Hesekê: Kurskorrekturen nach dem Vertrag von Lausanne

Auf einem Symposium im nordsyrischen Hesekê ist über die Auswirkungen des Vertrags von Lausanne auf die Völker Kurdistans und die nötigen Kurskorrekturen diskutiert worden. Als Ergebnis sollen Handlungsempfehlungen formuliert werden.

In Hesekê hat ein zweitägiges Symposium zum hundertjährigen Bestehen des Vertrags von Lausanne stattgefunden. Auf dem vom Rojava Center for Strategic Studies (NRLS) veranstalteten Forum mit dem Titel „Vertrag von Lausanne: Kurskorrekturen für Stabilität und regionale Sicherheit" wurde seit Donnerstag von rund 150 Fachleuten über die Auswirkungen des Abkommens in Syrien und den vier Teilen Kurdistans auf syrischem, türkischem, irakischem und iranischem Staatsgebiet diskutiert.


Der Vertrag von Lausanne wurde am 24. Juli 1923 in der Schweiz von Großbritannien, Frankreich, der Türkei und anderen Staaten unterzeichnet und legte die Vierteilung Kurdistans fest. Das Symposium in Hesekê soll nach Angaben der Veranstalter:innen das daraus entstandene Leid der Kurd:innen thematisieren und zu einer Kurskorrektur beitragen, als Ergebnis sollen Handlungsempfehlungen für alle involvierten Akteure formuliert werden.

Ethnisches und kulturelles Völkermordprojekt“

Bêrîvan Xalid, Ko-Vorsitzende des Exekutivrates der Autonomieverwaltung Nordostsyriens (AANES), bezeichnete den Vertrag von Lausanne als eine schmutzige Verschwörung der herrschenden Mächte des letzten Jahrhunderts und wies darauf hin, dass neben den Kurd:innen auch Araber:innen und christliche Gemeinschaften davon betroffen seien. „Die Staaten, die Kurdistan geteilt haben, benutzten die Mittel des Krieges und der Unterdrückung gegen die Völker. Der in Nordsyrien etablierte ,arabische Gürtel', die Anfal-Operation im Irak, die Politik der Verleugnung und Zwangsassimilation in der Türkei, Praktiken wie Versklavung, Tötung, Vertreibung, Verhaftung, die Zerstörung von Dörfern und Städten und die Missachtung von Identität, Sprache und Kultur, sind die Folgen“, sagte Xalid und unterstrich, dass das Modell der Autonomen Verwaltung von Nordostsyrien eine Antwort auf die „ethnischen und kulturellen Völkermordprojekte“ sei. Vor allem die Türkei habe es auf die Errungenschaften in Nordostsyrien abgesehen: „Der türkische Staat will das zusammengebrochene Osmanische Reich wiederbeleben, indem er über die Grenzen von Lausanne hinausgeht. Die Besetzung einiger Teile Nordostsyriens, die Intervention im Irak und in Libyen sowie der Einsatz von dschihadistischen Söldnern sind auf dieses Ziel ausgerichtet."


Abdi: Einen gemeinsamen kurdischen Diskurs finden

Der Generalkommandant der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD), Mazlum Abdi, rief auf dem Symposium zur Reaktivierung des Dialogs zwischen den kurdischen politischen Parteien in Syrien auf. Abdi sagte in einer Videoübertragung, dass „die kurdischen Errungenschaften in der Region Kurdistan im Irak und in Rojava geschützt werden müssen, um ein weiteres Lausanne zu verhindern". In seiner Rede betonte er die Notwendigkeit, den kurdischen Diskurs vor der internationalen Gemeinschaft zu vereinheitlichen. „Heute finden im Nahen Osten Veränderungen statt, und es gibt eine echte Chance für die Kurdinnen und Kurden, einen von der internationalen Gemeinschaft anerkannten politischen Status zu erlangen“, so der QSD-Kommandant:

„Wir müssen Methoden entwickeln, um unsere Errungenschaften zu schützen. Zunächst einmal muss ohne Vorbedingungen ein Dialog zwischen allen kurdischen Kräften aufgenommen werden. Die vor zehn Jahren begonnene und gescheiterte Arbeit für einen kurdischen Nationalkongress sollte den heutigen Bedingungen entsprechend aktualisiert, fortgesetzt und zu einem Abschluss gebracht werden. Das müssen wir tun, denn nur so können wir uns an die internationale Arena wenden und einen erneuten Zerfall vermeiden. Wir können dieses Jahrhundert nicht mit Verlusten verbringen. Als Rojavayê Kurdistanê sind wir zu einem bedingungslosen Dialog mit den Kräften Kurdistans für die kurdische Sache bereit. Wie Sie wissen, wurde vor drei Jahren auf Initiative des QSD ein Dialog zwischen den Kurdinnen und Kurden hier aufgenommen. Es wurden einige Fortschritte erzielt, und es gab positive Entwicklungen in politischen Fragen. Dann wurde diese Arbeit aus bestimmten Gründen eingestellt. Heute, anlässlich dieses Forums, rufe ich erneut dazu auf, den kurdischen Dialog in Rojava wieder aufzunehmen. Die QSD halten an ihrer Haltung fest."