Zwei Jahre auf Bewährung für IS-Rückkehrerin

Fatiha B. aus Bad Homburg hat sich in Syrien zuerst Al-Nusra und dann dem IS angeschlossen und ihrem Ehemann damit ermöglicht, für Terrororganisationen zu kämpfen. Trotz mangelnder Einsicht kommt sie mit einer Bewährungsstrafe davon.

Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt hat eine IS-Rückkehrerin am Freitag wegen Mitgliedschaft in zwei Terrorvereinigungen im Ausland zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Fatiha B. aus Bad Homburg schloss sich zuerst dem syrischen Al-Qaida-Ableger „Al-Nusra-Front“ und später der Dschihadistenmiliz „Islamischer Staat“ (IS) an, wie das Gericht mitteilte. Die 30 Jahre alte Frau, die seit 2022 zurück in der Bundesrepublik ist, wurde auch wegen Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht verurteilt.

Schwanger nach Syrien ausgereist

Der Staatsschutzsenat sah es als erwiesen an, dass Fatiha B. im Jahr 2013, bereits schwanger, mit ihrem Mann von Deutschland nach Syrien ausgereist war. Die Eheleute hatten sich zuvor in der salafistischen Szene in Frankfurt und Offenbach bewegt. Auf dem Gebiet der Al-Nusra-Front (jetzt „Jabhat Fatah al-Sham“; gehört zum Dschihadistenbündnis „Hayat Tahrir al-Sham“ HTS) kümmerte sie sich um den Haushalt und die 2014 geborene Tochter und ermöglichte dem Mann so, für die Organisation zu kämpfen. Noch im selben Jahr will das Paar angeblich vergeblich versucht haben, über die Türkei nach Deutschland zurückzukehren. Zurück in Syrien schlossen sie sich dann dem IS an.

Staatsschutzsenat folgt Plädoyer der Verteidigung

Auch für diese Miliz habe der Mann gekämpft und war in deren Finanzverwaltung tätig, was Fatiha B. durch Führen des gemeinsamen Haushalts ermöglicht habe. Sie sei ihm zu seinen jeweiligen Einsatzorten gefolgt, die Eheleute erhielten für sich und ihre Tochter monatliche Geldzahlungen vom IS in Höhe von 135 US-Dollar als Alimentation. Die zwei Richterinnen und ein Richter folgten mit ihrem Urteil wesentlich dem Plädoyer der Verteidigung, die bis zu zwei Jahre auf Bewährung für die Angeklagte gefordert hatte. Die Staatsanwaltschaft hatte in ihrem Schlussvortrag eine Haftstrafe von zweieinhalb Jahren für die Frau gefordert.

Von kurdischen Kämpfern bewachte IS-Anhängerinnen und ihre Kinder am 4. März 2019 beim „Exodus aus Baghuz“. Keine drei Wochen später verkündeten die QSD den militärischen Sieg über den IS. Ein Kampf, bei dem allein Rojava mit über 11.000 Gefallenen einen hohen Blutzoll bezahlt hat.


Fatiha B. habe gewusst, dass sie ihre damals neun Monate alte Tochter durch die Reise in ein Kriegsgebiet in große Gefahr gebracht habe, teilte das Gericht mit. Das Aufwachsen unter der menschenverachtenden Willkürherrschaft des IS habe erhebliche Gefahren und eine bleibende psychische Beeinträchtigung für das Kind begründet. Entsprechend war B. auch eine Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht vorgeworfen worden. Der Staatsschutzsenat erlegte ihr außerdem auf, drei Jahre lang ständigen Kontakt zur Bewährungshilfe zu halten und an einem Deradikalisierungsprogramm teilzunehmen.

IS-Anhängerin ergab sich erst beim finalen Sturm auf letzte IS-Bastion

Fatiha B. war im Februar 2019 im Zuge der finalen Anti-IS-Offensive „Gewittersturm Cizîrê“ von den Demokratischen Kräften Syriens (QSD) festgenommen worden und befand sich danach rund drei Jahre lang in Camp Roj, ein von der Autonomieverwaltung Nord- und Ostsyriens (AANES) betriebenes Internierungslager für ausländische IS-Dschihadistinnen. Im März 2022 wurde sie in einer von der Bundesregierung organisierten Aktion mit der Tochter und den drei weiteren, später geborenen Kindern nach Deutschland zurückgeholt. Unmittelbar nach ihrer Ankunft am Frankfurter Flughafen wurde sie festgenommen und kam in Untersuchungshaft. Seit Februar ist B. wieder frei.

Am 3. August 2014 überfiel der IS die Şengal-Region im Irak mit dem Ziel, eine der ältesten Religionsgemeinschaften auszulöschen: Die Ezidinnen und Eziden. Durch systematische Massakrierung, Vergewaltigung, Folterung, Vertreibung, Versklavung von Mädchen und Frauen und der Zwangsrekrutierung von Jungen als Kindersoldaten erlebte die ezidische Gemeinschaft den 74. Völkermord in ihrer Geschichte. Etwa 10.000 Menschen fielen jüngeren Schätzungen nach Massakern zum Opfer, mehr als 400.000 weitere wurden aus ihrer Heimat vertrieben. Über 7.000 Frauen und Kinder wurden verschleppt, bis heute werden 2.500 von ihnen vermisst. Daher stellt dieser Genozid in seiner Form zugleich auch einen Femizid dar.


Strafmildernd: Als alleinerziehende Mutter lange in Gefangenenlager

Für eine Bewährungsstrafe und damit eine Strafe am unteren Ende der Skala sprach aus Sicht des Gerichts, dass Fatiha B. die Mitgliedschaften in den beiden Terrorgruppen gestanden hatte. Zu ihren Gunsten habe zudem gesprochen, dass sie sich keiner Ausbildung an der Waffe unterzogen hätte und „lange als alleinerziehende Mutter“ in einem Gefangenenlager gesessen habe. Allerdings vermisste der Staatsschutzsenat eine klare Übernahme der Verantwortung für ihre Entscheidungen und deren Konsequenzen bei der Angeklagten. Der Vorsitzende Richter sagte, er habe bei Fatiha B. während des Prozesses „tätige Reue“ vermisst, sie habe kein Wort über die Opfer von islamistischem Terror und Gewalt verloren. In dem Prozess habe sie den Wunsch geäußert, wieder „ein normales Leben zu führen“, und die Gräuel des Krieges und die belastende Situation in dem Lager vergessen zu können. Sie stehe noch ganz am Anfang der Erkenntnis, dass Al-Nusra und der sogenannte IS anderen Menschen großes Leid zugefügt haben, so der Richter.

Steht deutsche Justiz der Rolle von Frauen im IS verharmlosend gegenüber?

Dass Fatiha B. dennoch mit einer Bewährungsstrafe davongekommen ist, spricht für die Kritik kurdisch-ezidischer Frauenorganisationen, die deutsche Justiz stehe der Rolle von Frauen im IS stark verharmlosend gegenüber. Dem Dachverband des Ezidischen Frauenrats e.V. (SMJÊ) zufolge waren Frauen ein integraler Bestandteil des Machtapparats des IS, ob nun in der Führung des Haushalts, in der Erziehung ihrer Kinder, der Unterstützung ihrer Ehemänner, im Spitzelsystem des IS, in der Netzwerk- und Propagandaarbeit, der Anwerbung  neuer Mitglieder oder auch in offiziellen Funktionen der „Sittenpolizei“. Nur würde diese Rolle von deutschen Behörden häufig ignoriert oder es würde entsprechend der traditionellen Geschlechterrollen die Argumentation übernommen, dass Frauen nur Opfer, jedoch keine Täterinnen sein können. Folglich reiche die Übernahme von häuslichen oder familienbezogenen Arbeiten und das Gebären von Kindern nicht aus, um juristisch als Terrorunterstützung zu gelten. Jedoch seien es gerade solche Arbeiten, die das System des IS stützten.

Verurteilte will keine Revision einlegen

Das Urteil gegen Fatiha B. ist noch nicht rechtskräftig. Die Generalstaatsanwaltschaft kann Revision einlegen, über die dann der Bundesgerichtshof entscheiden muss. Die Angeklagte und ihre Verteidigung haben bereits Rechtsmittelverzicht erklärt.