Geheimer Besuch türkischer Militärs in Efrîn

Seit Beginn des Fastenmonats Ramadan reißen die Besuche hochrangiger türkischer Delegationen in Efrin nicht ab. Die Besatzung der Region soll so ausgebaut und weiter legitimiert werden.

Der türkische Staat und das Militär haben in der letzten Zeit etliche hochrangige Abordnungen nach Efrîn entsandt, um das Besatzungsregime auszubauen und stabilisieren. Mit dem Ziel, eine Akzeptanz für die Besatzung herzustellen, fanden wiederholt offene und geheime Zusammentreffen mit Vertretern der Besatzungsstrukturen und den ernannten Bürgermeistern statt.

Die Region Efrîn hat eine große Bedeutung für den türkischen Staat. Nach Angaben verschiedener internationaler Institutionen handelt es sich bei Efrîn um die ökonomisch aktivste und landwirtschaftlich produktivste Region in Syrien. Insbesondere die Oliven von Efrîn sind im gesamten Mittleren Osten für ihre Qualität bekannt. Efrîn spielt darüber hinaus eine wichtige Rolle als strategische Verbindung zwischen dem Norden von Idlib und dem Westen von Aleppo.

Was will der Kommandant des 2. Heeres in Efrîn?

Auch Ismail Metin Temel, der Kommandant des 2. Heeres der türkischen Streitkräfte, hat heimlich Efrîn besucht. Das 2. Heer ist eines der vier Heeresgruppen der Landstreitkräfte der Türkei und beteiligte sich am stärksten an der Besatzungsoperation „Olivenzweig“ in Efrîn. Es spielte die Hauptrolle bei der Zerstörung der Infrastruktur, der Zerstörung historischer Orte und der Vertreibung von etwa 200.000 Menschen in die Region Şehba.

Das 2. Heer wurde nach staatlichen Angaben 1923 mit einer Stärke von 120.000 Soldaten gegründet und hatte den offiziellen Auftrag, Anatolien gegen Gefahren aus den östlichen Nachbarregionen zu verteidigen. Eine weitere Aufgabe, die ihm zukam, war der Schutz des osmanischen Erbes. Das Hauptquartier des 2. Heeres befindet sich in Meletî (Malatya) in Nordkurdistan. Das 2. Heer war in den Beziehungen mit den Nachbarstaaten wichtig, entscheidend war es aber vor allem als aktiver Teil des gemeinsam mit dem türkischen Geheimdienst MIT geführten Krieges gegen die PKK.

Das 2. Heer wird als die erfahrenste militärische Kraft vorgestellt. Dieser Ruf resultiert vor allem aus seiner 35-jährigen Beteiligung an den Operationen türkischer Spezial- und Konterguerillaeinheiten. Die Geschichte des 2. Heeres ist voll mit Kriegsverbrechen im Krieg gegen die Kurden und so nahm es auch die Hauptrolle bei der Auslöschung ganzer kurdischer Städte im Jahr 2015 und dem Niederbrennen kurdischer Dörfer ein. Heeresführer Ismail Metin Temel und seine Vorgänger waren allesamt wichtige Mitglieder des türkischen Geheimdienstes und sind eine wirksame Kraft in der Innen- und Außenpolitik der Türkei.

Von Cerablus über Bab nach Efrîn: Wer ist Ismail Metin Temel?

Ismail Metin Temel wurde zwölf Tage nach dem Putschversuch vom 15. Juli 2015 vom Verteidigungsministerium zum Kommandanten des 2. Heeres ernannt. Zuvor war er Kommandant der Jandarma und war für seine Nähe zum Generalstabschef Hulusi Akar bekannt. Als Tayyip Erdoğan am 26. Januar 2018 die Einheiten der „Operation Olivenzweig“ besuchte, war er Kommandant der Besatzungsoperation. Temel hatte zwei Jahre zuvor den Auftrag vom MIT erhalten, die Operation „Schutzschild Euphrat“ in Aleppo zu kommandieren.

Temel war aktiver Teil der Angriffe auf alle kurdischen Projekte für eine Demokratisierung und stellte sich entschieden an die Seite der AKP-Regierung. Er ist Teil der unter dem Kommando des Generalstabschefs stattfindenden aktiven Veränderungspolitik der Demografie von Efrîn und spielt auch eine Rolle bei der Errichtung von Militärbasen zur Vorbereitung von Angriffen auf die Medya-Verteidigungsgebiete. Vergangenen Monat besuchte er die südkurdische Grenze.

Temel war in den vergangenen Monat häufig in Efrîn. Sein erster Besuch fand am 31. Januar im ezidischen Dorf Qestel Cindo am Berg Parsê statt. Zuvor hatte das türkische Militär den Parsê, an dem viele ezidische historische Orte liegen und der eine strategische Rolle zwischen Azaz, Efrîn und Kilis einnimmt, in einer massiven Militäroperation unter Einsatz aller zur Verfügung stehenden Waffen in ein Trümmerfeld verwandelt.

Auf den Fotos, welche die türkischen Spezialeinheiten und ihre Milizionäre dort aufnahmen, ist deutlich die Zerstörung der Gräber und Gedenksteine für Şêx Hemîd und Parse Xatûn zu erkennen. Außerdem wurden viele über 50 Jahre alte Olivenbäume gefällt. Temels zweiter Besuch in Efrîn fand einen Tag nach Newroz statt. Nach Hunderten von Jahren war dies das erste Mal, dass in Efrîn kein Newroz gefeiert wurde. Der für seinen Rassismus bekannte Temel hatte dazu beigetragen. Die Zerstörung der Statue des Schmieds Kawa ist ein offener Ausdruck der Haltung der Besatzungstruppen. Ismail Temel war das erste Mitglied des Generalstabs, das offiziell nach Efrîn gekommen war.

Der dritte Besuch Temels in Efrîn fand im Gegensatz zu den vorherigen verdeckt statt. Am zweiten Tag des Ramadan besuchte er vom Grenzübergang beim Dorf Dêrbelût aus gemeinsam mit dem Kommandanten der Landstreitkräfte von Dîlok (Antep) und weiteren Kommandanten des 2. Heeres einen Speisesaal am Berg Hawar. In dem etwa zwei Kilometer nördlich von Efrîn gelegenen Speisesaal begingen sie gemeinsam mit Milizführern das Fastenbrechen.

Nach vertrauenswürdigen Quellen war einer der Gründe für den Besuch die Feier der neuen Führung einer Lebensmittelfirma in Efrîn. Der Speisesaal war im Rahmen der Plünderungen durch die Besatzer einem türkischen Staatsbürger übergeben worden. Der Besitzer der Lebensmittelfirma Ari in Hatay, Enes Ari, hatte sich nach Beginn der Besatzung diesen Speisesaal angeeignet. Diese Aneignung geschah mit Unterstützung von Temel und dem Kommandanten der Landstreitkräfte in Dîlok. Als AKP-Anhänger betreibt Ari von diesem Speisesaal aus AKP-Propaganda.