeschuss gerieten.

Den Fuß verloren

Jeder von uns wurde auf eine Seite geworfen, wir konnten wegen des Staubs und des Rauchs die Augen nicht öffnen. In diesem Moment spürte ich einen Schmerz in meinem Fuß. Als ich die Augen öffnete, lag ich auf der einen Seite, und mein Fuß lag auf der anderen. Aus Angst, dass ich meinen Fuß nie wieder finden würde, schleppte ich mich zu ihm und legte ihn auf mein Knie. Ich war schon oft verwundet worden, aber es waren nur leichte Verletzungen. Ich war schockiert, als ich meinen Fuß plötzlich woanders liegen sah. Ich behielt meinen Fuß in meinem Schoß, bis ich Kobanê erreichte. Als ich nach der Operation aufwachte, war mein Fuß nicht mehr in meinem Schoß, ich verlangte meinen Fuß zurück. Er wurde in das Krankenzimmer gebracht. Es war Zeit, Abschied zu nehmen, aber ich wusste nicht, was ich mit meinem Fuß tun sollte. Einen Moment lang erinnerte ich mich an meine Kindheit. Als ich mir vorstellte, dass mein Fuß, wenn er weiß und sauber war, auf jeden Fall in den Himmel kommen würde, und wenn er schwarz und schmutzig war, in die Hölle, erregte mein Lachen die Aufmerksamkeit des Arztes und der Freundinnen. Als ich davon erzählte, brachen alle in Gelächter aus.

Der Fuß wird mit Şehîd Roza beigesetzt

Zwei Tage vergingen seit meiner Verletzung. In Kobanê sollte eine Zeremonie für die Gefallene Roza organisiert werden. Ich hatte große Schmerzen, meine Wunde war noch frisch; trotzdem ging ich zu der Zeremonie. Ich trug ein T-Shirt und ein Hemd. Ich war überrascht, als meine Freundinnen nach meinem Hemd fragten, ich fragte mich, was sie vorhatten, aber sie steckten meinen Fuß in mein Hemd und begruben ihn zusammen mit Roza.

Als er mit Roza begraben wurde, erinnerte ich mich wieder an die Geschichte, dass der Fuß, wenn er weiß war, in den Himmel kommen würde, und wenn er schwarz war, in die Hölle, und jetzt war er mit Roza im Himmel.“

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