Im Grenzgebiet zu Kobanê kommt es immer wieder zu Grenzverletzungen durch die türkische Armee. Zuletzt hat das Militär vergangenen Sonntag mehrere Dörfer im Westen des nordsyrischen Kantons angegriffen. Betroffen von dem Panzer- und Mörserbeschuss waren die Dörfer Zormixar, Çarixlî, Siftek, Xirab Eto und Aşmê. Zahlreiche Häuser der Bewohner*innen wurden beschädigt oder zerstört. Bei dem Angriff kam auch ein Mitglied der Selbstverteidigungskräfte Erka Xweparastin ums Leben. Der Angriff fand nur einen Tag nach dem Vierergipfel in Istanbul statt, bei dem sich die Staats- und Regierungschefs von Deutschland, Frankreich, der Türkei und Russland zum „Friedensprozess in Syrien” beraten haben. In einer gemeinsamen Abschlussrunde kündigte der türkische Präsident Erdoğan allerdings an, einen weiteren Angriffskrieg gegen Rojava führen zu wollen. Sein Land werde weder innerhalb der eigenen Grenzen, noch in gleich welchem Gebiet Syriens das Anwachsen von Terrorgruppen tolerieren, lautete Erdoğans Wortwahl. In türkischen Medien hieß es zu dem Angriff, es seien Stellungen der YPG bombardiert worden. Unsere Kolleg*innen von der Nachrichtenagentur ANHA haben mit den Bewohner*innen der angegriffenen Dörfer gesprochen.
„Wir werden uns den Besatzern widersetzen“
Mihemed Elî aus dem Dorf Xirab Eto hatte seine Tiere gerade zur Weide geführt, als der Beschuss einsetzte. Eine Panzergranate sei in unmittelbarer Nähe von Zivilist*innen eingeschlagen, aber nicht explodiert. Die Explosion hätte mehreren Menschen das Leben gekostet, sagt er und fügt hinzu, dass der türkische Staat ein Wiedererstarken des sogenannten IS beabsichtige, um die Terrormiliz wieder Richtung Kobanê zu lenken. „Die Türkei will uns aus unserer Heimat vertreiben. Wir werden unsere Länder nicht verlassen und unseren Widerstand gegen die Besatzer und Feinde aufrecht halten“, sagt Mihemed Elî.
Der Bewohner Adil Cozan, ebenfalls aus Xirab Eto, zeigt die Stelle, an der die Panzergranate eingeschlug und erklärt: „Der türkische Staat behauptet, militärische Ziele getroffen zu haben, aber hier handelt es sich um ein Haus von Zivilisten, das von der Artillerie getroffen wurde. Hier werden ganz offensichtlich Zivilisten zum Angriffsziel erklärt, um so die Vertreibung der Bevölkerung in Gang zu bringen. Die Besatzer sollen wissen, dass wir unsere Heimat nicht verlassen werden – komme, was wolle“.
Internationale Gemeinschaft schweigt wieder
Durch Angriffe der türkischen Armee auf Siedlungsgebiete in Grenznähe ist die Sicherheit der Zivilbevölkerung akut bedroht. Überall in Nord- und Ostsyrien finden Proteste statt, die internationale Gemeinschaft jedoch hält an ihrem Schweigen hinsichtlich der Angriffe fest. Darauf weist auch Mihemed Welîd hin. „Die Medien berichten täglich über den Mord an Jamal Khashoggi. Es sind aber eben diese Medien, die all die Massaker und Repression durch türkische Besatzungstruppen und ihre dschihadistischen Gehilfen an der Bevölkerung Efrîns ignorierten“.
Welîd kritisiert auch die Haltung der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel und des französischen Präsidenten Emmanuel Macron: „Von Russland wollen wir gar nicht sprechen, da sie sich viel zu weit von moralischen Werten entfern haben. Aber diejenigen, die von sich behaupten, Verteidiger der Menschlichkeit zu sein, sollten ihre Augen vor den Gräueltaten des türkischen Staates nicht verschließen. Die Türkei greift uns an und die internationale Gemeinschaft schweigt. Die Welt muss endlich Haltung beziehen und sich gegen die Verbrechen Erdoğans stellen“, fordert Welîd.
Im Moment herrscht Ruhe in dem betroffenen Gebiet in Kobanê. Doch die Gefahr hält weiterhin an. Insbesondere das Dorf Zormixar scheint primäres Ziel für Angriffe türkischer Grenzsoldaten zu sein.