Yavuz Fersoglu: Rojava muss unterstützt und verteidigt werden

„Nicht zuletzt im Wahlkampf ist deutlich geworden, was die Menschen in Deutschland wirklich bewegt“, sagt Yavuz Fersoglu, der für die Partei Die Linke bei der Wahl zur Hamburgischen Bürgerschaft kandidiert.

Wahlen in Deutschland

Am Sonntag sind vorgezogene Bundestagswahlen, eine Woche später wird in Hamburg ein neues Landesparlament gewählt. Yavuz Fersoglu kandidiert für die Partei Die Linke bei der Wahl zur Hamburgischen Bürgerschaft. Wir haben mit dem in Nordkurdistan (Türkei) geborenen Linkspolitiker und Juristen über seine Kandidatur gesprochen.

Yavuz Fersoglu, geboren in Dep (tr. Karakoçan), kam vor über vierzig Jahren als Sohn kurdischer „Gastarbeiter“ nach Deutschland und lebt seit 1998 in Hamburg. Der Diplomjurist und Vater zweier Töchter ist seit Juli 2024 stellvertretender Vorsitzender der Linksfraktion in der Bezirksversammlung Altona und kandidiert für die Linkspartei bei der Wahl zur Hamburgischen Bürgerschaft am 2. März.


Du bist seit vielen Jahren politisch aktiv und wurdest in den Medien zeitweise als Bindeglied zwischen der deutschen Linken und der kurdischen Bewegung bezeichnet. Was hat Dich jetzt dazu bewogen, in die parlamentarische Politik einzusteigen?

Zum einen die weltweite Rechtsentwicklung und die zunehmende Kriegsgefahr, zum anderen das Erstarken des faschistischen Geistes in diesem Land. Aber auch die Situation, in der sich Die Linke bis vor Kurzem befunden hat, hat mich dazu bewegt, in der Partei aktiv zu werden. Ich denke, wir brauchen Die Linke als eine Plattform für Bewegungen, als Sprachrohr von Benachteiligten und als emanzipatorische Partei, die sich mit den wirklichen Problemen der Menschen beschäftigt. In einer Zeit, in der Deutschland wieder auf Militarismus und Krieg setzt, die Reichen immer reicher und die Armen ärmer werden, die soziale Spaltung immer größer wird, braucht es eine linke Kraft in und außerhalb der Parlamente. Aber nach wie vor kommt es nicht so sehr auf Parlamentarismus, sondern weiterhin auf den auf der Straße aufgebauten Druck an. Den müssen wir als Bewegung erhöhen. Ich verstehe Die Linke als ein Sammelbecken der Bewegungen, in dem nicht das Trennende, sondern das Gemeinsame in den Vordergrund gestellt werden soll. Als Linke müssen wir die soziale beziehungsweise die Klassenfrage stellen.

Nenn uns doch mal konkrete Beispiele: Wofür setzt sich die Linkspartei ein?

Nicht zuletzt im Wahlkampf ist deutlich geworden, was die Menschen in diesem Land wirklich bewegt. An Infoständen und in persönlichen Gesprächen in den Bezirken hören wir immer wieder, dass die steigenden Mieten für Wohnungen und Kleingewerbe ein großes Problem ist, das den Menschen Angst macht. Wir fordern einen bundesweiten Mietendeckel und wollen öffentlichen und genossenschaftlichen Wohnungsbau fördern. Außerdem wollen wir Grundnahrungsmittel, Hygieneprodukte, Bus und Bahn von der Mehrwertsteuer befreien. Der Staat muss nicht an Grundbedürfnissen mitverdienen.

Die Linke setzt sich zudem für das Grundrecht auf Asyl und gegen Mauern um Europa ein. Wir setzen uns weltweit für Diplomatie und friedliche Konfliktlösung ein und verurteilen völkerrechtswidrige Angriffskriege wie den russischen Überfall auf die Ukraine und die seit Jahren andauernden Kriegsverbrechen der Türkei in Kurdistan. Wir lehnen mehr Geld für Aufrüstung ab.

Wir lehnen es auch ab, Menschen gegeneinander aufzuhetzen und Geflüchtete zu Sündenböcken zu machen, um von sozialen Problemen abzulenken. Sie brauchen eine Arbeitserlaubnis ab dem ersten Tag. Wie auch in der kurdischen Freiheitsbewegung gilt bei uns der Grundsatz einer genderparitätischen Vertretung. Wir wollen entschlossen gegen Gewalt an Frauen vorgehen und fordern gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit. Wir bekämpfen alle Formen von Diskriminierung und Ausgrenzung.

Der Hamburger Verein „Volkshaus Kurdistan“ unterstützt bei den Bürgerschaftswahlen die Linkskandidat:innen Cansu Özdemir und Yavuz Fersoglu. Cansu Özdemir ist 2011 zum ersten Mal in das Hamburger Landesparlament gewählt worden und seit 2015 Ko-Vorsitzende der Linksfraktion in der Bürgerschaft.


Die Linke ist die einzige im Bundestag vertretene Partei, die eine Aufhebung des Betätigungsverbots für die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und deren Streichung von der „EU-Terrorliste“ fordert. Warum?

Das PKK-Verbot in Deutschland ist politisch motiviert und in seiner aktuellen Form ein ständiger Kniefall vor Erdogan. Erdogan unterstützt islamistische Terrormilizen, unterdrückt die demokratische Opposition in der Türkei und bombardiert ständig unter Verletzung des Völkerrechts die kurdische Zivilbevölkerung im Nordirak und in Nordostsyrien. Deutsche Waffenlieferungen ermöglichen diesen Terror. Wir fordern ein sofortiges Ende aller Waffenlieferungen an die Türkei. Die seit über drei Jahrzehnten andauernde Kriminalisierung kurdischen Lebens in Deutschland, die Versammlungsverbote und die Tausenden von Verfahren gegen kurdische Aktivistinnen und Aktivisten müssen endlich aufhören. Aktuell befinden sich 17 Kurdinnen und Kurden wegen angeblicher Mitgliedschaft in der PKK in deutschen Gefängnissen. Ihnen werden lediglich legale zivilgesellschaftliche Aktivitäten wie das Organisieren von Demonstrationen und Veranstaltungen oder Spendensammlungen für Kurdistan vorgeworfen, und dafür sind sie jahrelang in Haft. Tausende weitere werden mit Entzug der Aufenthaltserlaubnis oder sogar des Sorgerechts für ihre Kinder bedroht. Ich kämpfe seit 1993 gegen das PKK-Verbot und war auch selbst schon von Strafverfahren betroffen.

Die türkische Armee bombardiert jeden Tag kurdische Gebiete im Nordirak und in Nordsyrien, in der Türkei kommt es zu Massenverhaftungen und der staatlichen Übernahme demokratisch gewählter Kommunalverwaltungen. Was forderst Du von der Bundesregierung hinsichtlich des Umgangs mit dem Erdogan-Regime?

Ich fordere ein Waffenembargo und die Einstellung der wirtschaftlichen, politischen, diplomatischen und militärischen Unterstützung für dieses Regime. Man kann nicht Russland als Aggressor bezeichnen und Erdogan hofieren. Diese Doppelmoral prangern wir an. Das haben wir immer gemacht und werden es weiterhin tun. Eine ganz zentrale Forderung ist auch eine offizielle Anerkennung der Demokratischen Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien (DAANES). Das in Rojava aufgebaute System ist ein vorbildliches Beispiel für ein freies und gleiches Zusammenleben und muss als Leuchtfeuer der Hoffnung in Syrien und der gesamten Region unterstützt und verteidigt werden.