Die von der türkischen Armee gestartete Invasion in den südkurdischen Medya-Verteidigungsgebieten wird von der Guerilla mit einer revolutionären Offensive beantwortet. Wir dokumentieren Tagebucheintragungen aus den ersten Tagen des Widerstands.
Die Nacht der Operation: „Mamreşo wird Geschichte schreiben“
Niemand war überrascht oder schockiert. Es kam nicht unerwartet. Die Guerilla kennt den Feind und Avaşîn ist ohnehin von allen Seiten vom Feind umgeben. Deshalb waren wir vorbereitet und ruhig. Wir waren ein wenig abschätzig gegenüber dem Feind, aber auch vorsichtig. Auf eine mögliche Operation im April hatten wir uns lange vorbereitet. Es war nur nicht klar, wo genau sie stattfinden würde.
Am 23. April bombardierten Kampfflugzeuge ab 19 Uhr die Gebiete Kartal, Geliyê Basya, Geliyê Avaşîn, Girê Sor, Mamreşo, Werxelê, Aris Faris, Dola Konferansê und Şûkê. Die Kampfbomber fliegen ohnehin täglich wie böse Geister über dieses paradiesische Land. Als der Luftangriff begann, waren wir im Şehîd-Şoreş-Camp im Wadi Geliyê Basya, das direkt gegenüber dem Gipfel des Mamreşo liegt. Die Flugzeuge bombardierten das Gelände ununterbrochen und ziellos. So kündigten sie das Inferno an, das wenige Minuten später losbrechen sollte. Als der Feind das Mamreşo-Gebiet massiv mit Haubitzen und Mörsern zu beschießen begann, wurde allen klar, wo die Operation beginnen sollte. Heval Marya, die neu in das Gebiet gekommen war, brachte unsere Waffen und Patronengurte in unsere Manga und sagte: „Heval, steht schnell auf, der Feind setzt Truppen ab.“ Unsere erste Antwort war: „Mamreşo wird Geschichte schreiben.“
24. April 2021: „Avaşîn wird der Friedhof des Feindes werden“
Als der Feind Truppen absetzte, haben die Freund:innen im Gelände und in den Stellungen am Mamreşo zwei Sikorsky-Transporthubschrauber beschossen. Der Feind verließ sich auf seine Kampfbomber und seine technische „Überlegenheit“ und setzte weitere Soldaten ab. So wie sie die Region bombardiert hatten, hätte nicht nur keine Guerilla, sondern kein Lebewesen mehr in dem Gebiet am Leben sein dürfen! Aber ihnen gegenüber standen apoistische Guerillakämpfer:innen, die nicht einmal einen Kratzer erlitten hatten und mit dem Finger am Abzug auf sie warteten. Die Freund:innen am Mamreşo standen im Gelände, in den Kriegstunneln und in den Stellungen bereit für einen längst überfälligen Sieg. Nach Mamreşo zu gelangen, sollte dem Feind nicht einfach gemacht werden.
Als der Feind zum ersten Mal in das Tunnelsystem vorzudringen versuchte, reagierten die Freund:innen sofort mit mittleren Waffen und Handgranaten. Der Feind musste sich mit Verletzten und Toten zurückziehen. In Kurdistan werden die Invasoren nicht durchgelassen, und schon gar nicht im Zagros-Gebirge, der kurdischen Widerstandshochburg. Über diese Berge und den Widerstand sind Lieder und Epen verfasst worden. „Weder Alexander noch Timur, weder die Araber oder die Perser“, heißt es in einem unserer Lieder.
Die Sikorksys der türkischen Armee kamen zurück, aber diesmal nicht, um Soldaten abzusetzen, sondern um die Leichen der eben erst abgesetzten Soldaten einzusammeln. Die Sikorskys bargen die Leichen, und als der Feind zum zweiten Mal in den Kriegstunnel eindringen wollte, zündeten die Freund:innen eine Reihe von Sprengladungen. Nach diesem zweiten Schlag musste sich der Feind erneut zurückziehen.
Die Orte, die wir auf kurdisch Şikeft nennen, versucht der Feind in seiner Kriegspropaganda als Hundehöhlen zu diffamieren. Es handelt sich jedoch nicht um gewöhnliche Höhlen, wie sie jeder kennt. Um Kurdistan vor allen möglichen Feinden und Angriffen zu schützen, haben wir diese Berge und Steine mit der Geduld des heiligen Hiob, der Leidenschaft Ferhats, der Tradition des Widerstands unserer Vorfahren in Kela Dimdim und im apoistischen Geist durchdrungen. Diese Şikeft sind keine Höhlen mehr, sie sind zu einem aus vielen Tunneln bestehenden Kriegslabyrinth geworden. Manchmal scherzen die Freund:innen darüber, aber es beschreibt die Realität: „Heval, es reicht nicht, sie als Höhlen zu bezeichnen, wir haben sowohl unterirdische Städte mit Dutzenden von Tunneln und Stellungen als auch moderne Widerstandsfestungen geschaffen.“ Ja, es ist wirklich ein wenig kurz gegriffen, sie als Höhlen zu bezeichnen, also nennt die Guerilla sie Kampfstellungen und Kriegstunnel. Wer weiß, vielleicht wird eines Tages der am besten geeignete Name gefunden, um dem vergossenen Schweiß, der harten Arbeit und den Anstrengungen zum Bau dieser modernen Widerstandshochburgen gerecht zu werden.
Am Morgen des 24. April kontaktierten die Kämpfer:innen am Mamreşo die Freund:innen an der anderen Front über das große Funkgerät. Aus den Stimmen aller Freund:innen innerhalb der Kampfstellung klang die Moral und der Stolz, widerstanden und dem Feind kein Durchkommen erlaubt zu haben. Serhat Giravî, der Gebietskommandant von Mamreşo, der einer der Freunde war, die während der Operation in den Stellungen Widerstand leisteten, ließ es die ganze Welt wissen: „Mamreşo ji bo dijmin wê bibe goristan!” (Mamreşo wird zum Grab für den Feind werden!) Das Trillern und die Parolen der Freundinnen in den Kriegstunneln von Mamreşo waren eine Inspiration und ein Schwur auf den Erfolg für alle Freund:innen in Avaşîn. Dieser Mut, diese Moral, diese Art des Kampfes musste zum Sieg führen. In dieser Stellung war auch Rûken. Sie machte sich über die türkische Armee lustig und rief: „Die Besatzer haben Angst bekommen, sie sind umgedreht und weggegangen.“
Aus diesem Tunnel kommt der Feind nur als Leiche
Mamreşo war nicht die einzige Festung im Widerstand von Avaşîn. Wir erfuhren, dass der Feind am Morgen des 24. April auch auf den Gipfeln Şehîd Serdar und Şehîd Dilgeş im Gebiet Mervanos Truppen abgesetzt hat. Der Widerstand an beiden Fronten in Avaşîn fand in der gleichen Atmosphäre statt. Die Herzen schlugen im Takt desselben Liedes. Die Freund:innen, die die Stellungen am Şehîd Serdar verteidigten, griffen den Feind mit einem schweren Maschinengewehr an, als das Gelände von Hubschraubern bombardiert wurde. Der Feind wurde zum Rückzug gezwungen. Als er an diesem Morgen um zehn Uhr in den Tunnel eindringen wollte, wurden zwei Sprengsätze zur Detonation gebracht. Er bekam dieselbe Antwort wie an der anderen Front. Die Antwort der Guerilla war eindeutig und in einer Sprache, die der Feind versteht: Aus diesem Tunnel kommst du nur als Leiche.
Eine der Aktionen, die diesen zweiten Widerstandstag prägten, wurde von Frauen durchgeführt. Es wurde nicht nur im Tunnel Widerstand geleistet, gleichzeitig machten die Freund:innen im Gelände mobil, um ihre Kampfgefährt:innen zu unterstützen und sie nicht allein zu lassen. Die feindlichen Soldaten, die sich um die Tunnel versammelten, befanden sich im Visier der beweglichen Kleingruppen draußen. Und an diesem Tag griffen Guerillakämpferinnen die Besatzer am Şehîd Serdar an. Die Aufnahmen der Aktion waren sehenswert. Die Soldaten wussten nicht, wohin sie fliehen sollen. Vielleicht wussten sie nicht einmal, warum sie da waren. Ebenso war unklar, wo sie herkommen. Jetzt suchten sie im Zagros nach einem Loch, um sich zu verstecken.
25. April 2021: Der mit seinem Namen wachsende Widerstand
Am Morgen des 25. April wurde über Funk durchgegeben, dass die Aktionsberichte ab sofort im Rahmen der „Revolutionären Offensive Bazên Zagrosê“ erfolgen sollen. Die Namen aller Offensiven im Befreiungskampf Kurdistans legen den Charakter des jeweiligen Kampfes fest. Um dem Namen gerecht zu werden, wird der Widerstand verstärkt. Der Name dieses Widerstandes sollte „Falken des Zagros“ lauten. Die Freund:innen, die das über Funk in den Camps in Avaşîn hörten, reagierten begeistert. Es wurden Freudentriller und Parolen laut.
Am Mamreşo rissen die Bombardierungen und der Gefechtslärm bis zum Morgen nicht ab. Die Schüsse und Detonationen hallten vom Mamreşo bis in die tiefen Wadis und hohen Gipfeln von Basya wider. Sie zeugten von der Tatsache, dass dieser Krieg anders wird: Es ist ein brenzliger Kampf, der das Schicksal der Guerilla im Zagros und vielleicht auch in ganz Kurdistan bestimmt.
Die Freund:innen leisten weiter Widerstand. Sieben Guerillakämpfer:innen sind im Kriegstunnel Şehîd Munzur, fünf im Tunnel Şehîd Serdar. Sie kämpfen gegen Tausende Soldaten der türkischen Armee, gegen ihre Technik und ihr Giftgas. Welch eine Willensstärke, welch ein Widerstand, dass eine Handvoll Guerillakämpfer:innen eine Armee aufhalten kann. Wieder einmal sind wir stolz auf unsere eigenen Weggefährt:innen und fühlen uns trotz des großen Schmerzes glücklich, diesen historischen Widerstand miterleben zu können. Ja, die Eroberungsmärsche auf den Lippen der türkischen Soldaten haben sich vor den Tunneln am Mamreşo als Lüge entpuppt.
Um 12.30 Uhr haben die Freund:innen am Mamreşo den Feind verfolgt und mit Sabotagetaktik zugeschlagen, als sich vor den Stellungen Soldaten versammelten. Neun Besatzer sind bestraft worden. Der Feind hat seine Toten und Verwundeten hastig mit Hubschraubern abtransportiert.
„Heval, ich habe einen Hund geschnappt“
Nach dieser Aktion hat der seit gestern Nacht überall widerhallende Gefechtslärm seinen Platz einer tiefen Stille überlassen. Diese Stille zeugt vom Schockzustand der türkischen Soldaten. Sie wissen nicht, was sie tun sollen. Es ist der chaotische Zustand, wenn man in einen Strudel gerät. Was nach dieser Explosion abläuft, ist das Ergebnis dieses Zustands. Drei Stunden lang wagen sich die Soldaten nicht in den Tunnel. Sie schicken einen offenbar mutigeren Hund los, an dessen Kopf eine Kamera befestigt ist. Damit wollen sie herausfinden, wie groß das Tunnelsystem ist und wie viele Guerillakämpfer:innen sich darin aufhalten. Der Hund als der mutigste Soldat der türkischen Armee wird von den Freund:innen außer Gefecht gesetzt, bevor er in die Stellung eindringen kann. Die Kamera wird sichergestellt. Danach hören wir die Stimme von Heval Zafer, einem der dort Widerstand leistenden Freunde. Er ist ein Freund, dem es selbst in den schwersten und heftigsten Momenten des Lebens und Kampfes gelingt, zu lachen und andere zum Lachen zu bringen. Wir alle hören seine Stimme und nehmen an seinem Gelächter teil: „Heval ez im, ez Zafer, min kuçikek girt.” (Heval, ich bin's, ich bin Zafer, ich habe mir einen Hund geschnappt.) So ist die Lage, in die die türkische Armee in Avaşîn geraten ist.
Der Feind hat heute mindestens fünf Mal versucht, in die Tunnel einzudringen. Er wurde jedes Mal zurückgeschlagen und schwer getroffen. Bis um 22 Uhr haben die türkischen Soldaten keinen Erfolg. Als die Freund:innen eine Mine über dem Tunnel detonieren lassen, müssen die Besatzer ihre Versuche für heute aufgeben. Sie sind psychisch am Ende, es rücken Kampfhubschrauber zur Unterstützung an. Das Gebiet wird die ganze Nacht intensiv bombardiert, dann fliegen sie ohne Ergebnisse wieder weg.
Gleichzeitig werden an der anderen Front die ersten Zeilen einer Legende geschrieben, mit der der Widerstand der Freund:innen an der Stellung in Mervanos in die Geschichte eingehen wird. Gestern hat der Feind um 14.40 Uhr versucht, in die Stellung Şehîd Serdar einzudringen. Die Freund:innen haben ihm mit mittelschweren Waffen einen schweren Schlag verpasst. Er hat seine Toten und Verletzten eingesammelt und sich zurückgezogen. Der türkische Staat führt in Avaşîn einen Krieg, der fern aller Werte ist, die den Menschen zum Menschen machen. Er entbehrt jeglicher Kriegsethik. Die Soldaten vor der Stellung sind die Enkel derjenigen, die seit Jahren kein einziges Mal den Mut für einen Nahkampf aufgebracht haben. Von ihnen haben sie die Kriegsverbrechen und Massaker übernommen. Hunderte Soldaten wagen es nicht, fünf Guerillakämpfer:innen gegenüber zu treten. Sie greifen die Tunnel mit chemischen Kampfstoffen und Gaskartuschen an. Aber die Freund:innen kennen den Feind und haben Maßnahmen gegen das unmenschliche Vorgehen getroffen. Sie können sich gegen das Gas schützen und den Angriff ins Leere laufen lassen. Heute haben sie den Feind im Gelände drei Mal hintereinander mittels Sabotagetechnik getroffen. Der Feind wollte die Freund:innen mit Gasbomben außer Gefecht setzen und ist selbst von Detonationen erschüttert worden. Einer der Freunde in der Stellung ist Heval Çekdar. Er wird im Kampf verwundet. Seine Verletzung ist für ihn kein Hindernis. Er kämpft trotzdem mit großem Mut und Entschlossenheit weiter.
Avaşîn ist zum Schauplatz einer der großartigsten Widerstände in der Geschichte geworden. Am dritten Tag des Widerstands war es wieder die Freiheitsguerilla Kurdistans, die den Sieg errungen hat.