Die Guerillakämpferin Menfiyat Elçiçek (Axîn Seydo) kam im September 2018 bei Gefechten mit der türkischen Armee auf dem Kato Marinos in Elkê (tr. Beytüşşebap), Provinz Şirnex, ums Leben. Obwohl ihre Angehörigen alle rechtlichen Mittel ausschöpften, um den Leichnam zu erhalten, verweigerten die Behörden fünf Jahre lang die Herausgabe. Erst jetzt wurde die Familie aufgefordert, die sterblichen Überreste abzuholen.
Asiye Elçiçek: „Sie gaben mir meine Tochter in einer Pappschachtel“
Die Familie von Menfiyat Elçiçek wurde am Mittwoch von der Polizei darüber informiert, dass sich die Leiche im gerichtsmedizinischen Institut in Istanbul befindet und dort ausgehändigt wird. Übergeben wurden die sterblichen Überreste in einem Karton. „Sie gaben mir meine Tochter in einer Pappschachtel“, berichtete Asiye Elçiçek über den Vorgang. Die Familie fuhr zurück an ihren Wohnort Hezex (Idil). Auf dem Weg wurden die Knochen in ein Leichentuch gehüllt und für die Bestattung in einen Sarg gelegt.
„Axîn ist unsere Ehre“
In Hezex protestierten heute Hunderte Menschen gegen die Nekropolitik des türkischen Staates und gingen geschlossen zu einem Beileidsbesuch bei der Familie Elçiçek. Angeführt wurde der Protest von dem Verein MEBYA-DER, der sich für Menschen einsetzt, die Angehörige im kurdischen Befreiungskampf verloren haben. Auch die HEDEP-Abgeordneten Newroz Uysal Aslan und Mehmet Zeki Irmez nahmen daran teil. In dem Protestzug wurde immer wieder „Axîn rûmeta me ye“ (Axîn ist unsere Ehre) gerufen. Die kurdische Abgeordnete Newroz Uysal Aslan erklärte, dass der menschenverachtende Umgang mit Guerillaleichen Teil der staatlichen Vernichtungspolitik ist.
Die türkische Nekropolitik
Der türkische Staat betrieb bereits seit den 1990er Jahren Nekropolitik gegen die kurdische Gesellschaft, indem er die Körper von Gefallenen instrumentalisierte. Leichen wurden verstümmelt, zerstückelt oder öffentlich zur Schau gestellt. Seit dem Abbruch des Friedensprozesses durch die türkische Regierung im Jahr 2015 hat eine neue Ära der Nekropolitik begonnen. Beerdigungen von Kämpfer:innen, an denen vor 2015 Tausende und oft sogar Hunderttausende teilnahmen, wurden durch massive Polizeieinsätze zu kleinen Veranstaltungen im Polizeikessel, an denen höchstens zehn Familienmitglieder teilnehmen können. Gleichzeitig werden die Leichen von Gefallenen häufig erst nach langen Fristen freigegeben. Die sterblichen Überreste werden oftmals auch in anonymen Gräbern beerdigt und müssen exhumiert werden, was eine weitere Schikane für die Familien darstellt. Der Staat geht jedoch noch weiter, indem er Pakete mit den Knochen von Gefallenen per Kurierdienst an die Angehörigen verschickt oder die Überreste einfach an unwürdigen Orten verscharrt. Die exemplarische Bestrafung endet nicht mit dem Tod. Das Vorgehen zielt darauf ab, den Widerstandsgeist der Gesellschaft zu brechen.