Şengal-Delegation verklagt Bundespolizei

Die Behinderung einer Şengal-Exkursion zum Jahrestag des IS-Genozids an der ezidischen Gemeinschaft durch die Münchner Bundespolizei hat ein gerichtliches Nachspiel. Die Delegation reicht Klage gegen das Ausreiseverbot ein.

Juristisches Nachspiel für Ausreiseverbot

Nach ihrer Festsetzung am Münchner Flughafen wollen fünf Internationalist:innen einer Şengal-Delegation eine Feststellungsklage gegen die Bundespolizei einreichen. Die Gruppe war im Juli vergangenen Jahres von der Behörde von ihrer Ausreise in den Nordirak abgehalten worden. Dort wollte die Delegation nach eigenen Angaben in die Şengal-Region weiterreisen, um an Gedenkveranstaltungen zum zehnten Jahrestag des Genozids und Feminizids an der ezidischen Gemeinschaft durch die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) teilzunehmen. Diese Teilnahme verhinderte die Bundespolizei am Flughafen München, indem sie die Gruppe kurz vor ihrem Abflug abfing und sieben Stunden lang in Gewahrsam hielt. Anschließend verhängte die Polizei eine 30-tägige Ausreisesperre gegen die Aktivist:innen, die mit „außenpolitischen Interessen“ der Bundesrepublik begründet worden sei.

„Angesichts der aktuellen Situation im Nahen und Mittleren Osten, dem Erstarken dschihadistischer Kräfte und der Intensivierung der IS-Aktivitäten, steigt wieder die Gefahr für alle Ezid:innen und Kurd:innen in der Region, entführt, versklavt und ermordet zu werden“, so ein Mitglied der Delegation, die auf Einladung des Demokratischen Autonomierats von Şengal in die Region reisen wollte. „Diese Dschihadisten werden vom NATO-Land Türkei unterstützt, ausgerüstet und gelenkt. Mit dem Versuch, internationale Solidarität zu verhindern, stärkt die Bundesregierung diese antidemokratischen und mörderischen Kräfte unter dem Vorwand, die Interessen Deutschlands seien dadurch gefährdet. Gleichzeitig fällt sie den Kräften des Friedens und der Freiheit vor Ort in den Rücken.“

Öffnung eines vom IS angelegten Massengrabs mit Opfern des Völkermords in Şengal, Oktober 2023 © ANF

Der zunehmende Krieg und das Erstarken dschihadistischer Kräfte hätten vor allem Auswirkungen auf die Situation der Frauen vor Ort. Die vermeintlich feministische Außenpolitik Deutschlands bedeute also direkt eine Verschlechterung für alle Frauen in den betroffenen Gebieten, betonte die Delegation. Die Klage richte sich aber nicht nur gegen das willkürliche Vorgehen der Bundespolizei. „Wir wollen damit auch die Verstrickungen und Interessen des deutschen Staates aufzeigen, die erst dazu geführt haben, dass wir unsere Reise nicht antreten konnten. Für uns heißt Internationalismus nicht nur, von anderen Kämpfen zu lernen, sondern auch, die Kämpfe hier vor Ort zu führen. Dafür gehen wir auch hier auf die Straße und lassen uns nicht von Repression einschüchtern“, so das Mitglied der Delegation.

IS-Überfall auf Şengal

Am 3. August 2014 überfiel der selbsternannte IS die Şengal-Region mit dem Ziel, eine der ältesten Religionsgemeinschaften auszulöschen: Die Ezidinnen und Eziden. Durch systematische Massakrierung, Vergewaltigung, Folterung, Vertreibung, Versklavung von Mädchen und Frauen sowie der Zwangsrekrutierung von Jungen als Kindersoldaten erlebte die ezidische Gemeinschaft den von ihr als Ferman bezeichneten 74. Völkermord in ihrer Geschichte. Mindestens 10.000 Menschen fielen jüngeren Schätzungen zufolge den Massakern des IS zum Opfer, mehr als 400.000 Menschen wurden aus ihrer Heimat vertrieben. Über 7.000 Frauen und Kinder wurden verschleppt, von denen bis heute etwa 2.500 vermisst werden. Daher stellt dieser Genozid in seiner Form zugleich auch einen Feminizid dar.