Ehe mit 15: TAJÊ missbilligt Änderung des Personenstandgesetzes

Die ezidische Frauenorganisation TAJÊ missbilligt eine Gesetzesänderung des irakischen Parlaments, da sich diese gegen Frauen und die Gesellschaft richte und eine Legitimierung der IS-Ideologie darstelle. Frauen- und Kinderrechte müssten geschützt werden.

Legitimation von IS-Mentalität

Die Bewegung freier ezidischer Frauen (TAJÊ) in Şengal (Sindschar) hat sich in einer Mitteilung kritisch zu einer kürzlich genehmigten Änderung des irakischen Personenstandsgesetzes geäußert, die von der Regierung in Bagdad seit Juli 2024 vorangetrieben wurde. Das irakische Parlament hat am 21. Januar eine Gesetzesänderung zur Regelung von Familienangelegenheiten vorgenommen. Zivilgellschaftliche Verbände, allen voran feministische Organisationen, haben in den vergangenen Monaten gegen die Änderung des Personenstandsgesetztes Nr. 188 protestiert und diese scharf kritisiert, da sie den Weg für Kinderehen ebnen würde.

Gesetzesänderung auch international in der Kritik

Das Gesetz ist nicht das erste Mal in öffentlichen Debatten. Es ging, auch international, immer wieder um den zweiten Paragraphen, der die Eheschließung regelt. Das Gesetz sollte nach Vorstellungen der Regierung nicht mehr dem Zivilrecht unterliegen, sondern den jeweiligen Rechtsschulen der Konfessionen, denen die betroffenen Eheleute angehören. Nach der islamischen Jurisprudenz würde die Änderung die Verheiratung von Mädchen ab neun Jahren und Jungen ab 15 Jahren legalisieren. Menschen wären demnach nicht mehr als Bürger:innen mit gleichen Rechten angesehen worden, sondern die Konfessionen wären jeweils entscheidend geworden.

Ehen im Alter von 15 Jahren möglich

Die Abgeordneten einigten sich im Januar auf eine überarbeitete Fassung des Personenstandsgesetzes von 1959. In dieser Neufassung wird zwar die bisherige Regelung zum Heiratsalter beibehalten, in der das Mindestalter bei 18 Jahren liegt. Allerdings können mit Zustimmung der Erziehungsberechtigten und eines Richters Eheschließungen schon ab 15 Jahren genehmigt werden. Des Weiteren wurden grundlegende Einschränkungen in das elterliche Sorgerecht sowie das Erbrecht für Frauen vorgenommen.

Legitimation von IS-Mentalität

Die TAJÊ sieht in der beschlossenen Änderung weiterhin eine Bedrohung der Rechte von Frauen und Mädchen. Insbesondere ezidische Frauen sowie die gesamte Gesellschaft hätten ihre deutliche Ablehnung gegenüber dem Gesetz geäußert, da dieses eine Gefahr für die Gesellschaft und die Völker des Iraks darstelle. Die Änderung des Personenstandsgesetzes wurde vom Parlament zusammen mit der Änderung des allgemeinen Amnestiegesetzes auf die Tagesordnung gesetzt , welches unter anderem die Freilassung von Mitgliedern der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) vorsieht. Die ezidische Frauenbewegung weist auf die drohenden Gefahren weiterer Massaker hin und beurteilt das Vorgehen der irakischen Regierung als Legitimation dschihadistischer Mentalität. Im Zusammenhang mit dem vom IS ab August 2014 verübten Völkermord in Şengal macht sie auch die irakische Regierung, das Handeln der kurdischen Partei PDK und die Kollaboration mit dem türkischen Staat verantwortlich, ohne welche dieser nicht hätte durchgeführt werden können. „Anstatt seine Schuld gegenüber Şengal und seinen ezidischen Bürger:innen zu begleichen oder seinen moralischen Verpflichtungen nachzukommen, erlässt der irakische Staat eine Generalamnestie also auch eine Amnestie für die IS-Mitglieder. Darüber hinaus legitimiert er die IS-Mentalität, neunjährige Kinder zu verheiraten, und wollte sogar ein Gesetz daraus machen“, so TAJÊ.

Völkermord an Ezid:innen hält an

Die Bewegung weist auf die Geschichte des Völkermordes hin, der am 3. August 2014 vom selbternannten IS begonnen wurde und von der ezidischen Gesellschaft als 74. Ferman bezeichnet wird. Die ezidische Gemeinschaft und insbesondere die Frauen wurden damals zum Ziel der Brutalität der Dschihadisten. Doch die Verfolgung und Tötung von Ezid:innen sei nicht zu Ende, betont die TAJÊ: „Wir erinnern noch einmal daran, dass heute Tausende ezidische Frauen, Kinder und Männer vom IS gefangen gehalten werden. Zehn Jahre sind seit dem Überfall vergangen, doch die irakische Regierung ist ihren Pflichten und ihrer Verantwortung angesichts des Völkermords an der ezidischen Gemeinschaft noch immer nicht gerecht geworden. Bis heute hat das Land den Völkermord nicht offiziell anerkannt und die Täter nicht zur Rechenschaft gezogen.“ Und weiter: „Wir wollen, dass die Stimme der ezidischen Frauen die Welt erreicht. Die ezidische Gemeinschaft wurde in der Tat 74 Genoziden unterworfen, und heute sind die ezidische Gemeinschaft und ezidische Frauen erneut der Gefahr eines Massakers ausgesetzt. Wenn es zu einem Massaker kommt, wird die irakische Regierung dafür verantwortlich sein.“

Aufruf das Schweigen zu brechen

Die TAJÊ ruft internationale Kräfte, Menschenrechtsorganisationen, Staaten, die den Völkermord an den Ezid:innen anerkannt haben, und alle Parteien mit dem Anspruch, Terrorismus zu bekämpfen, dazu auf, nicht stillschweigend ihre Zustimmung zu suggerieren. Das Personenstandsgesetz bedeute, Frauen und Leben zu vernichten und stelle eine Bedrohung für die gesamte Gesellschaft dar.

Irak in den Fußstapfen des Irans

Einst war der Irak eine der säkularsten Gesellschaften im Nahen Osten mit relativ großen Freiheiten für Frauen – ähnlich wie der Iran vor 1979. Aber seit pro-iranische, schiitische Kräfte die Macht im Land de facto ausüben, droht der Irak einen ähnlichen Weg wie der Iran zu nehmen. Nach einem jüngsten Gesetz gegen Homosexualität soll jetzt das neue Gesetz Frauen und Kinder einschränken. Der massive Protest dagegen führte zumindest dazu, dass Mädchen nicht, wie ursprünglich gefordert, mit neun Jahren verheiratet werden dürfen. Für diese Fälle sollen islamische Gelehrte binnen vier Monaten entsprechende Regelungen festlegen, die dann noch vom Parlament beschlossen werden müssen.