Im Prozess um den Mord an Kemal Kurkut hat das Gericht den Erlass eines Haftbefehls gegen den angeklagten Polizisten ein weiteres Mal abgelehnt. Der 23-jährige Kurkut war vergangenes Jahr am 21. März im nordkurdischen Amed (Diyarbakir) am Rande der traditionellen Newroz-Feierlichkeiten von einem Polizisten erschossen worden. Die Behörden hatten daraufhin behauptet, dass es sich bei dem Musik-Studenten um einen „Selbstmordattentäter“ gehandelt habe, der am Eingang des Festgeländes versucht haben soll, in eine Menschenmenge zu laufen. Bevor er diese habe erreichen können, sei er mit Schüssen der Polizei „gestoppt“ worden. Die tödliche Kugel traf den jungen Mann am Rücken in der Nähe des Herzens.
Zwei Tage später veröffentlichte die mittlerweile per staatlichem Notstandsdekret verbotene Nachrichtenagentur DIHA Bilder des Fotojournalisten Abdurrahman Gök, die einen anderen Hergang der Ereignisse belegten. Gök hatte acht Mal auf den Auslöser gedrückt und dokumentiert, dass es sich bei dem Tod von Kemal Kurkut um vorsätzlichen Mord handelte.
Am dritten Verhandlungstag am gestrigen Donnerstag vor dem 7. Schwurgerichtshof Diyarbakir nahmen die Mutter Secan Kurkut und der Bruder Ferhat Kurkut teil. Trotz neuem Videobeweis mit einem Gesprächsmitschnitt aus der Überwachungskamera eines gepanzerten Polizeifahrzeugs waren der angeklagte Polizist Y. Ş. und sein Anwalt nicht anwesend. Im besagten Mitschnitt kommentiert einer der Polizisten die Tat und sagt: „Es ist doch nicht nötig, den Mann zu erschießen“.
Beobachtet wurde der Prozess von den HDP-Abgeordneten Saliha Aydeniz, Selçuk Mızraklı, Semra Güzel und Dersim Dağ, dem HDP-Provinzvorsitzenden Mehmet Şerif Çamcı und Fahriye Yıldırım, der Mutter von Medeni Yıldırım, der als 18-Jähriger im Juni 2013 in einem Dorf in der Kreisstadt Licê bei einem Protest gegen den Bau einer Kaserne vom türkischen Militär erschossen wurde. Der Schütze Adem Çiftçi ist ebenfalls noch immer auf freiem Fuß.
Reyhan Yalçındağ Baydemir, die Anwältin der Familie Kurkut, forderte das Gericht auf, den Angeklagten und wichtige Zeugen vorzuladen. Es sei nicht tragbar, dass der vorsätzlich handelnde Polizist Y.Ş. weiterhin in Freiheit ist. „Obwohl es in diesem Fall ganz offensichtlich um Mord geht, werden unsere Anträge auf Erlass eines Haftbefehls abgelehnt. Dass der Angeklagte vorsätzlich handelte, geht auch aus der Schlussfolgerung des Gutachtens zum Mord an dem Getöteten hervor. Zudem haben wir bereits mehrere Video- und Fotobeweise eingereicht. Sollte die Politik der Straffreiheit für von Polizisten begangenen Verbrechen fortgesetzt werden, wird es keine Garantie dafür geben, dass anderen Kindern nicht das gleiche Schicksal widerfährt“, sagte Baydemir.
Das Gericht hat die Feststellung der Identitäten der zum Tatzeitpunkt anwesenden Polizisten angeordnet und den Prozess vertagt. Die nächste Verhandlung findet im Dezember statt.