YPJ-Kämpferin Hêvî Jiyan: Dengbêj als Widerstandskultur

Musik spielt, wie in vielen Kulturen, auch im Kurdischen eine wichtige Rolle für die Gesellschaft. Auch für die Kämpferinnen der YPJ ist sie Quelle der Hoffnung und Stärke. Im Kriegsalltag stärken Lieder und das Singen die Frauen.

Ein Lied für das Volk und die Genossinnen

Die Kämpferinnen der Frauenverteidigungseinheiten YPJ bereiten sich zum Klang von Liedern und historischen Epen auf ihre schweren Aufgaben im Kampf um Freiheit und Selbstbestimmung vor. Diese Lieder spiegeln den Mut und die Entschlossenheit der Kämpferinnen wider, die, nach dem Betrauern ihrer Verluste, mit der Hoffnung auf einen besseren Morgen in die Gefechte ziehen. Musik wird so zu einem Symbol der Stärke und einer Quelle moralischer Kraft, die den Kampfgeist stärkt und den Sinn für die gemeinsame Sache festigt.

„Ein Lied ist mehr als nur eine Melodie“

Ein Lied sei mehr als nur eine Melodie; es sei eine Erhebung des Geistes und eine Erinnerung an die Bedeutung des Widerstands. Die YPJ-Kämpferin Hêvî Jiyan möchte mit ihren Gesängen nicht nur ihre persönlichen Emotionen zum Ausdruck bringen, sondern auch das kollektive Streben nach Freiheit ihrer Gemeinschaft und ihres Volkes. Dass Kunst nicht nur für Künstler:innen sei, sondern auch für Krieger:innen, sei innerhalb der Selbstverteidigungseinheiten gelebte Praxis. Die Kämpferinnen sähen sich nicht nur als Kriegerinnen, sondern auch als Trägerinnen einer tiefen kulturellen Tradition, die in den Epen und Liedern weiterlebt. Diese Tradition wird auch Dengbêj genannt.


Dengbêj

Dengbêj ist eine traditionelle Musikform, die vor allem in der kurdischen Kultur verwurzelt ist, aber auch in anderen Teilen des Nahen Ostens, wie bei den Araber:innen und Türk:innen, ihre Entsprechung hat. Der Begriff „Dengbêj“ bedeutet übersetzt „Sänger:in“ oder „Geschichtenerzähler:in“ und bezeichnet sowohl die Künstler:in als auch die spezifische Musiktradition, die mit mündlicher Überlieferung verbunden ist. Dengbêjî, die Kunst des Dengbêj-Gesangs, ist eine Form der epischen Erzählung, bei der historische Ereignisse, Heldentaten, das tägliche Leben und die Erfahrungen des Volkes in Form von Liedern und Gedichten weitergegeben werden.

Bewahrung der Geschichte

Die Lieder und Erzählungen der Dengbêj haben eine tiefgehende emotionale Kraft, da sie die Erlebnisse und das Leid der Menschen widerspiegeln. Diese Musikform wurde oft in Zeiten des Krieges, der Vertreibung oder der Unterdrückung verwendet, um die Geschichte eines Volkes zu bewahren und als moralische Unterstützung zu dienen. Besonders in der kurdischen Kultur spielt der Dengbêj eine zentrale Rolle beim Erhalt der kulturellen Identität, insbesondere während der Verfolgung und des Widerstands gegen äußere Mächte. Diese Tradition hat sich bis in die Gegenwart erhalten. Sie hat insbesondere während der jüngeren Kämpfe gegen den selbsternannten Islamischen Staat oder gegen das AKP/MHP-Regime in der Türkei als Form des Widerstands und als Ausdruck des kollektiven Gedächtnisses eine wichtige Rolle gespielt.

„Lieder als Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart“

Für die YPJ-Kämpferinnen wie Hêvî Jiyan ist Dengbêj nicht nur eine künstlerische Praxis, sondern auch ein politisches Statement. Es sei ein Werkzeug der kulturellen Selbstbehauptung im Angesicht von Unterdrückung und Krieg. Die Lieder würden dabei als Brücke zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart, zwischen den historischen Kämpfen ihrer Vorfahr:innen und dem gegenwärtigen Widerstand ihrer Generation empfunden.

Widerstandskultur am Tişrîn-Damm

Hêvî sieht ihre Lieder als Ausdruck des Widerstands und der Solidarität mit ihren Genossinnen. Sie erzählt in ihrem Lied von der Bedeutung des Tişrîn-Damms. Der Tişrîn-Damm steht in der Erinnerung der YPJ-Kämpferinnen als eine Stätte der Opfer und des Sieges. Für Hêvî Jiyan und ihre Gefährtinnen ist der Damm nicht nur ein militärisches Ziel, sondern ein Symbol für den Widerstand gegen die Unterdrückung und den Kampf für eine Zukunft in Freiheit. Der Damm wurde zu einem festen Bestandteil der kurdischen Widerstandskultur, zu einem Ort, an dem das kollektive Gedächtnis und der Traum von Freiheit lebendig gehalten wird. Er ist seit Wochen wieder ein Ort des Kampfes: Die YPJ und die Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) verteidigen ihn gegen die anrückende „Syrische Nationalarmee“ (SNA), welche von der Türkei unterstützt wird.

„Der Kampf ist auch ideologisch“

Der Kampf sei nicht allein physisch, sondern auch ideologisch. Der Einsatz der Waffe sei zur Metapher für das Streben nach Gerechtigkeit, Selbstbestimmung und Hoffnung geworden. Diese Hoffnung würde nicht nur durch das Gewehr, sondern auch durch die kulturellen Ausdrucksformen der Lieder und Epen bekräftigt. Diese stärkten die Moral und das Gemeinschaftsgefühl und erinnern an die Bedeutung von Opferbereitschaft und der Bewahrung von Werten in schwierigen Zeiten.