In Palästina, Jordanien, dem Libanon und Israel leben Drusen. Mehr als die Hälfte der drusischen Bevölkerung des Mittleren Ostens ist jedoch im Gouvernement Suweida im Südwesten von Syrien zu finden. Etwa 3,5 Prozent der syrischen Bevölkerung sind Drusen. Sie leiden unter der Politik des arabischen Nationalismus des Baath-Regimes und werden als Nichtaraber ausgegrenzt. Sowohl die Muslimbruderschaft als auch das syrische Regime wollten die drusische Bevölkerung in ihrem Krieg instrumentalisieren. Die drusische Bevölkerung steht zwischen den Fronten und muss immer wieder Massaker und Kriegsverbrechen erdulden.
Der drusische Anwalt Adil al-Hadi berichtet über der die Lage der Drusen während der Herrschaft des Regimes und des Bürgerkriegs.
Regime hat die drusische Bevölkerung marginalisiert und in Armut getrieben
Adil al-Hadi gibt an, dass die drusische Bevölkerung aufgrund der Diskriminierung durch das Regime unter schweren Bedingungen lebt: „Unsere Regionen sind vor allem aufgrund des Klimawandels und der praktisch nicht vorhandenen technischen Möglichkeiten landwirtschaftlich unfruchtbar geworden. Von 1970 bis heute werden wir vom Regime marginalisiert und in Armut getrieben. Aufgrund der Einschränkung des internationalen Finanzverkehrs nach Syrien hat sich die Situation verschlechtert, die Zahl der Armen ist gestiegen und die Mittelschicht ist geschrumpft. Darüber hinaus haben die Probleme durch den Krieg und die Unfähigkeit des Staates, seine Gesetze durchzusetzen, für Instabilität gesorgt. So ist die Zahl der Dschihadisten und Waffen in der Region gestiegen. Da bis heute keine Investitionen in den drusischen Regionen stattfinden, sind die Menschen zum Überleben auf die Gelder ihrer Kinder aus dem Ausland angewiesen.“
Drusen in Dschabal ad-Duruz , dem ‚Gebirge der Drusen‘ - Gouvernement Suweida
Vom Regime und al-Nusra ermordet
Neben der Diskriminierung verübten sowohl das Regime als auch Dschihadisten Massaker an der drusischen Bevölkerung. Al Hadi erzählt, wie bereits im Jahr 2000 mindestens elf Drusen vom Regime ermordet wurden, und fährt fort:
„Im Jahr 2012 wurden von der Al-Nusra-Front, die in dem an Suweida angrenzenden Bezirk Dara herrschte, 18 drusische Zivilisten entführt und ermordet. Am 10. Juni 2015 ermordete die Al-Nusra-Front 20 Drusen im Dorf Ain Larouz bei Idlib. Am 3. September 2015 wurden ein Konvoi des spirituellen Führers Wahid al-Balous und das nationale Krankenhaus angegriffen. Dabei wurden 58 Drusen getötet und Dutzende verletzt.
Am 27. Juli 2018 griff der IS die Dörfer im Osten von Suweida an. Dieser Angriff war mit dem Geheimdienst des Regimes koordiniert. Die Bevölkerung leistete Widerstand und 365 fielen dabei, hunderte wurden verletzt. Am 26. März 2020 ermordete der Kommandant des 5. Armeecorps, Ahmed Alawde, 17 drusische Zivilisten.“
Suweida braucht Selbstverteidigungskräfte
Al-Hadi fährt fort: „Die Anhänger der drusischen Konfession sind aufgrund dieser Ereignisse besorgt und verunsichert. Sie fürchten einen weiteren Angriff und vertrauen niemanden. Vor allem weil nicht klar ist, wie sich Russland, der Iran und das Regime verhalten werden, die ja das südliche Gebiet kontrollieren. Deshalb braucht die Bevölkerung von Suweida eine Selbstverteidigungskraft. Es ist umso notwendiger, da es auf internationaler Ebene keine Sicherheit gibt.
Drusische Frauen spazieren entlang der römischen Ruinen in Schahba / Suweida, südlich von Damaskus
Wir wollen ein demokratisches Syrien
Die Drusen haben in ihrer Geschichte viel Leid erfahren, wurden marginalisiert und wollen Freiheit und ein Leben in Würde. Sie hoffen, dass Syrien ein Land wird, in dem die verschiedenen Kulturen, Nationalitäten, Religionen und Kulturen respektiert werden. Sie wollen ein Land, in dem auch sie sich ausdrücken können. Sie fordern, dass in Syrien ein demokratisches, liberales und laizistisches System aufgebaut wird und alle Völker, alle Gesellschaften und die Rechte der Frauen unter den Schutz der Verfassung gestellt werden. Sie befürworten die Gewährleistung einer gerechten Umverteilung des nationalen Reichtums, den Schutz der Menschenrechte und insbesondere der Frauenrechte gemäß den UN-Konventionen. Die Drusen träumen davon, in einem Land zu leben, das mit allen Staaten freundschaftliche Beziehungen pflegt und nicht von der Welt abgeschnitten ist. Sie träumen von einer Heimat, die alle Völker der Welt respektiert und Beziehungen zu ihnen auf der Grundlage gegenseitiger Achtung und gemeinsamer Interessen aufbaut, und sie werden sich in einer freien und unabhängigen Heimat sicher fühlen.“
Demokratische Autonomie als vereinendes Modell
Zum Modell der Demokratischen Autonomie, wie es in Nord- und Ostsyrien gelebt wird, sagt Adil al-Hadi, es sei offensichtlich, dass dies einen wichtigen Schritt zur Demokratisierung darstelle. Das Regime habe jedoch immer wieder versucht, die Erfahrung der demokratisch-autonomen Verwaltung in Nord- und Ostsyrien zu diffamieren: „Das hatte schon etwas Einfluss. Aber jeder, der sich ernsthaft mit dieser Erfahrung befasst hat, hat gesehen, dass es die passendste Lösung für die aktuelle Krise darstellt und es sich um einen Versuch handelt, die zentrale Autorität zu begrenzen. Sie haben gesehen, dass in diesem Modell allen Identitäten in Syrien die Möglichkeit der Ausdrucksfreiheit garantiert wird. Mit diesem Modell der demokratisch-autonomen Selbstverwaltung wurde ein Weg aufgezeigt, wie alle Identitäten Syriens frei ihre Energie bündeln und gemeinsam und zusammen ein Land aufbauen können.
Rechtsanwalt Adil al-Hadi
Auch das Gesetz für lokale Selbstverwaltung von 1970 sieht in seiner dritten Fassung eine autonome Selbstverwaltung der Distrikte vor. Also ist das auch nicht gegen Syrien gerichtet. Es ist natürlich, dass die autonome Verwaltung Schwierigkeiten und Mängel hat. Aber dass so etwas in einer so schwierigen Phase vorkommt, ist einfach nur natürlich. Denn diese Gebiete wurden historisch vernachlässigt. In sie wurde weder ausgewogen investiert noch ihnen ein Budget zur Verfügung gestellt. Wenn sich dieser Versuch entwickelt, dann werden auch die Mängel beseitigt und das Modell wird sich weiter festigen.“
Unsere Gebiete sind schutzlos dem Coronavirus ausgeliefert
Zur Lage im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie sagt al-Hadi: „Die syrische Regierung hat keine einzige Investition in Suweida getätigt. Im Gegenteil, es wurden sogar Investitionen verhindert. Hier fehlt es an allem. Das Gesundheitssystem ist zusammengebrochen. In unserem Distrikt gibt es keinerlei nutzbare medizinische Einrichtungen abgesehen von Privatkrankenhäusern. Die meisten Menschen können die Behandlung dort aber nicht bezahlen. Es ist einfach nur Glück, dass bisher niemand positiv auf das Coronavirus getestet wurde. Wir hoffen, dass es so weitergeht. Sonst werden wir in eine sehr schwere Lage geraten.“