Vorgezogene Neuwahlen gefordert
In Istanbul sind am Samstag hunderttausende Menschen auf die Straße gegangen, um die Freilassung des inhaftierten und abgesetzten Oberbürgermeister Ekrem Imamoğlu und vorgezogene Neuwahlen zu fordern. Die Großkundgebung fand im asiatischen Stadtteil Maltepe statt und wurde von der CHP organisiert. Deren Vorsitzender Özgür Özel sprach sogar von mehr als zwei Millionen Teilnehmenden.
Unter dem Motto „Istanbul gemeinsam verteidigen“ zogen die Teilnehmenden mit Transparenten und lauten Sprechchören auf das Gelände. Immer wieder hallten Rufe wie „Recht, Gesetz, Gerechtigkeit“ und „Es gibt keine Rettung allein, entweder alle zusammen oder keiner von uns“ über die Menge. Viele Demonstrierende waren zuvor auf von der CHP gecharterten Fähren über den Bosporus zum Versammlungsort gefahren.
Der Block des Bündnisses „Kräfte für Arbeit, Frieden und Demokratie“, dem neben der DEM auch linke und sozialistische Kleinparteien wie die SYKP und YSP angehören © Ma
Unter dem Jubel der Menge wurde ein Brief von Imamoğlu vorgelesen. „Diese Gitterstäbe existieren für mich nicht. Ich habe kein Verbrechen begangen und bin stolz auf meine Arbeit als Bürgermeister. Während Erdoğan sich jeder Verantwortung entzieht, verliert das Land Milliarden. Doch unser Volk wird sich nicht beugen. Wer sich vor der Wahlurne fürchtet, wird an unserer Entschlossenheit scheitern.“
Imamoğlu war am 19. März festgenommen worden, am Sonntag hatte ein Gericht wegen Korruptionsvorwürfen Untersuchungshaft gegen ihn angeordnet, wenig später wurde er als Oberbürgermeister von Istanbul des Amtes enthoben. Der Oppositionspolitiker gilt als wichtigster Rivale Erdogans. Seine Partei die CHP kürte ihn trotz seiner Inhaftierung am Montag zum Kandidaten für die Präsidentschaftswahl 2028.

Die Kundgebung in Maltepe wurde nicht nur von der CHP, sondern auch von einem breiten Bündnis aus linken Parteien, Gewerkschaften und zivilgesellschaftlichen Organisationen unterstützt. Auch die DEM-Partei, die sich als Stimme der kurdischen und progressiven Bewegungen versteht, beteiligte sich aktiv an der Demonstration. Ihr Block zog mit einem Transparent mit der Aufschrift „Istanbul gemeinsam verteidigen“ durch den Stadtteil und skandierte Parolen wie „Jin, Jiyan, Azadî“ (Frau, Leben, Freiheit) und „Schulter an Schulter gegen den Faschismus“.
Die Proteste in Istanbul reihen sich ein in eine Welle der Empörung über die zunehmend autoritäre Gangart der Regierung Erdoğan. Die Opposition wirft dem Präsidenten vor, durch willkürliche Festnahmen und juristische Manöver kritische Stimmen mundtot machen zu wollen. Beobachter:innen sprechen von einer „dramatischen Zuspitzung“ des innenpolitischen Klimas in der Türkei – mit offenem Ausgang.